"Power Politics" könnten Bestseller-Autorin ins Gefängnis bringen

Arundhati Roy hat wegen ihrer Proteste gegen ein Dammbauprojekt ein Problem mit dem indischen Obersten Gericht

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Die indische Autorin Arundhati Roy wurde mit dem Roman "Der Gott der kleinen Dinge" berühmt und gewann damit 1997 als erste englischsprachige indische Autorin den prestigeträchtigen Booker Prize. Seither benutzte sie ihre kulturelle Power, um sich als schreibende Aktivistin (oder aktivistische Schreiberin) in gewichtige politische Themen einzumischen. In ihrem Buch "Power Politics" kritisierte sie die indischen Atombombenpläne, die Privatisierung der Elektrizitätswirtschaft "in Zusammenarbeit" mit Konzernen wie Enron und den indischen Fortschritsmythos in Gestalt gigantischer hydroelektrischer Staudammprojekte. Damit hat sie sich allerdings nicht nur Freunde geschaffen. Nicht wegen des Buches selbst, aber wegen der darin verhandelten Themen hat Arundhati Roy ein sich bereits länger hinziehendes Problem mit dem indischen Supreme Court. Am 6.März entscheidet das Oberste Gericht, ob die Autorin wegen Missachtung der Würde des Gerichts ins Gefängnis muss.

Arundhati Roy

Das Narmada-Projekt ist eines jener Entwicklungsprojekte, das der Weltbank einen schlechten Ruf eingebracht hat. Es beinhaltet den Bau von 3200 Dämmen am Fluss Narmada, darunter 30 große. Schon vor der Publikation des Buches Power Politics verfasste Roy zahlreiche, vor allem in indischen Medien publizierte Artikel, in denen sie das Projekt in Frage stellte - seine Nützlichkeit für Stromerzeugung und Bewässerung, nicht zuletzt aber auch in Hinsicht auf das Schicksal Hunderttausender, denen eine zwangsweise Umsiedlung droht, ohne dass für adäquaten neuen Grund und Boden gesorgt ist. (siehe z.B. Dam buster)

Die Kontroverse kulminierte um die Errichtung des Sardar-Sarovar-Dammes, für den allein 200.000 Menschen umgesiedelt werden müssen. Die Weltbank zog sich schließlich von dem Projekt zurück, aber nicht so die indische Regierung und die lokalen Financiers. In zahlreichen juristischen Auseinandersetzungen zwischen Projektbetreibern und Narmada Bachao Andolan (NBA), einer Bürgerrechtsorganisation für die Rechte der Bewohner des Narmada-Tales, wurde um die Fortführung des Projekts gestritten. Bereits 1999 führte das zu ersten Drohungen über eine mögliche Anklage wegen Missachtung des Obersten Gerichts gegen Roy und NBA-Anwälte.

Am 18. Oktober 2000 schließlich entschied das indische Höchstgericht in letzter Instanz, dass der Sardar-Sarovar-Damm fertig gestellt werden kann. Die Heftigkeit der Auseinandersetzungen wird am besten dadurch illustriert, dass die indische Armee eingreifen musste, um Dorfbewohner zwangsweise zu evakuieren, die sich aus Protest ertränken wollten. Am 13.Dezember 2000 kam es zu einer eintätigen Demonstration einiger hundert Menschen aus dem Narmada-Tal vor den Toren des Höchstgerichts in New Dehli. Neben den Demonstranten, einem großen Polizei- und Presseaufgebot, nahm daran auch Arundhati Roy teil.

Am Tag darauf versuchten fünf Rechtsanwälte einen "First Information Report" bei der nächstgelegenen Polizeistation einzubringen. Ihre in diesem Bericht zusammengefassten Vorwürfe lauteten, dass Roy und die NBA-Vertreter Medha Patkar und Prashant Bhushan die Demonstration angeführt, beleidigende Aussagen gegenüber dem Gericht gemacht und die Anklagesteller physisch bedroht hätten. Die Polizeistation lehnte es schlichtweg ab, den Fall aufzunehmen und weiter zu verfolgen.

