Präventivhaft für Letzte Generation – der "Jetzt erst recht"-Effekt

Mahnwache gegen Präventivhaft mit Porträts der Betroffenen vor der JVA München-Stadelheim. Foto: Telepolis

Während der Automesse IAA in München bleiben 29 Menschen, die stören könnten, weggesperrt. Auch ein 73-jähriger Großvater. Ein Wahlplakat wirkt dadurch wie Realsatire.

"Opa, bitte wähl für mich" steht auf einem Plakat, mit dem die bayerischen Grünen um Stimmen werben – illustriert mit einem ernsten Mädchengesicht. Am 8. Oktober wird im Freistaat ein neuer Landtag gewählt – und zur Zielgruppe der Grünen gehören Familienmenschen, die sich wegen der Umwelt- und Klimakrise Sorgen um die Zukunft der Kinder machen.

Das wirkt wie eine traurige Realsatire, denn mindestens ein sehr besorgter Großvater und mehrere Gleichgesinnte sitzen aktuell wegen Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die unzureichende Klimapolitik der rot-grün-gelben Bundesregierung in der JVA München-Stadelheim in Präventivhaft.

Weil er nicht glaubt, dass ein Kreuz für die Grünen oder eine andere Partei die Welt retten kann, hat sich Ernst Hörmann der Klima-Initiative Letzte Generation angeschlossen, die von der Generalstaatsanwaltschaft München als "kriminelle Vereinigung" verdächtigt wird.

Mit 73 Jahren ist er der Älteste unter den 29 Klimabewegten in bayerischer Präventivhaft. Nach Angaben der Letzten Generation hat der gelernte Maschinenbau-Ingenieur aus Freising acht Enkel, denen er sich verpflichtet fühlt. Andere Inhaftierte sind in den Zwanzigern, zwei 43-jährige Mütter und ein 64-Jähriger sind auch dabei. Sie haben bereits an Aktionen teilgenommen und gelten als möglicher Störfaktor bei der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in den Münchner Messehallen und Teilen der Innenstadt.

Die Jüngste, Svenja Schraut aus Passau, ist gerade erst 19 geworden. Wahrscheinlich kaum zehn Jahre älter als die vier Kinder-Models der bayerischen Grünen, die auf Wahlplakaten "Mama", "Papa", "Oma" und "Opa" dazu bewegen sollen, "für die Zukunft unserer Kinder" die Partei zu wählen, der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck angehört. Über dessen Gas-Deal mit dem Golfemirat Katar und die Pläne für LNG-Infrastruktur im Ostseeraum waren auch gemäßigte Teile der Klimabewegung wie das Netzwerk Fridays for Future entsetzt.

Bayerische Härte und bundespolitisches Greenwashing

Das Gesetz, das in Bayern präventivpolizeilichen Gewahrsam für bis zu 30 Tage möglich macht, trägt die Handschrift der CSU, die hier mit den "Freien Wählern" als Juniorpartner regiert. Aber die Bundespolitik, gegen die sich der Widerstand der Letzten Generation richtet, wird von den Grünen mitgetragen. Anlässlich der IAA-Proteste mehrerer Organisationen sind Polizeihundertschaften aus zehn Bundesländern in der bayerischen Landeshauptstadt präsent, insgesamt 4.500 Beamte sollen die Messe absichern.

Schon der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung hat in der Zielgruppe der Grünen, zu der auch junge Klimabewegte gehörten, viele Hoffnungen zerstört, da hier Klimaneutralität erst für 2045 angestrebt wurde. Dass der kleinste Koalitionspartner FDP den Verkehrsminister stellt, hat den Eindruck verfestigt, dass der Einfluss der Autolobby auf die Bundespolitik ungebrochen ist oder sogar gestärkt ist.

Das Bundesverfassungsgericht hatte schon die Klimapolitik der schwarz-roten Vorgängerregierung für unzureichend befunden und eine Nachschärfung verlangt. Die heutige grüne Außenministerin Annalena Baerbock war 2021 als mögliche "Klimakanzlerin" in den Wahlkampf gezogen – und knapp zwei Jahre später schaffte eine rot-grün-gelbe Regierung im Koalitionsausschuss die Sektorziele im Klimaschutzgesetz ab.

Das hat den Graben zwischen der Bewegung und den Grünen, die sie vor der letzten Bundestagswahl am meisten umgarnt hatten, noch einmal vertieft.

Die Letzte Generation – auch bekannt als "die Klimakleber" – gilt wegen ihrer Aktionen des zivilen Ungehorsams als radikal, Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, wollte sie aber bisher nicht extremistisch nennen, weil sie sich explizit auf das Grundgesetz berufen. Sicherheitsbehörden wollten in ihren Reihen bereits Spitzel anwerben, blitzten aber bei bisher bekannten Versuchen ab.

Wenige Tage vor Beginn der Automesse IAA in der bayerischen Landeshauptstadt am 5. September hat sich dann die Zahl der ihr zugerechneten Personen in Präventivhaft fast verdoppelt – von 14 auf zunächst 27, zwei weitere wurden kurz darauf festgesetzt. Rechtsgrundlage ist Artikel 17 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG). Ein Teil der Betroffenen soll bis zu 30 Tage eingesperrt bleiben, andere sollen schon kurz nach dem Ende der IAA am 10. September auf freien Fuß gesetzt werden.

Wenn Repression das Gegenteil von Einschüchterung bewirkt

Im Rahmen einer Mahnwache vor der Justizvollzugsanstalt wurden am Mittwochnachmittag Briefe von Angehörigen und Freunden verlesen, die sich mit der Motivation der Betroffenen auseinandersetzen und sie als mutige, freundliche Menschen beschreiben. Die Eltern der Jüngeren äußern sich zum Teil selbstkritisch, weil ihre Generation zu viel verdrängt und zu wenig gegen die Klimakatastrophe getan habe, bevor ihre Kinder sich zu Aktionen genötigt sahen, die sie nicht alle gut finden – aber sie zollen ihnen letztendlich Respekt für ihre konsequente Haltung.

Freundinnen und Freunde aus der Klimabewegung beschreiben einen "Jetzt erst recht"-Effekt: Sie hätten sich bisher nicht auf die Straße geklebt, sondern erst ihre "Komfortzone" verlassen, als ein von ihnen besonders geschätzter Aktivist in Präventivgewahrsam genommen wurde. Der Staatsapparat scheint also zumindest in manchen Fällen das Gegenteil von Einschüchterung zu bewirken.

Bestätigt fühlen sich die Aktiven auch dadurch, dass sich vergangene Woche fast 60 Verfassungsrechtlerinnen und Verfassungsrechtler "fachlich hinter die Letzte Generation gestellt" haben – indem sie in einem offenen Brief klarstellten, dass das Grundgesetz und das Pariser Klimaschutzabkommen die Bundesregierung zu effektivem Klimaschutz verpflichten.

Während die Ampel-Bundesregierung dies schlicht ignoriert und große Bevölkerungsteile im Alltag verdrängen, dass bei einem "Weiter so" die Überschreitung gefährlicher Kipppunkte droht, setzt die rechtskonservative bayerische Staatsregierung auf harte Repression gegen diejenigen, die das "Weiter so" stören.

Die bayerischen Grünen – das muss fairerweise gesagt werden – haben gegen dieses Polizeiaufgabengesetz geklagt. Auch der Bund für Geistesfreiheit, die bayerische SPD und die Partei Die Linke haben das getan. Der bayerische Verfassungsgerichtshof hält es aber zumindest für konform mit der bayerischen Verfassung.