Postfaktisch in Sachen Palästina
Der israelische Filmemacher Dror Dayan über die Ein-Staaten-Lösung, politischen Widerstand der Israelis und Antisemitismus
In diesen Tagen hört man kaum etwas zur Lage in Israel und Palästina. Und wenn, dann ist die Berichterstattung - vor allem in Deutschland - mehr als nur einseitig. Dabei gibt es zahlreiche Menschen, die die Mainstream-Narrative des Konflikts regelmäßig herausfordern und zu durchbrechen versuchen. Einer von ihnen ist der israelische Filmemacher Dror Dayan, der seit einigen Jahren in Berlin lebt. Dessen jüngster Film "Even Though My Land is Burning" macht sehr deutlich, dass Israelis und Palästinenser in der Lage sind, gemeinsam für eine friedliche Zukunft zu kämpfen.
Hatten Sie persönliche Gründe für den Dreh Ihres Films?
Dror Dayan: Ich hatte einige Gründe. Während meines Filmstudiums in Deutschland fiel mir immer wieder auf, dass deutsche Filmstudenten ungern politische Themen in ihren Projekten behandeln. Selbst "deutsche" Themen blieben meistens unangetastet. Nach einigen Jahren traf ich die Entscheidung, einen Film zu drehen, der tatsächliche Probleme behandelt.
Der Hauptgrund war allerdings die Art und Weise wie der politische Kampf der Palästinenser in Deutschland negiert und diffamiert wird. Antizionismus wird etwa in vielen Kreisen, auch in vielen linken, als etwas Negatives betrachtet. Mit meinem Film wollte ich den Zuschauern deutlich machen, dass man gegen Zionismus sein kann und dass das nichts mit der eigenen Konfession oder Ethnie zu tun hat.
Des Weiteren war es mir wichtig, die Thematik der Ein-Staaten-Lösung aufzuwerfen. Ich wollte diesbezüglich nicht als eine Art Sprecher der Palästinenser agieren oder zum Ausdruck bringen, dass diese Lösung die einzige sei. Vielmehr wollte ich den Zuschauern deutlich machen, dass die Ein-Staaten-Lösung eine realistische Lösung ist, die von vielen Menschen unterstützt wird.
Innerhalb der deutschen Gesellschaft ist diese Lösung für viele Menschen weiterhin undenkbar. Das hat vor allem damit zu tun, dass sie im Kontrast zu der kolonialen Idee eines "Jüdischen Staates" steht. Für viele Deutsche ist das eine angenehme Haltung. Sie werden deshalb nicht mit ihrer eigenen historischen Vergangenheit konfrontiert und können sich aus der Verantwortung ziehen.
In Ihrem Film fokussieren Sie sich auf das besetzte Dorf Nabi Saleh im Westjordanland. Ist es richtig davon auszugehen, dass dieser Fall nur einer von vielen ist und viele Palästinenser unter denselben Umständen leiden?
Dror Dayan: Auf jeden Fall. In diesem Kontext darf man nicht vergessen, dass es Orte gibt, an denen noch schlimmere Zustände vorherrschen. Es ist etwa ganz klar, dass die Lage im Gaza-Streifen mit jener im Westjordanland nicht vergleichbar ist. Nabi Saleh ist für mich ein Fallbeispiel von vielen. Die Lage vor Ort macht deutlich, was passiert, wenn Menschen sich für eine gewisse Art von Widerstand entscheiden und sich während dieses Kampfes mit anderen Menschen verbünden. Ich denke, man kann von Nabi Saleh viel lernen, genauso wie von anderen Dörfern im besetzten Westjordanland. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass die Palästinafrage ein viel größeres Bild darstellt.
Der Hauptschwerpunkt des Films liegt auf antizionistischen, israelischen Juden, die die Anliegen der palästinensischen Bewohner Nabi Salehs unterstützen. Wieso ist deren Rolle so wichtig und was für eine spielen sie innerhalb der israelischen Gesellschaft?
Dror Dayan: Ich wollte aufzeigen, dass es die Möglichkeit einer solchen politischen Haltung gibt. Jeder israelische Jude hat die Möglichkeit, sich vom Zionismus zu lösen. Natürlich spielen auch hier viele Faktoren eine Rolle. Für manche ist es einfacher, sich von dieser Ideologie zu lösen als für andere.
Im Endeffekt hat allerdings absolut jeder die Möglichkeit, sich zumindest darüber zu informieren, was für eine Art von System man unterstützt, wenn man sich dem Zionismus verschreibt. Ignoranz ist eine Entscheidung, eine Wahl und die israelischen Protagonisten im Film machen dies deutlich. Innerhalb der israelischen Gesellschaft werden diese Menschen oftmals als Verräter oder Verrückte betrachtet.
Sie haben Israel vor elf Jahren verlassen. Wie kam es dazu?
Dror Dayan: In den letzten Jahren kam medial immer wieder die Frage auf, inwiefern das Verlassen Israels als politischer Akt betrachtet werden kann. Dass ich meiner Heimat den Rücken gekehrt habe, war in meinem Fall kein politischer Akt - dieser wäre es nämlich gewesen, wenn ich dort geblieben wäre und Widerstand gezeigt hätte. Mittlerweile ist mir das bewusst.
