Prekäre Verhältnisse: Kämpfe um das syrische Öl
Die USA sichern die Ölfelder in Hasaka und Deir ez-Zor angeblich für die Kurden, die schon seit 2012 Öl in Verletzung der US-Sanktionen an Damaskus und an den Todfeind Türkei verkaufen
Als Donald Trump nach einem Gespräch mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan am 6. Oktober den Rückzug der US-Truppen anordnete, um das Fanal zur türkischen Offensive zu geben, kam kurz danach aus dem Weißen Haus ein Stopp. Die Truppen sollten doch nicht ganz abgezogen werden, sondern nun die Ölquellen im Südosten des Landes sichern. Der IS sollte angeblich nicht wieder an das Öl herankommen, die Einnahmen aus dem Öl sollten weiterhin den Kurden, also den nach Ansichten der türkischen Regierung "Terroristen" von der YPG und den SDF, zukommen.
Die von den Kurden nach der Vertreibung des IS ausgebeuteten Ölquellen befinden sich nicht in Gebieten, die mehrheitlich von Kurden bewohnt sind, sondern meist von Stämmen sunnitischer Araber. Die Kurden, die die militärische Kontrolle ausüben, haben zwar wie üblich einen Militärrat aus der lokalen Bevölkerung aufgebaut, werden aber auch als Besatzer erlebt. Zumal in Deir ez-Zor und Raqqa al-Qaida und später der IS viele Anhänger gefunden hat. Nur die Stadt selbst war von Damaskus gehalten worden. Damaskus kontrolliert nun mit der Stadt auch das al-Shaer-Gasfeld in Homs und Gas- sowie Ölfelder in Palmyra. Geschätzt wird, dass hier 9000 Barrel pro Tag produziert werden.
Die restlichen 70 Prozent der Ölquellen werden wie das al-Omar-Feld, das größte Ölvorkommen Syriens, von den SDF kontrolliert. Daneben haben die Kurden noch Ölfelder in Al-Hasakah wie Rmeilan und Qaytaniyah. In Rmeilan, nahe der syrisch-türkischen Grenze, wurden nach dem "Rückzug" der US-Truppen auch amerikanische Patrouillen gesichtet, dort sollen US-Truppen einen Stützpunkt aufbauen. Gleichzeitig rücken hier aber auch syrische Truppen vor. Die Pipelines von hier nach Homs und zu den Banias-Raffinerien sollen durch Sabotage zerstört worden sein.
"Keep the oil!"
Durch den Krieg sind nicht nur viele Bewohner der Region geflüchtet, sondern es ist auch die Ölproduktion eingebrochen, nicht zuletzt haben die Amerikaner die Ölanlagen des IS in Deir ez-Zor seit 2015 mit der Operation Tidal Wave II bombardiert und schwer zerstört. Der konnte in seiner Blütezeit 2015 angeblich mehr als 500 Millionen US-Dollar oder 40 Millionen im Monat mit Ölverkäufen an Damaskus, aber auch an die Türkei verdienen.
Darauf bezog sich vermutlich Trump Ende Oktober, als er noch einmal das Bleiben der US-Truppen in Syrien rechtfertigte: "We're keeping the oil — remember that. I've always said that: 'Keep the oil.' We want to keep the oil. Forty-five million dollars a month? Keep the oil." Das klang so, als würde die US-Regierung das Öl für sich beanspruchen. Assad meinte, die Amerikaner stehlen syrisches Öl, das russische Verteidigungsministerium sprach von einem "staatlichen Banditentum", die Profite würden Ölschmugglern zugutekommen. Daraufhin korrigierte das Pentagon schnell und erklärte, die Einnahmen würden den Kurden zukommen.
Nach Schätzungen fördern die Kurden jetzt nur noch 15.000-30.000 Barrel am Tag. Der IS konnte noch 40.000 Barrel am Tag fördern, 2011, also vor dem Bürgerkrieg, waren es noch fast 400.000 Barrel und verschaffte Syrien ein Viertel seiner Staatseinnahmen. Die Gasfelder an der Mittelmeerküste sind mit 250 Milliarden Kubikmeter bedeutend größer, aber noch nicht erschlossen. Assad hat hier Verträge mit Russland geschlossen.
Das Öl war und ist also für Syrien wichtig, für den globalen Ölmarkt spielt es aber praktisch keine Rolle und stellte mit den 400.000 Barrel auch nur weniger als 0,5 Prozent der Gesamtmenge. Die verbliebene Menge von geschätzten 2,5 Millionen Barrel ist vergleichsweise winzig. Die USA fördern jetzt als Vergleich 12,5 Millionen Barrel am Tag. Zudem ist das Öl teurer zu fördern und von minderer Qualität, die Ölfelder sind verstreut und meist weit entfernt von Häfen.
Für die Kurden sind die Ölfelder überlebenswichtig
Warum also wollen die Amerikaner die Ölfelder über die SDF kontrollieren? Der IS dürfte so schnell nicht wieder eine Rolle spielen. Vermutlich soll Damaskus weiter geschwächt werden, es könnte auch bei einem politischen Prozess als Verhandlungsmasse in einem quid pro quo dienen. Oder wollen die USA dafür sorgen, dass in einem geteilten Syrien die von ihr kontrollierten Gebiete zum Wiederaufbau ein Einkommen besitzen? Schwer könnte es werden, wenn die Kurden sich doch wieder der Assad-Regierung annähern, erste Schritte waren bereits nach der türkischen Invasion erfolgt. Ohne die Ölfelder mitzubringen, würde hier wohl nicht viel laufen.
