Portugal ist keine Insel gegen Rechtsextreme mehr

Seite 2: Die Hammerskins und die Partei Chega

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In der Liste der Vergehen des Hammerskin-Gründers Mário Machados finden sich auch Waffenbesitz, Erpressung, Entführung, Rassismus und derlei mehr. Er war schon 1995 an der Hatz auf Schwarze in Lissabon beteiligt, bei der schließlich der schon oben erwähnte Monteiro ermordet wurde.

Insgesamt wurden bei der Aktion neun Schwarze zum Teil schwer verletzt. Machado wurde dafür - wie auch weitere 15 Skinheads - zu mehr als vier Jahren Haft verurteilt. Auch in den folgenden Jahren wurde Machado immer wieder verurteilt und ging im Gefängnis ein und aus.

Die Übergänge zwischen Chega und den extrem gewalttätigen Hammerskins, die Machado 2005 gegründet hatte, sind fließend. Die Neonazi-Vereinigung wurde 1886 in Dallas (Texas) gegründet und sie verfügt über "Chapter" in verschiedenen Ländern. Die Bundeszentrale für politische Bildung bezeichnet die Organisation als "militanten Geheimbund" , die in einigen Ländern verboten ist.

Tiago Monteiro war oder ist Hammerskin (PHS) und war bis Januar Berater der Chega-Führung. Er musste sein Amt niederlegen, nachdem er zugeben musste, auch Mitglied von Nova Ordem Social (Neue Soziale Ordnung/NOS) zu sein. Die Organisation wurde, fast ist es schon zu erraten, vom portugiesischen Hammerskin-Gründer Machado 2014 aufgebaut. Der hatte nach einem massiven Streit mit Morddrohungen und Erpressung die Hammerskins verlassen.

Was den portugiesischen Medien offensichtlich weniger oder nicht bekannt ist, ist, dass sich Monteiro, der unter den Hammerskins intern als "Tiaguinho" bezeichnet wird, allem Anschein nach an Aktivitäten der Hammerskins in Portugal beteiligte, wie es Telepolis-Recherchen nahelegen. So veröffentlichte zum Beispiel Tiaguinho383 im Hammerskin-Forum einen Eintrag zur Verurteilung von "Brüdern" im Jahr 2009. Darunter fand sich auch wieder Machado, der mit einer Haftstrafe von 7 Jahren und zwei Monaten die Höchststrafe bekam. Dessen Truppe hatte Drogenkonsumenten entführt, erpresst und zum Teil auch gefoltert. Das geht allerdings aus dem Eintrag von Tiaguinho383 nicht hervor.

Tiaguinho stand zum Beispiel auch federführend hinter einem internationalen Hammerskin-Treffen in Lissabon im Januar 2015. Um das zehnjährige Jubiläum der portugiesischen Hammerskins zu feiern, reisten klandestin aus ganz Europa militante Anhänger an. Dass Treffen mit Konzert fand im Club 38 in Odivelas (Großraum Lissabon) statt. Auch die portugiesische Polizei, die über das Treffen der militanten Rechten sehr besorgt war, erhielt Informationen darüber.

Dass die Zahl 38 oder 838 bei Hammerskins immer wieder auftaucht, ist kein Zufall. Denn 38 steht für die Buchstaben C und H, ist also das Kürzel für "Crossed Hammers", also für ihr Logo. Das zeigt zwei gekreuzte Zimmermannshämmer, die wiederum an ein Hakenkreuz erinnern. Das 838, das im Namen von Tiaguinho auftaucht, bedeutet "Heil gekreuzte Hämmer". Ähnlich benutzen deutsche Nazis 88 als Kürzel für Heil Hitler. Der Club 38 - auch Skinhouse genannt - befindet sich in einem Industriegebiet.

Er rückte über das Hammerskin-Treffen erst in den Blick der Behörden. Der Club wurde nach längeren Ermittlungen schließlich 2016 durchsucht und 21 Hammerskins festgenommen, von denen etliche schon für diverse Straftaten verurteilt worden waren, darunter auch rassistische oder homophobe Angriffe. Gefunden wurden auch Waffen aller Art, darunter auch eine Schrotflinte und andere Schusswaffen. Das Arsenal ließ keinen Zweifel an der Gewalttätigkeit der Truppe aufkommen.

Inzwischen ist auch längst bekannt, dass Chega-Mitglieder hinter dem Aufmarsch im August am Büro von SOS-Rassismus stehen. Denn der Aufmarsch hatte der "Nationale Widerstand" (RN) organisiert, der wiederum die oben angesprochenen Morddrohungen unterzeichnet hat. Gegründet wurde die Truppe von ehemaligen Mitgliedern von Machados "Neue Soziale Ordnung" (NOS), die inzwischen wieder aufgelöst wurde.

Sie übernimmt offensichtlich den Part, auf der Straße Druck zu machen. Sie gesteht sogar ein, hinter dem Ku Klux Klan ähnlichen Aufmarsch zu stehen. Allerdings bestreiten RN-Führungsmitglieder, etwas mit den Morddrohungen gegen Politiker und Aktivisten zu tun zu haben.

