Polizeigewalt auf Corona-Demos: Bundesregierung nimmt gegenüber UNO bis Ende Oktober Stellung
UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter hatte um Einschätzung gebeten. Berlins Innensenator schließt Übergriffe nicht aus
Die Bundesregierung wird bis Ende Oktober zu Vorwürfen der Vereinten Nationen wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen durch die deutsche Polizei während Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen Stellung beziehen.
Bereits am 26. August war das Auswärtige Amt über die permanente deutsche Vertretung bei der UNO in Genf um eine Stellungnahme gebeten worden, bestätigte der UN-Sonderberichterstatter zum Thema Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, Nils Melzer, gegenüber Telepolis.
Dem Schweizer Rechtsprofessor waren im August Videos von den Protesten zugesandt worden, die er gegenüber der Nachrichtenagentur dpa als "besorgniserregende" bezeichnete. "Die Hinweise sind stark genug, dass möglicherweise Menschenrechtsverletzungen begangen wurden", zitierte ihn die Agentur. Melzer sprach damals mit Augenzeugen und nannte nach erstem Augenschein etwa ein Dutzend Vorfälle.
Der UN-Experte verwies unter anderem auf ein Video, in dem ein Polizist bei der Demonstration in Berlin eine Frau am Hals packt und zu Boden stößt. "Die hätte sterben können", kommentierte er dies gegenüber der Nachrichtenagentur.
Obwohl von der Teilnehmerin einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen keine Gefahr ausgegangen sei, habe der Beamte eine Technik der Selbstverteidigung angewendet, "statt schlicht eine Ordnungswidrigkeit zu verhindern".
Auf anderen Filmaufnahmen sei ein Mann zu sehen, der derart geschlagen wurde, dass er blutete, obwohl er bereits in Handschellen am Boden lag. Gefilmt wurde auch eine Person, die von Polizeibeamten von hinten vom Fahrrad gerissen wird.
Vertreter der Vereinten Nationen und Menschenrechtsexperten hatten im Rahmen der laufenden Sitzung des UN-Menschenrechtsrates (Human Rights Council, HRC) unlängst auf die generelle Zunahme willkürlicher Polizeigewalt hingewiesen. In einer Videokonferenz am Rande der 48. Sitzung des Gremiums forderten sie staatliche Schutzprogramme, wie Telepolis berichtete.
Die willkürliche Polizeigewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten sei oftmals nicht mehr von Folter zu trennen, hieß es von dieser Seite. Die Experten betonten damit Erkenntnisse eines ausführlicheren Berichtes zum Thema, der bereits im März dieses Jahres erschienen war.
Berliner Polizei hatte Kritik zunächst zurückgewiesen
Die Berliner Polizei hatte die Kritik Melzers an ihrem teils gewaltsamen Vorgehen gegen die nicht genehmigten Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen im August umgehend zurückgewiesen. "Unmittelbarer Zwang ist Gewalt, Gewalt schmerzt, Gewalt verletzt, Gewalt sieht gewalttätig aus", sagte damals Polizeisprecher Thilo Cablitz auf Agenturanfrage. Ein solcher "unmittelbarer Zwang" sei trotz teils martialischer Bilder "dennoch Teil unseres Rechtssystems".
Die Polizei in Berlin habe auch bei den Protesten von Kritikern der Corona-Maßnahmen zunächst auf Kommunikation gesetzt, zum Beispiel durch Lautsprecherdurchsagen oder Ansprachen über Social-Media-Plattformen, führte Cablitz damals aus. Dies habe angesichts des Aggressions- und Gewaltpotenzials von Protestteilnehmern Anfang August aber keinen Effekt gezeigt.
Mitte August war UN-Sonderberichterstatter Melzer im Zuge seiner Recherchen auch mit Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) zusammengekommen. Gegenüber der Berliner Zeitung sagte der Jurist nach dem Treffen, sowohl der Innensenator als auch die Polizeiführung seien "sehr offen" gewesen und hätten sich "spontan bereit erklärt, mit mir Material zu teilen, um die Vorwürfe aufklären und, sollten sich die Vorwürfe erhärten, Konsequenzen ziehen zu können".
Er habe den Eindruck, dass Senator und Polizei ein ehrliches Interesse an der Aufklärung der Vorfälle hätten, so Melzer.
Geisel hatte seinerseits mögliche Übergriffe von Polizisten eingeräumt: "Es gibt Videoaufnahmen, die nahelegen, dass die Polizei gegebenenfalls die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt hat", sagte der SPD-Politiker nach dem Treffen.
Eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes auf das Gesuch Melzers muss nach den einschlägigen Vereinbarungen binnen 60 Tagen erfolgen. Sie wird in der Communications Database des OHCHR veröffentlicht.
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