Für die Kurden sind die Ölfelder dennoch wichtig. Sie verkaufen das Barrel für 30 US-Dollar - wobei die Förderung mehr als 20 US-Dollar kosten soll (in Saudi-Arabien sind es 5 US-Dollar) -, sollen aber damit immerhin 10 Millionen US-Dollar monatlich einnehmen, schreibt Asharq Al-Awsat, eine saudische Zeitung, die nicht von Interessen frei berichten wird. Die SDF machen nach ihr weiterhin wie zuvor der IS Geschäfte mit der Assad-Regierung. Die Händler sollen dieselben sein wie zu Zeiten des IS. Genannt wird u.a. Hussam al-Qaterji, der Abgeordneter im syrischen Parlament ist und seine eigene Miliz unterhält. Ob die USA die Ölfelder vor allem gegen den Zugriff Irans und Russlands, beides Länder mit riesigen Öl- und Gasvorkommen, schützen wollen, wie man in Asharq Al-Awsat meint, würde nur Sinn machen, wenn dadurch auch Damaskus von ihnen abgeschnitten bleibt.
Robert O'Brian, seit September Trumps Sicherheitsberater nach John Boltons Rücktritt, hat den Deal mit der Türkei eingefädelt und kürzlich eingestanden, dass die Kurden das Öl in Verstoß gegen die verhängten Sanktionen der USA auch an Damaskus verkaufen: "Etwas geht zum Regime. Etwas wird lokal verbraucht. Etwas geht ins irakische Kurdistan. Etwas geht in die Türkei. Entscheidend ist aber nicht, wohin das Öl geht, sondern wohin die Einnahmen gehen."
Interessant ist, dass O'Brian nicht nur eingesteht, dass die Kurden gegen die Sanktionen verstoßen, was offenbar geduldet wird, sondern dass sie auch Geschäfte direkt oder über Erbil mit der Türkei machen, die ja wiederum die SDF als Terroristen bezeichnet und gegen sie Krieg führt. So lange die Türkei die Ölgeschäfte zulässt, fördert sie also die Finanzierung der SDF. Und die Kurden verdienen wiederum an den Geschäften mit ihren Feinden.
Feinde als Handelspartner
Nach Informationen von Al-Monitor wird Öl vor allem von den Rmeilan- und Qaytaniyah-Feldern über Erbil in die Türkei gebracht, schließlich hat es den Marktvorteil, dass es billiger ist. Nach einem ehemaligen Mitarbeiter des Weißen Hauses sollen jeden Tag 300 Tanklastwagen ins irakische Kurdistan fahren, es soll auch eine Pipeline geben, es geht um 6000-8000 Barrel täglich. Es wird einfach als irakisches Öl ausgegeben. Für die Kurden sind die obzwar geringen Einnahmen dennoch enorm wichtig. Gegenüber Al-Monitor sagte ein SDF-Informant: "Wenn wir die Öleinnahmen verlieren, wird unser System zusammenbrechen." Das auch deswegen, weil Trump sogenannte Stabilisierungsgelder für Syrien eingefroren hat, die Europäer nicht mehr geben und auch das Geld von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgeht.
Ein kleiner Teil des Öls bleibt in Erbil, weil es deutlich billiger ist, der Rest geht in die Türkei, aber einiges soll auch nach Israel gehen, um das Spielfeld noch komplizierter zu machen. An den Schaltzentralen sitzen Mitglieder der in der Autonomen Region Kurdistan (KRG) herrschenden Partei KDP der Barzani-Oligarchen-Familie. Die hatte schon vor Jahren einen Deal mit der Türkei ausgehandelt, Öl unabhängig vom irakischen Staat zu liefern, was zu schweren Verwerfungen mit Bagdad führte. Obwohl der Ölhandel über die KRG mit der Türkei lief, gab es Konflikte zwischen den irakischen und den syrischen Kurden. Erbil wollte an den Deals mit der Türkei festhalten, die wichtiger waren als die Solidarität mit den syrischen Kurden, die wiederum mit der PKK verbunden sind.
Angeblich haben die Amerikaner mit der KRG vereinbart, dass der Grenzübergang Fish Khabur für Ölexporte nach KRG geöffnet bleibt, um die Versorgung der amerikanischen Stützpunkte im Irak zu sichern, aber auch zu garantieren, dass die SFD/YPG nicht von Damaskus abhängiger werden. Aber offenbar haben die Kurden seit 2012 auch direkt Öl in die Türkei über Kobane, Qamishli und Afrin geliefert. Jetzt sollen noch täglich 100 Tanklastwagen Öl von den SDF-kontrollierten Gebieten in das von Türken beherrschte Dscharablus bringen.
Ende November berichtete die syrische staatliche Nachrichtenagentur, dass einige Tanklastwagen und Raffinerien zerstört worden seien, nachdem bestätigt wurde, dass einige kurdische Organisationen über die KRG Öl in die Türkei schmuggeln. Man werde scharfe Vorkehrungen einsetzen, um den Ölschmuggel aus Syrien zu verhindern. Al-Monitor behauptet, es habe sich um russische Angriffe gehandelt. Würde also Russland, das auch mit der Türkei kooperiert, versuchen, die Ölgeschäfte der syrischen Kurden mit der Türkei zu unterbinden? Das könnte den Zweck haben, die Kurden enger an Damaskus über die Geschäfte mit dem Öl zu binden. Al-Monitor sieht den Angriff jedenfalls als Beginn einer Kampagne, die SDF unter Druck zu setzen.