Präsenzgottesdienste: Von Extrawürsten und "Nudelmessen"
Die Sonderrechte der Kirchen im Corona-Lockdown geben Anlass zum Spott. Weniger lustig ist die unterschiedliche Bewertung von Seelenheil und psychischer Gesundheit allgemein
Anders als die meisten Beschlüsse der Bund-Länder-Runde vom frühen Dienstagmorgen war es ohnehin als Bitte formuliert, "religiöse Versammlungen in dieser Zeit nur virtuell durchzuführen". Aber selbst diese Bitte an die Kirchen hat die Bundesregierung in der am Donnerstag verschickten Neufassung der Beschlüsse zum weiteren Vorgehen in der Corona-Krise zurückgezogen. So werden über die Osterfeiertage an vielen Orten in Deutschland Präsenzgottesdienste stattfinden, während Theater seit Monaten geschlossen sind - und das nicht aufgrund einer Bitte.
Durch das Grundgesetz ist zwar die Kunstfreiheit nicht weniger geschützt als die freie Religionsausübung, wie der Rechtswissenschaftler Thorsten Kingreen schon vor Monaten betonte. Aber der ursprüngliche Appell zum Verzicht auf Präsenzgottesdienste war nicht nur auf Widerstand in katholischen und evangelischen Kirchenkreisen gestoßen - auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte die Bitte kritisiert.
Die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, Simone Barrientos, merkte dazu "ganz populistisch" gegenüber Telepolis an: "Gottesdienste sind ja gewissermaßen auch Theater - aber wenn sie schon stattfinden sollen, dann bitte mit Live-Musik, damit eine Berufsgruppe, der seit Monaten Einnahmen fehlen, endlich mal wieder Aufträge hat. Oder die Theater laden jeweils einen Pfarrer zu den Vorstellungen ein, der dann auch ein paar Worte predigen darf."
Was im Corona-Lockdown erlaubt ist, kann zwar im Ernstfall tatsächlich davon abhängen, ob es mit einer Predigt kombiniert wird - die aber muss zumindest ein Geistlicher einer anerkannten Religionsgemeinschaft halten. Die bisher nicht anerkannte "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters" konnte daher hilfesuchenden Restaurantbetreibern nicht weiterhelfen, als diese nach Schlupflöchern suchten und Gaststättenbesuche zu "Nudelmessen" umwidmen wollten, um der Pleitewelle zu entgehen.
An den für Ostern geplanten Präsenzgottesdiensten der Amtskirchen können allerdings weniger Menschen als sonst teilnehmen, die sich in der Regel vorher anmelden müssen. Im Münchner Dom sollen laut erzbischöflichem Ordinariat zum Pontifikalamt und zu den Karmetten mit Kardinal Reinhard Marx 130 Personen zugelassen sein. Sonst kommen dort zu Gottesdiensten an Weihnachten und Ostern teils weit über 1.000 Gläubige zusammen. Die Mehrzahl der Interessierten wird wohl dieses Mal die Möglichkeit nutzen müssen, an einem der Gottesdienste teilzunehmen, die live im Internet übertragen werden.
Im November hatte der Kulturbeauftragte des Rats Evangelischen Kirche, Johann Hinrich Claussen, die Sonderstellung der Kirchen gegenüber Kultureinrichtungen und Kneipen im Corona-Lockdown verteidigt: Bei den Gottesdiensten gehe es auch um Totengedenken, Frieden und Versöhnung. "Wir können den Menschen jetzt wirklich helfen", hatte Claussen im Interview mit der Zeit erklärt. Außerdem, betonte er, würden sich die großen Kirchen an die Hygieneregeln halten.
Gottlose Selbsthilfe
Wenn es bei Gottesdiensten um das Seelenheil, also letztendlich die psychische Gesundheit der Gläubigen geht, stellt sich aber die Frage der Gleichbehandlung nichtreligiöser Menschen, die Treffen von Selbsthilfegruppen bevorzugen, wenn sie trauern oder Depressionen haben. Denn nicht überall, wo bisher während der Pandemie in Deutschland Präsenzgottesdienste möglich waren konnten zur selben Zeit auch solche Gruppentreffen stattfinden. Zuständig sind Landesgesundheitsministerien und Kreisverwaltungsbehörden, deren Personal oft nicht sachkundig und desinteressiert ist.
Die Deutsche Depressionshilfe berichtete darüber hinaus von massiven Einschränkungen in der Behandlung von Menschen mit diagnostizierter Depression durch die Corona-Maßnahmen. Im ersten Lockdown habe etwa die Hälfte der Betroffenen solche Einschränkungen hinnehmen müssen, später berichteten 44 Prozent von einer Verschlechterung ihres Krankheitsverlaufs.
Ganz zu schweigen von Kulturschaffenden, die vorher gar keine Depressionen hatten und erst durch verordnete Untätigkeit und bürokratische Hürden für Unterstützungsleistungen in eine psychische Krise gestürzt wurden.
Wenn die sich alle "mal nicht so haben" sollen, weil es bei der Eindämmung des Covid-19-Virus schließlich um Menschenleben geht, darf das auch von den Gläubigen erwartet werden.
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