"Positive" Gorillas

Auch Gorillas tragen ein Immunschwächevirus in sich

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seit Jahrzehnten bemühen sich Wissenschaftler, Ursprung und Verbreitungswege des menschlichen Immunschwächevirus HIV zu rekonstruieren. Jetzt haben Forscher eine bislang unbekannte Variante eines Subtypus’ des HIV-1-Virus bei wild lebenden Gorillas in Kamerun entdeckt. Damit eröffnet sich eine Fülle von Fragen und Spekulationen hinsichtlich Verbreitung und Übertragung des Virus – für den Menschen bedeutet es ein weiteres Ansteckungsrisiko.

Verwandte Virenstämme

Zirka 30 afrikanische Primatenarten tragen das Simiane Immundefizienz-Virus (SIV, engl.: simian immunodeficiency virus) in sich, das als das Immunschwächevirus der Affen gilt. Anhand genetischer Untersuchungen zu den Verwandtschaftsverhältnissen der Virenstämme konnten Forscher rekonstruieren, dass das menschliche HIV-1-Virus, das zur Aids-Pandemie geführt hat, auf das SIVcpz-Virus einer bestimmten Unterart der Schimpansen (Pan troglodytes troglodytes) aus West-Zentralafrika zurückgeht und mindestens zweimal unabhängig voneinander auf den Menschen übertragen wurde. Darüber hinaus haben sie drei Varianten des menschlichen HIV-1-Virus identifiziert: Eine Gruppe M mit vielen Subtypen, der nach derzeitigem Erkenntnisstand die evolutionär ältesten Viren angehören, sowie die die Gruppen N und O, von denen es noch keine klar identifizierten Subtypen gibt.

Tieflandgorilla, Kamerun (Bild: Cecile Neel, IRD)

Im Gegensatz zu den HIV-Viren der Gruppe M, mit der sich Millionen Menschen infiziert haben, wurden von den beiden anderen Virengruppen nur wenige Infektionsfälle in West-Zentralafrika (vor allem Kamerun) registriert. Im Fall der Gruppe O ist bislang auch noch völlig ungeklärt, auf welche Primatenart sie ursprünglich zurückgeht. Forscher des Institut de Recherche pour le Développement und des Instituts für Internationale Gesundheit der Universität Montpellier haben nun ein wenig Licht in die Sache gebracht. In der aktuellen Ausgabe von Nature (Nature Vol 444, doi:10.1038/444164a vom 9. November 2006) stellen sie ihre Ergebnisse vor.

Neues SI-Virus

Wissenschaftler unter der Leitung von Martine Peeters und Eric Delaporte untersuchten die Fäkalien von 378 Schimpansen und 213 Gorillas in extrem entlegenen Gebieten Kameruns auf HIV-1-Antikörper. Dabei stellte sich heraus, dass 40 von 323 Proben der Schimpansenart P. t. troglodytes HIV-1-Antikörper enthielten, während die Proben der Schimpansen-Art P. t. vellerosus keine Antikörper zeigten. Diese Resultate stimmen mit bisherigen Studien überein (im Journal of Virology, Januar 2000, S. 529–534, Vol. 74, No. 1 wurde von der bislang einzigen Infektion eines in Gefangenschaft lebenden P. t. vellerosus berichtet). Zu ihrer Überraschung wurden die Forscher dann aber auch bei 6 der 213 Gorilla-Kotproben fündig: Alle sechs Proben wiesen HIV-Antikörper auf. Eine Analyse der RNA ergab dann allerdings, dass es sich bei dem Virus um eine SIV-Variante handelt, die der menschlichen HIV-1-Gruppe O ähnelt.

Weil die Viren-Varianten in Tieren gefunden wurden, die in einer Entfernung von 400 Kilometern voneinander leben, vermuten die Wissenschaftler, dass das Immunschwächevirus bei Gorillas genauso endemisch ist wie bei Schimpansen. Doch wie kamen die Gorillas zu dem Virus? Viren der Gruppe O wurden bislang bei keiner Schimpansen-Population nachgewiesen. Eine schlüssige Antwort können Peeters und Delaporte nicht geben, trotzdem bezweifeln sie nicht, dass die Schimpansen das so genannte Reservoir der Immunschwächeviren bilden, die bei Menschen und Primaten anzutreffen sind.

Die Viren der Gruppen M und N sind ganz klar das Ergebnis einer Übertragung über die Artgrenze von Schimpansen auf den Menschen, auch wenn der Ursprung des HIV-1 Gruppe O Virus weniger offensichtlich ist. Es ist nicht auszuschließen, dass mit diesem Virus infizierte Schimpansen Gorillas und Menschen unabhängig voneinander infiziert haben oder die Gorillas den Menschen angesteckt haben, nachdem sie von Schimpansen infiziert wurden.

Martine Peeter

Die aktuellen Ergebnisse gelten nicht für alle Gorilla-Arten. Sie beziehen sich einzig auf die in Westafrika lebende Spezies Gorilla g. gorilla. Es fehlen weitere Feldstudien, um das Ausmaß der Verbreitung und die Infektionsdichte festzustellen und vor allem die zentrale Frage zu klären, wie die Gorillas infiziert wurden. Das liegt nicht ohne weiteres auf der Hand: Denn Gorillas sind Pflanzenfresser, ernähren sich also nicht vom Fleisch erlegter Tiere und sie treffen in der Natur nur selten mit Schimpansen zusammen.

Neues Risiko für den Menschen

Für den Menschen könnte das neue Immunschwächevirus ein zusätzliches Infektionsrisiko darstellen, denn je größer die Anzahl von SI-Virenstämmen, die mit Menschen in Berührung kommen, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue, für Menschen gefährliche Variante entsteht. Der Kontakt mit Blut und Körperflüssigkeit, wie er bei der Jagd und dem Schlachten von Tierkörpern vorkommt, kann zur Krankheitsübertragung führen und wird als der Hauptmechanismus der HIV-Entstehung angesehen. Und nach wie vor stellt Gorilla-Fleisch in vielen afrikanischen Staaten ein begehrtes Nahrungsmittel dar: Das gilt für verarmte Dorfbewohner in den Urwäldern genauso wie für die Kunden teurer Restaurants in den Städten.

Tieflandgorilla, Kamerun (Bild: Cecile Neel, IRD)