Positionsbestimmung
Die Abgrenzung zwischen analogen und digitalen Verfahren behindert kreative Ausdrucksmöglichkeiten
Die Debatte - um nicht zu sagen: der unversöhnliche Zwist- zwischen den Anhängern der analogen, "klassischen" Fotografie und denen der digitalen Bildmedien wurde in wohl keinem Land so vehement unter dem Gesichtspunkt des Entweder/Oder geführt, wie in Deutschland. Umso bemerkenswerter, dass auf dem Symposium "Classic Photography", das im Rahmen der 7. Internationalen Fototage in Ludwigshafen stattfand, diese vermeintliche Unversöhnlichkeit nicht mehr zu spüren war. Es ist jedoch zu befürchten, dass dem Gewinn an kreativen Freiräumen durch neue digitale Verfahren ein unwiederbringlicher Verlust an analogen Ausdrucksmöglichkeiten gegenüber stehen wird.
Erklärtes Ziel von "Classic Photography" war die Pflege der klassischen Schwarzweiss-Fotografie und die Netzwerkbildung unter Gleichgesinnten. Dazu sollte bei dieser ersten Veranstaltung ihrer Art eine Positionsbestimmung ohne Scheuklappen vorgenommen werden. Leider fand zeitgleich das Symposium "Digitalisierung und Weltsicht" statt, auf dem ebenfalls klassische Standpunkte der Fotografie diskutiert wurden. Diese bedauerliche Überschneidung ergab sich aus der Tatsache, dass der Fotokünstler Martin Blume (www.academia-palatina.de) das von ihm initiierte CP-Symposium auf den Weg gebracht hatte, als noch nicht bekannt war, dass die ursprünglich in Herten veranstalteten Fototage ins Rhein-Neckar-Dreieck umziehen würden. Glücklicherweise konnte "Classic Photography" dennoch in den Reigen der Lehrveranstaltung integriert werden, die von der BildForum Akademie in von Herten gewohnter Manier parallel zu den Ausstellungen der Fototage veranstaltet wurden.
Die nicht zuletzt in Amateurzeitschriften in den letzten Jahren geführte populäre Auseinandersetzung zwischen "digitalen" und "analogen" Fotografen war oft von irrationalen Behauptungen gekennzeichnet, die eine Diskussion eher vermeiden, als suchen sollten. Anhänger der "echten", ergo klassischen Fotografie argumentierten beispielsweise gerne, die "haptischen Qualitäten" eines Schwarzweissabzugs auf Barytpapier seien von "Computerdruckern" grundsätzlich nicht zu erreichen. Warum Haptik bei einem visuellen Medium überhaupt eine entscheidende Rolle spielen sollte, wurde nie begründet. Es ging schlichtweg darum, die eigene Arbeitsweise zu adeln und unangreifbar zu machen. Inzwischen gibt es mehr Papiersorten für hochwertige Tintenstrahldrucker, als es wohl jemals Arten von Fotopapier gegeben hat. Die für Schwarzweissausdrucke eingesetzten speziellen Carbontinten (also Kohlepartikel, die im Prinzip schon in der Höhlenmalerei benutzt wurden) machen InkJet-Ausdrucke vermutlich sogar langlebiger, als einen Barytprint.
Vermeintlich digitale Überlegenheit
In fast allen technologischen Leistungsbereichen sind digitale Kameras heute den analogen Aufnahmesystemen überlegen. Mit der SpheroCam der deutschen Firma Spheron existiert sogar eine Kamera, die vollsphärische Aufnahmen mit einem Dynamikumfang von 26 Blenden anfertigen kann, d.h. die dunkelste Stelle ist 2 hoch 26 mal dunkler, als die hellste. Zum Vergleich: Ein Diafilm hat einen Dynamikumfang von etwa 6 Blenden, das menschliche Auge von ungefähr 15. Aufnahmen mit der SpheroCam benötigen demnach keine Belichtungsmessung, denn diese dient ausschließlich dazu, den für die gewünschte Bildinformation benötigten "Lichtumfang" des Bildmotivs in das Zentrum des beschränkten Dynamikbereichs eines Aufnahmemediums zu legen. Belichtungsmessungen nach dem von Ansel Adams in den Vierziger Jahren entwickelten "Zonensystem" sind mit dieser Kamera also erst recht obsolet.