Im Grunde genommen war ich damals nur egoistisch. Ich wollte den Rest meines Lebens nicht in einer militaristischen und rassistischen Gesellschaft verbringen. Ich wollte nicht in einer Gesellschaft, die permanent nach rechts driftet und von Anfang an kolonial gewesen ist, keine Familie gründen und alt werden.
Gegenwärtig sind Sie in Berlin beheimatet, wo viele Israelis leben. Wieso haben Sie sich letztendlich für diesen Wohnort entschieden und warum ist er unter Israelis so populär?
Dror Dayan: Mein Großvater war ein deutscher Jude, der während der Nazi-Zeit aus Berlin floh. Aus diesem Grund war es für mich sehr einfach, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Das war einer der Gründe, warum ich nach Deutschland kam. Deutschland leugnet das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge - mein Rückkehrrecht nach Deutschland wurde mir allerdings ziemlich schnell gewährt.
Der Grund, warum Berlin bei vielen Israelis so beliebt ist, ist vor allem ein wirtschaftlicher. Berlin gehört zu den billigsten Städten Europas - und mit den richtigen Dokumenten kann man hier sehr einfach und angenehm leben. Es gibt eine blühende Kunst- und Kultur-Szene und alles ist sehr alternativ. Man kann in Berlin ein besseres und billigeres Nachtleben haben als etwa in Tel Aviv - und das ohne permanent daran erinnert zu werden, dass man fremdes Land besetzt.
Ich denke allerdings, dass sich auch die Sichtweise vieler junger Israelis auf den Zionismus verändert hat. Es ist nicht antizionistisch, nach Berlin zu ziehen. Dennoch ist es interessant, dass es Israelis ausgerechnet zu jenem Ort zieht, der - laut deren Sozialisierung - einst mehr oder weniger das wahrhaftige Grauen darstellte. Ich denke, das ist ein Beweis dafür, dass das zionistische Narrativ viele Menschen nicht befriedigt. Meine Hoffnung ist, dass diese Menschen dies irgendwann in politischen Widerstand umwandeln können. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Israelis in Berlin leben, sieht man nur wenige von ihnen auf Demonstrationen für Palästina.
Sie wurden aufgrund ihrer Arbeit oft verleumdet, vor allem von deutschen Linken. Was denken Sie allgemein über den Israel-Palästina-Diskurs in Deutschland?
Dror Dayan: Ich denke, dass mir im Vergleich zu vielen nichtjüdischen Aktivisten viel Verleumdung erspart geblieben ist. Es gibt immer noch eine Linie, die deutsche Zionisten nicht überschreiten, wenn sich jüdische Aktivisten für Palästina einsetzen. Deshalb ist es meines Erachtens nach auch eine Schande, dass so wenige jüdische Israelis hier kein Wort zu diesem Thema verlieren.
Bevor mein Film das erste Mal vorgeführt wurde, gab es eine Welle der Empörung. Die Vorführung fand im Umfang der "Israeli Apartheid Week" statt, die von zwei bedeutenden pro-palästinensischen Organisationen organisiert wurde. Das angemietete Kino wurden bereits Wochen zuvor von verschiedenen Akteuren und Individuen bedroht. Außerdem wurde eine Demonstration gegen die Vorführung organisiert. Der Kommentator einer Zeitung bezeichnete mich unter anderem als "koscheres Siegel für Judenhasser", was in meinen Augen eine antisemitische Beleidigung ist.
Dennoch ist es schwierig für deutsche Zionisten, jüdische Israelis als Antisemiten zu beschimpfen. Deshalb verhalten sie sich auch uns gegenüber sehr vorsichtig. Für sie ist es dennoch glaubwürdiger, uns als Irre zu betrachten, die von "bösen Arabern" manipuliert wurden, als zur Kenntnis zu nehmen, dass wir aufgrund unserer politischen Überzeugung agieren und die Ereignisse in Israel, jenem Ort, an dem wir aufwuchsen, in Frage stellen.
Ich denke allerdings auch, dass wir sehr vorsichtig mit der Bezeichnung "links" umgehen müssen. Viele jener, die mich und andere Personen verleumden, bezeichnen sich zwar als links, haben allerdings eine sehr neokonservative und kriegstreiberische Haltung. Sie imitieren de facto die US-amerikanische Rechte. Als Linke ist es unsere Pflicht aufzuzeigen, dass diese Personen unter uns keinen Platz haben.
Dennoch ist der Diskurs in Deutschland ein großes Problem, auch innerhalb der Linken. Führende Politiker innerhalb der Linken greifen Palästinenser immer wieder verbal an und werfen ihnen Antisemitismus vor. Für viele dieser vermeintlich Linken ist das Bashing von Palästinensern zu einer Art Karriereleiter innerhalb der Partei geworfen. In diesen Tagen hören wir immer wieder vom sogenannten "postfaktischen Zeitalter". Dabei ist es eine Tatsache, dass Deutschland sich in vielerlei Hinsicht in Sachen Palästina schon seit langem postfaktisch verhält.