Im Januar 2001 reichten die selben fünf Anwälte eine Petition am Höchstgericht ein, die sich auf den Vorwurf der Missachtung des Gerichts durch Bhushan, Patkar und Roy konzentrierte. Der Fall wurde angenommen und das Gericht lud die drei zu einer Stellungnahme vor. Bhushan, Patkar und Roy antworteten mit jeweils eigenen eidesstattlichen Erklärungen, in denen sie alle Vorwürfe als bar jeder Indizien erklärten und darauf hinwiesen, dass diese so lächerlich seien, dass nicht einmal die lokale Polizeistation sie aufgenommen hätte (Bhushan z.B. war nachweislich an einem anderen Ort). Sie wiesen auch darauf hin, dass die Petition der Anklagenden alle notwendigen formalen Elemente vermissen ließ, von den Unterschriften der Antragsteller über ihre Adressen bis hin zum verdächtigen Fehlen einer eidesstattlichen Erklärung über den Wahrheitsgehalt ihrer Vorwürfe.

Am 28.August 2001 entschieden die Richter G B Pattanaik und Ruma Pal, dass die Petition es versäumte, in praktisch allen Punkten Beweismittel zu erbringen und wegen der erwähnten Formfehler null und nichtig ist. Sie fügten sogar hinzu, dass das Gerichtsamt wegen dieser Formfehler den Fall gar nicht erst annehmen hätte sollen. Dann aber platzte die Bombe. Richter G B Pattanaik und Ruma Pal sagten auch, dass drei Absätze in Arundhati Roys schriftlicher eidesstattlicher Erklärung prima facie tatsächlich eine Missachtung des Gerichts darstellten. Im ersten Absatz bezog sie sich auf einen Bestechungsskandal, der von einem indischen Online-Magazin aufgedeckt worden war und höchste Polit- und Militärkreise und Waffengeschäfte betraf:

"Davon ausgehend, dass die Richter des Höchstgerichts zu beschäftigt waren, erlaubte es der Oberste Richter nicht, dass ein amtierender Richter der Untersuchung über den Tehelka-Skandal vorsaß, obwohl dieser Angelegenheiten der nationalen Sicherheit und der Korruption in höchsten Kreisen betraf.

Wenn es aber um eine absurde, verachtenswerte, durch keinerlei Indizien erhärtete Petition geht, bei der alle drei Betroffenen ausgerechnet Personen sind, die öffentlich - allerdings in entschieden anderer Art und Weise - die Regierungspolitik in Frage gestellt und eine jüngste Entscheidung des Höchstgerichts ernsthaft kritisiert haben, dann zeigt das Gericht eine verstörende Bereitwilligkeit, eine Vorladung zu verfügen.

Das verweist auf eine beunruhigende Neigung des Gerichts, Kritik zum Schweigen zu bringen und abweichende Meinungen zu ersticken, sowie jene zu schikanieren und einzuschüchtern, die mit ihm nicht übereinstimmen. Indem das Gericht eine Petition angenommen hat, die nicht einmal von einer lokalen Polizeistation als verfolgenswert angesehen wurde, hat das Gericht seinem eigenen Ruf und Glaubwürdigkeit einen bedenklichen Schaden zugefügt."

Das Gericht befand, dass Roy mit diesen drei Absätzen "dem Gericht Absichten unterstellt" hätte, dass sie dem Gericht "Schikanen vorgeworfen" hätte, "als würde es sich auf einem persönlichem Rachefeldzug gegen sie befinden," und dass sie "Angelegenheiten in den Fall eingebracht hat, die nicht nur diesem Fall nicht zuträglich sind, sondern uninformierte Vergleiche aufgeworfen hat, die von der Gesetzgebung über faire Kritik nicht geschützt sind." Mit anderen Worten, das Gericht war sehr sauer. Was den Ärger nur noch verstärkt haben konnte, war der Umstand, dass die Schriftstellerin den Text der eidesstattlichen Erklärung am Tag der Anhörung auch in einer landesweiten Massenzeitschrift veröffentlicht hatte.

Am 5.September erging eine neue gerichtliche Vorladung an Arundhati Roy, in der ihr auf Basis der drei kritischen Absätze Missachtung der Würde des Gerichts vorgeworfen wurde. Roy zeigte sich unbeeindruckt. Zwar versuchte sie in einer neuen eidesstattlichen Erklärung in relativ versöhnlichem Tonfall zu veranschaulichen, unter welchen Umständen ihre erste Erklärung zustande gekommen war, doch danach ging sie gleich wieder zum Angriff über:

"Wenn die 3 Absätze meiner eidesstattlichen Erklärung als kriminelles Vergehen beurteilt werden, dann wird das zum frostigen Ergebnis haben, dass der Presse ein Maulkorb verabreicht wird und dass sie davon abgehalten wird, Angelegenheiten zu analysieren und zu kritisieren, die von vitalem Interesse für Millionen indischer Bürger sind. Das wäre ein bedauerlicher Schlag gegen eine der verantwortlichsten und widerstandsfähigsten Institutionen der indischen Demokratie... Die Aussicht, langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren auf sich zu ziehen, einschließlich einer möglichen Gefängnisstrafe, wird die Presse davon abhalten, über Angelegenheiten und Handlungen des Justizwesens zu schreiben. Die Justiz würde dadurch niemandem anderen als nur sich selbst gegenüber verantwortlich werden. Wenn sich, wie ich schon in meiner eidesstattlichen Erklärung vom 16.04.2001 geschrieben habe, die Justiz der öffentlichen Beurteilung und Verantwortlichkeit entzieht und sich von der Gesellschaft abschneidet, der zu dienen sie ursprünglich eingesetzt wurde, so bedeutet das, dass eine weitere Säule der indischen Demokratie früher oder später zusammenbrechen wird."

Am 15.Januar 2002 wurde der Fall verhandelt, hinter geschlossenen Türen, wobei nur akkreditierte Gerichtsreporter zugelassen waren. Einer der beiden Richter war R.P. Sethi, der andere G.B. Pattanaik. Letzterem wurde Befangenheit vorgeworfen, da es ja er selbst ist, der sich durch Roys Worte angegriffen gefühlt hatte. Doch ein entsprechender Antrag auf Befangenheit des Richters wurde mit der Begründung abgelehnt, er sei zu spät erfolgt. Für die Entscheidung, den Fall hinter geschlossenen Türen zu verhandeln, wurde keine Begründung angegeben. Vergleiche mit Fällen, bei denen es weit schlimmere Verunglimpfungen des Gerichts gegeben habe, ohne dass jemand verurteilt worden sei, wurden mit dem Hinweis ausgeräumt, dass die jeweiligen Angeklagten sich danach reuig gezeigt und entschuldigt hätten, was von der streitbaren Schriftstellerin nicht behauptet werden könne. Der Spruch des Gerichts über seine eigene Missachtung ist nun für den 6.März angesetzt. Die Höchststrafe für Roys "Verbrechen" ist sechs Monate Gefängnis.

Für den Tag des Urteilsspruchs ist bereits eine Demonstration vor den Toren des Gerichts angesetzt und Intellektuelle unterzeichnen im Internet zirkulierende Unterstützerschreiben für Arundhati Roy (Kontakt-Email (engl.) janmadhyam@vsnl.com). Denn, wie ihre Freunde vermuten, könnte die Gerichtsposse um den Vorwurf der "Missachtung der Würde des Gerichts" als bequemer Vorwand dienen, um eine lästige System-Kritikerin zu bestrafen. Eine allzu nahe Beziehung zwischen den Obersten Richtern und dem indischen Establishment wurde sogar vom ehemaligen Justizminister, Shiv Shanker, vermutet, der sagte, das Oberste Gericht zeige eine "unverhohlene Sympathie für die Besitzenden". Auch Salman Rushdie hat sich bereits eingeschaltet. In einem Artikel in der englischen Zeitung The Guardian stellt er dem Höchstgericht die Frage, ob es sich leisten kann, mit einer Entscheidung gegen Roy vor der Welt-Öffentlichkeit als Vertreter einseitiger Interessen - jenen der Dammbaulobby - angesehen zu werden.

Arundhati Roy hat sich mit einer Reihe kritischer Schriften exponiert. Noch auf der Welle des Ruhms ihres Erstlingsromans schrieb sie 'End of Imagination', einen ebenso poetischen wie politischen Essay über das indische Atombombenprogramm. In 'The Greater Common Good' kritisierte sie das seit Gandhi andauernde Dammbauprogramm, das zum Inbegriff des indischen Fortschritsmythos geworden ist, obwohl seine problematischen Nebeneffekte, z.B. 33 Millionen entwurzelte Menschen, inzwischen weithin anerkannt sind. Die Vermutung, dass es bei dem Gerichtsverfahren gegen Arundhati Roy darum geht, eine namhafte Kritikerin zu demontieren, die den Interessen einflussreicher Schichten im Wege steht, ist also nicht ganz abwegig. Trotz einer nationalistischen Hindu-Partei an der Macht und einem säbelrasselnden Militär, das gerade noch vom Krieg gegen Pakistan abgehalten werden konnte, ist die Meinungsfreiheit in Indien, der "größten Demokratie der Welt", relativ gut verankert. Wollen wir hoffen, dass es dabei bleibt.