"Prachtkerl Putin?"

Seite 2: Russische Realitäten

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In dem knappen Vierteljahrhundert, das folgte, habe ich fast alle Republiken der untergegangenen UdSSR bereist, mit Ausnahme der zentralasiatischen. Häufig stand ich dabei an den Grenzen Russlands, etwa im Südkaukasus auf der alten Heerstraße in Georgien, wo Russland hinter den schneebedeckten und majestätischen Gipfeln lag, oder im estnischen Narva, mit Blick auf die Nachbarstadt Iwangorod, einige Jahre zuvor.

Während unser Zug durch Tundra und Taiga in Richtung Westen brauste, unterbrochen von teilweise mehrtätigen Aufenthalten an verschiedenen Destinationen, begriff ich schnell, was die Grundlage für die Popularität des Präsidenten war.

Im Gegensatz zum Sommer 1991, war jene große Armut verschwunden, die damals jedem Besucher ins Auge sprang. Die Kriminalität hatte ein erträgliches Niveau erlangt und eine Marktwirtschaft hatte Wurzeln geschlagen. Das Land wirkte gesünder, wohlhabender und robuster als jemals zuvor.

Foto: Ramon Schack

Rund 110 Millionen Russen sind am Wochenende zur Wahl eines neuen Präsidenten aufgerufen, eine Wahl, an deren Ausgang keine Zweifel bestehen. Von den Grenzen zu Finnland bis zu den Gestaden des Pazifiks, vom Polarkreis bis zum Schwarzen Meer wird im größten Flächenstaat der Welt gewählt.

Russlands Geographie, das ist das Territorium der USA plus Westeuropa, bei einer Einwohnerzahl, die lediglich der Bevölkerung von Deutschland und Frankreich entspricht.

Drei historische Traumata

Drei historische Traumata haben sich bis heute tief ins kollektive Unterbewusstsein der Russen eingegraben. Das Tatarenjoch, das Zeitalter der Smuta (der politischen Wirren) sowie die 30 Jahre Herrschaft Stalin, der ganze Generationen, Klassen und Völker auslöschen ließ.

1943, mitten im 2. Weltkrieg (im großen Vaterländischen Krieg), inszenierte Sergei Eisenstein, Stalins Leib- und Magen-Regisseur, sein Werk "Iwan Grosny. Iwan der Schreckliche". Stalin verlangte nach einer cineastischen Legitimation seiner Terror-Herrschaft. Iwan der Schreckliche war eines seiner historischen Vorbilder.

In dem Film gibt es eine bezeichnende Szene. Die Massen strömen zum Kreml und bitten Iwan auf den Thron zurückzukehren. "Zar Iwan, gib uns Deine grausame, aber gerechte Herrschaft, wir fürchten uns vor den Wirren, vor der Freiheit." Diese Kundgebung wurde von Iwan als Volkswillen interpretiert, natürlich auch von Stalin.

Mit dabei ist der kommunistische "Erdbeermagnat" Pawel Grudinin, von der kommunistischen Partei als "roter Kapitalist" vermarktet. Dann der Ultranationalist Wladimir Schirinowski, der für die Liberaldemokratische Partei (LDPR) antritt und bekannt ist für seine Ausfälle, verbalen Entgleisungen und schrille Auftritte.