Polizeimeldungen: NRW nennt Nationalität, Experte kritisiert Vorgehen
Rechte Politiker und Medien drängen auf die Information. Aber schafft die Nennung der Nationalität Aufklärung? Oder ist sie Teil von Desinformation?
Die Debatte um die Nennung der Nationalität von Tatverdächtigen in Polizeimeldungen hat in Nordrhein-Westfalen eine neue Dynamik erhalten. Das Innenministerium des Bundeslandes plant, zukünftig grundsätzlich die Herkunft Verdächtiger zu veröffentlichen. Der Journalismus-Professor Thomas Hestermann sieht dieses Vorhaben kritisch.
Hestermann, der an der Hamburger Hochschule Macromedia lehrt und seit 2007 die mediale Berichterstattung über Gewalt untersucht, betont die Sorge, dass solche Informationen von "besorgten Bürgern" und Rechtspopulisten instrumentalisiert werden könnten. Er verweist auf eine Studie aus dem Jahr 2018, die aufzeigt, dass die AfD in ihren Pressemitteilungen zu 95 Prozent ausländische Tatverdächtige erwähnt, aber nur in fünf Prozent der Fälle deutsche Verdächtige.
Auf die Frage des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, ob es nicht ein Gebot der Transparenz sei, solche Informationen zu teilen, entgegnet Hestermann, keine Studie habe bisher Kriminalität schlüssig mit Nationalität in Verbindung gebracht.
Die Polizei sei nicht verpflichtet, der "drängenden Neugier bestimmter Kreise" nachzukommen, sondern relevante Fakten zu kommunizieren. Er betont, dass es sich bei den Betroffenen um Verdächtige und nicht um Verurteilte handelt, und warnt vor den irreversiblen Folgen für zu Unrecht Beschuldigte.
Hestermann argumentiert weiterhin, dass Transparenz eher durch Angaben über Gewalterfahrungen, Wohnverhältnisse und Bildungsstand erreicht werde, da diese Faktoren eher Einfluss auf kriminelles Verhalten hätten als die Nationalität. Eine solche Transparenz sei jedoch in der tagesaktuellen Berichterstattung nicht leistbar.
In dem kurzen Interview spricht der Forscher auch über die aus seiner Sicht bestehende Notwendigkeit, relevante Erkenntnisse auszuwählen, anstatt Informationen zu verschweigen. Er befürchtet, dass selbst bei einer konsequenten Nennung der Nationalität rechtspopulistische Kreise weiterhin nach zusätzlichen Differenzierungen, wie etwa dem Unwort "Passdeutscher" oder nach Vornamen, drängen werden.
Auch kritisiert Hestermann die aktuelle Medienpraxis, die Herkunft bei Deutschen seltener als bei Ausländern zu nennen, was ein verzerrtes Bild erzeuge. Insbesondere seit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015/16 sei in den Medien eine verstärkte Fokussierung auf nichtdeutsche Verdächtige festzustellen. Diese Praxis führe zu einer Verzerrung, die mitunter weit von der tatsächlichen Kriminalstatistik entfernt sei.