Lange Liste bekannter Neonazis

"Wir treten nie kriegerisch auf", erklärte Nuno Cardoso, der auch unter den Fackelträgern war. So etwas ausgerechnet aus dem Mund von Cardoso zu hören, ist Realsatire, da Cardoso lange Zeit die rechte Hand von Machado war. Und Cardoso ist auch weiterhin Chega-Mitglied, wie auch weitere Mitglieder des Nationalen Widerstands, darunter Ana Cardoso oder Luís Mártires. Wie passt das mit der "Nulltoleranz" gegenüber Nazis und Gewalttätern zusammen, von der der Chega-Chef gerne spricht?

Weiß Ventura auch nichts davon, dass Cardoso im Rahmen eines internationalen Treffens von Rechtsextremen aus ganz Europa im vergangenen Jahr vor dem Parlament in Lissabon eine Lobrede auf den ehemaligen portugiesischen Diktator gehalten hat? Er war von Machado und dessen NOS dafür ausgesucht worden. Und die Liste bekannten Neonazis in Chega ist lang. Da ist zum Beispiel auch Luís Filipe Graça. Der sitzt sogar in der Chega-Führung und war Mitbegründer von Machados NOS.

Alte Bekannte

Es drängt sich also auf, dass Distanzierungen nur Lippenbekenntnisse sind, um sich moderat zu geben. Angesichts der Vorgänge im Sommer darf man sogar vermuten, dass ein strategisches Zusammenwirken auf verschiedenen Ebenen gibt. Auf der einen Seite sieht man die rassistischen Ausfälle des Parlamentariers Ventura, mit verstärkter Medienwirkung, seit er im Parlament sitzt.

Da ist der Druck auf der Straße vom Nationalen Widerstand und rein zufällig sind dann auch die Morddrohungen gegen Linkspolitiker und Antifaschisten mit dem Namen unterzeichnet. Dazu kommen gewalttätige Angriffe auf Schwarze, Schwule und Kommunisten, für die zum Beispiel demnächst 27 Hammerskins zwischen 24 und 50 Jahre vor Gericht gestellt werden. 21 davon waren im Rahmen der Razzia gegen den Club 38 festgenommen worden.

Zu den Vorwürfen gehört auch Mordversuch. Unter den Angeklagten befinden sich wieder alte Bekannte, die schon für die Machado-Umtriebe verurteilt worden waren, darunter auch für den Mord an Monteiro 1995.

Für den Politologen António Costa Pinto ist klar, dass der Rassismus der Treibstoff für Chega ist und nun verschiedene rechte Gruppen vereint. Die Partei spreche zudem das aus, was viele in Portugal denken, wo die blutige Kolonialgeschichte des Landes für nicht aufgearbeitet worden sei.

"In Portugal gab es immer Grüppchen der extremen Rechten, die aber bei Wahlen nie relevant wurden."

Für den Professor der Universität in Lissabon, der auf autoritäre Bewegungen spezialisiert ist, gehört auch Chega zu den überall in Europa aufkommenden "populistischen Parteien der radikalen Rechten". Sie nutze die Bezüge auf den Diktator Salazar wenig, da man damit nicht mobilisieren könne.

Chega-Chef Ventura hat viel vor

Ob der Chega-Chef Ventura der Führer ist, der die Ultras im Land zusammenhalten und eine breitere soziale Basis schaffen kann, wird sich bei den Präsidentschaftswahlen Anfang 2021 zeigen. Ventura hat viel vor. Er will es in die Stichwahl mit dem aktuellen Präsidenten Marcelo Rebelo de Sousa schaffen. Die "Sozialdemokratische Partei Portugals" (real eine Rechtspartei), aus der Ventura und andere sich abgespalten haben, schließt ein Bündnis mit dem Ultra nicht aus. Dafür müsse Chega moderater werden, erklärte der PSD-Chef Rui Fernando da Silva Rio.

Die Strategie, Ultras über eine Beteiligung an Regierungen zähmen zu wollen, hält auch ein Kollege von Costa Pinto an der Lissabonner Universität für falsch. Das habe man auch in Spanien in Madrid gesehen, wo die ultrarechte Vox nun die Regionalregierung stützt, meint André Freire. "Allgemein betrachtet, tritt das Gegenteil ein, nämlich das sich die traditionelle Rechte darüber radikalisiert", stellt der Professor fest.

Er betont dabei aber, dass die PSD anders als die spanische Volkspartei (PP), bisher deutlich klarer im Zentrum steht. Die PP dagegen ist schon historisch anders verortet, denn sie wurde von Regierungsmitgliedern der Franco-Diktatur gegründet. Und für den Linksblock, wie Catarina Martins im Telepolis-Interview erklärte, darf es keinen Dialog mit den Ultras geben.

"Für uns ist klar, dass es mit der extremen Rechten nichts zu reden gibt, man debattiert nicht ihnen. Die Führer der extremen Rechten stammen aus Neonazi-Parteien, die zuvor sehr klein und ohne Ausdruck waren."

Sie stellte ebenso richtig fest, dass sich darunter Mörder befinden. Auch Martins erinnerte an Alcino Monteiro. Sie war mit ihm befreundet. Monteiro war an der Tür des Parteisitzes der Vorgängerpartei ermordet worden. Mit Ultras wie Chega zu verhandeln, normalisiere nur gefährlich deren Diskurs und verhelfe ihnen nur zu weiterem Auftrieb, meint Martins.