Technologisch scheint die klassische Fotografie nur noch in der Großformatfotografie unbezweifelbare Vorzüge zu besitzen. Selbst wenn die Leistungssteigerung bei Lichtsensoren so weiterginge, wie bisher, liegt ein 18 x 24 cm großer Riesen-CCD, zumal in erschwinglichen Preisregionen, sicherlich in unabsehbarer Ferne. Schon bei Sensoren im Mittelformat ist fraglich, ob in näherer Zukunft ein Chip selbst im relativ kleinen 6 x 6 cm-Format angeboten werden wird. Daran scheint sogar die schwedische Kameraschmiede Hasselblad nicht zu glauben, die mit ihrer professionellen H1 ganz und gar auf das digitale 645-Format setzt (6 x 4,5 cm). Erst unlängst hat Hasselblad sein Portfolio an 6x6-Kameras radikal zusammengestrichen, allerdings mit einer kleinen Fluchtmöglichkeit zurück. Digitale Kamerabacks gibt es auch für die mechanischen(!) 6 x 6-Kameras. Jahrzehntelang waren quadratische Aufnahmen praktisch synonym mit der Marke Hasselblad gewesen. Diese Ära ist vorüber.
Die Verkürzung auf rein technische Leistungsmerkmale wird jedoch weder der analogen, noch der digitalen Fotografie gerecht. Dies wurde von mehreren Referenten der "Classic Photography" betont. Natürlich gibt es extreme Standpunkte, etwa den des mexikanischen Fotografen Pedro Meyer, der seit mehr als zehn Jahren einer der vehementesten Verfechter des Endes der analogen Fotografie ist (Zone Zero). Die Lust, mit der er das Aussterben der Filme beschwört, ist jedoch erklärbar. Er begann in den 1960er Jahren professionell zu fotografieren, zu einer Zeit also, als sein Heimatland Mexiko noch mitten in der Dritten Welt lag. Damals war dort die Versorgung mit Filmen und Chemikalien, gelinde ausgedrückt, mangelhaft. Er konnte nicht ansatzweise so arbeiten, wie seine Kollegen in der Ersten Welt. Inzwischen ist Mexiko ein Schwellenland, mit einer seit langem an westliche Standards gewöhnte Oberschicht. Zu dieser gehört offenbar auch Meyer, und so scheint für ihn das Abstreifen "analoger Altlasten" einem Emanzipationsprozess gleichzukommen.
Fotografie als Performance
Dieses Beispiel zeigte während des Symposiums, dass es nicht nur um technische Verfahren geht, sondern dass jede Technik, jede Technologie, Wechselwirkungen mit den sie nutzenden und benutzenden Personen hat, die einer populären, oberflächlichen Betrachtung normalerweise verborgen bleiben. Auch Pedro Meyer argumentiert in seinen Editorials für gewöhnlich rein technologisch. Angeführt wurde während des Symposiums jedoch auch eine Aussage von Volker Lensch, dem Bild-Chefredakteur des "Stern", die er bei einem Symposium der DGPh Ende letzen Jahres gemacht hatte. Die LCDs der Digitalkameras werden gerne als entscheidender Vorteil gegenüber der analogen Fotografie dargestellt, weil sie eine unmittelbare Rückmeldung gestatten und der Fotograf so sehr leicht sehen kann, ob er den "entscheidenden Augenblick" eingefangen hat, den er schon lange vor dem Shooting schon in seinem Kopf mit sich herum getragen hatte. Lensch, hatte demgegenüber festgestellt, dass immer wieder zu beobachten sei, wie Fotoreporter andauernd auf die LCDs ihrer Kameras starrten und so Entscheidendes schlichtweg verpassten. Durch diese Art von Fotografie würden nur die Bilder, die längst in den Köpfen sind, also die Klischees, immer wieder aufs Neue wiederholt. Bestätigt wurde diese Sichtweise durch Hans Schafgans, Fotograf in vierter Generation in Bonn. Er referierte über die Porträtfotografie, die seine Familie seit mehr als 150 Jahren in der Universitäts- und ehemaligen Hauptstadt betreibt. In seinem Vortrag schilderte er anschaulich, wie ein fotoscheuer Helmut Schmidt, seinerzeit Bundeskanzler, von ihm für das offizielle Bundeskanzlerfoto abgelichtet wurde. Da war viel vom Kaffeetrinken die Rede, nicht von Fototechnik.
Wer vor 1995 Fotografien anfertigen wollte, musste sich, ob es ihm passte oder nicht, mit der Fotochemie auseinandersetzten. "Die Dunkelkammer ist eine Folterkammer", hatte der berühmte amerikanische Fotograf Walker Evans, ein Zeitgenosse von Ansel Adams, daher empört geäußert. Wer Variationen der Wirklichkeit in der Dunkelkammer kreieren wollte, so wie Jerry Uelsmann, der war auf langwierige, schwer zu kontrollierende Prozesse angewiesen. Nur zu verständlich, dass viele Fotografen, allen voran Henri Cartier Bresson, den chemischen Teil der Fotoerzeugung an das Labor delegierten und sich ganz auf das Einfangen des "entscheidenden Augenblicks" konzentrierten. Und bemerkenswert, dass ausgerechnet die unmittelbarste Fototechnik, die bisher erfunden wurde, nämlich die digitale Fotografie, meist quasi gleichgesetzt wird mit nachträglicher Manipulierbarkeit.
Das Symposium hat gezeigt, dass es Zeit wird, Fotografie grundsätzlich als Performance, also als Wechselwirkung zwischen Technologie, Fotograf und Umgebung zu verstehen. Langsame, analoge Verfahren führen daher prinzipiell zu anderen Resultaten, als digitale, deren Ergebnisse sofort zu bewerten sind. Wenn die analogen Verfahren aussterben, weil chemische Verfahren sich für de Konzernmanager nicht mehr zu rechnen scheinen, dann wird für viele Künstler auch ein wichtiger Teil der individuellen Ausdrucksmöglichkeiten unwiederbringlich verloren gehen. - Eine erläuternde Anekdote.
Willkommen in der Vergangenheit
Zwei Fotodesign-Studenten sollten vor etwa anderthalb Jahren eine Aufgabe bewältigen. Ihr Entsetzen war groß, als sie die zur Realisierung bereitgestellten Mittel sahen, hatten sie in ihrem Leben doch noch nie mit so antiquiertem Material gearbeitet: Diafilmen. Ihr Professor ließ sich nicht erweichen und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als los zu legen. Die Filme wurden zeitnah mit einem Minilab entwickelt. Schließlich standen die beiden Studenten staunend vor Bildern mit von ihnen bisher nie gesehener Farbbrillianz. Sie haben sicherlich nicht das letzte Mal in ihrem Leben mit Diafilm gearbeitet. Aber wenn Diafilmtechnologien nicht mehr verfügbar sein sollten, dann wären die gerade eben von ihnen erschnupperten Möglichkeiten Vergangenheit, bevor sie für die beiden Gegenwart geworden wären.
Die Anekdote erzählte mir vor ein paar Monaten H.-M. Jostmeier, Professor für Fotografie an der FH Nürnberg und Referent des "Digitalisierung und Weltbild"-Symposiums. Sollte nicht jede und jeder die Möglichkeit haben, genau die Techniken zu verwenden, die er oder sie, aus welchen Gründen auch immer, für seinen oder ihren Ausdruck bevorzugt? Wenn die analoge "Folterkammer" nur durch eine digitale ersetzt würde, dann wäre dies nur Substitution, nicht Erweiterung des kreativen Freiraumes.