Prepper-Ratgeber: Pfadfinden für Erwachsene
Ulrike Heitmüller über Survival, Elite-Survival und eine Tötungsrate von 200:1
Was tun, wenn plötzlich eine Atombombe fällt? Sterben? Manche Menschen schreiben Bücher übers Überleben und geben auch für diesen Fall kluge Ratschläge. Heutzutage kann an sich für fast alles rüsten, die Literatur zum Thema Überleben, englisch: "Survival", ist enorm.
Die meisten Bücher handeln vom Überleben in der Wildnis, andere vom Überleben in der Stadt oder von Selbstverteidigung. Bernd Tesch, der selbst Survival-Trainings anbietet, führt auf seiner Website eine kommentierte Liste mit etwa 150 Buchtiteln zum Thema Survival an, und verweist auf weitere Literaturlisten, eine von der Züricher Survival Outdoor Schule mit gut 600 Titeln und eine weitere von Jean Ufniarz.
Eine recht spezifische Richtung dieser Bücher hat einen militärischen Hintergrund: Da gibt es dann ganz besondere Tipps, wie etwa - ganz neu - vom ehemaligen Elitesoldaten Cade Courtley, der ein Buch darüber schrieb, wie man sein Überleben gerade dann bewerkstelligt, wenn man unversehens in einem Atomkrieg, einer Wüste oder einem abstürzenden Flugzeug sitzt: Der Navy Seal Survival-Guide.
Courtley hat seine Grundausbildung bei den Navy Seals abgeschlossen, einer Eliteeinheit der US Navy. Als solcher hat er natürlich Ahnung von Überlebenstechniken. So wie jeder, der zum Beispiel mal bei den Pfadfindern oder der Bundeswehr war. Aber Courtley kennt eben noch ein paar spezielle Techniken mehr.
Ein anderer ehemaliger Elitesoldat, der zum Thema schreibt, ist Bear Grylls. Und John Boswell hat für sein US Army Survival Handbuch Broschüren der amerikanischen Bodentruppen ausgewertet.
Der bekannteste deutsche Autor zum Thema dürfte Rüdiger Nehberg sein, der auf seiner Homepage 16 selbst geschriebene Bücher auflistet - allerdings nicht alle über das Überleben. Nehberg war selbstständiger Konditor und einer der ersten Survival-Fachleute in Deutschland. Laut der Darstellung auf seiner Website hörte er zum ersten Mal in den 1960er Jahren in den USA von dem Thema. Nehberg reiste gern, und er wollte sich auch ohne Ausrüstung "weit abseits aller menschlichen Wege autark aufhalten." Demnach importierte er das Thema aus den USA nach Europa, und sein Buch Die Kunst zu überleben aus dem Jahr 1979 "wurde ein Bestseller und begründete die Survivalbewegung in Europa".
Survival - und Pfadfinden
Survival mutet in manchen Teilen ein wenig wie "Pfadfinden für Erwachsene" an. Die Pfadfinder-Bewegung ist natürlich viel älter, und es gibt auch zahlreiche Bücher zu diesem Thema. Schon ein paar Jahre vor Nehberg veröffentlichten zum Beispiel Piet Strunk und Jürgen Abels Das große Abenteuer. Ein erster Band vermittelt Basiswissen für "junge Entdecker, Waldläufer und Pfadfinder" vom Feuermachen bis zum Brückenbauen. In einem zweiten Band gehen Strunk und Abels weiter, da erklären sie zum Beispiel, wie man Kanus und feste Unterkünfte baut.
Die Autoren hatten ihr Buch zunächst im Selbstverlag veröffentlicht und waren vom Erfolg überrascht. Dann erschienen der erste Band 1973 im Marburger Wenzel Verlag, der eigentlich auf Fachliteratur im Bereich Feuerwehr und Feuerwehrausbildung spezialisiert ist. Die beiden Abenteuer-Bände gibt es heute nur noch privat oder beim Antiquar. Wenzel brachte auch einen Kompaktband heraus, in dem die Geschichte der Pfadfinderbewegung erzählt wird. Dieses Buch steht noch auf der Website des Verlages - als einziges Werk zum Verlagsschwerpunkt Pfadfinder und mit dem Vermerk, dass es nicht mehr lieferbar sei und auch nicht mehr aufgelegt werde - trotzdem sucht der Verlag weitere Fachautoren auch für den Bereich Pfadfinderliteratur
Interessant an der Arbeit von Strunk und Abels ist, dass sie auch Tipps für das große Abenteuer zuhause geben, etwa zum Bau von Bücherregalen: Es geht ihnen nicht nur um das Leben in der Natur, sondern um ein Zurechtfinden in der ganzen Umwelt, sei es in der Natur oder Zuhause-Lebenswirklichkeit braver Jugendlicher in den 1970er Jahren.
Dies passt zur Geschichte der Pfadfinderbewegung: Diese begann nach der Selbstdarstellung des Bundes der Pfadfinderinnen und Pfadfinder zu Anfang des 20. Jahrhunderts mit einem Zeltlager von etwa 20 Jugendlichen in England. Der Veranstalter wollte "allen jungen Menschen ermöglichen, sich zu verantwortungsbewussten Bürgern zu entwickeln, die sich für die Gesellschaft einsetzen und die offen sind für ihre Mitmenschen, unabhängig ihrer Herkunft oder möglicher Unterschiede." Daraus habe sich eine internationale Jugendbewegung entwickelt. In Deutschland sei sie durch die hiesige Jugendbewegung entstanden, eine Gegenbewegung zum "'Bürgermief' der damaligen Zeit". In den 1930er Jahren wurden sie der Hitlerjugend eingegliedert oder aufgelöst, und entstanden erst wieder nach Ende des Zweiten Weltkrieges neu.
In was für einer Welt leben wir?
In der Pfadfinderbewegung soll die Welt etwas besser gemacht werden - durch Erziehung junger Menschen zu sozialem Verantwortungsbewusstsein mit Hilfe von Erlebnissen in der Gruppe und der Natur. Rüdiger Nehberg betont sein politisches und soziales Engagement. Auch Cade Courtley betont Verantwortung. Aber sein Weltbild ist ein anderes: Er schreibt: "Die Welt ist ein gefährlicher Ort, und sie wird von Tag zu Tag gefährlicher."1 Nun ja, die Zeiten von Pest und Cholera sind hoffentlich vorbei, die Medizin macht Fortschritte, und gerade in Mitteleuropa geht es uns gut. Terroranschläge sind extrem selten. Kurz: Die Menschen werden immer älter - woraus man doch schließen könnte, dass die Welt nicht gefährlicher wird. Trotzdem gibt er eine Anleitung zur innerlichen und äußerlichen Abhärtung und lobt die Ausbildung bei den Navy Seals, die den Einzelnen erst breche und dann wieder aufbaue.2
Man kann Anleitungen für das Verhalten bei einem Atomangriff3 für überflüssig halten, man kann sie als leichte Unterhaltung goutieren wie eine Gruselgeschichte, man kann sie auch interessehalber lesen und für den Notfall im Hinterkopf speichern. Viele Ratschläge sind nützlich, aber definitiv nicht alle, und man fragt sich, wie ausgerechnet einem ehemaligen Elitesoldaten solche Schnitzer unterlaufen konnten:
So verpricht Cade Courtley, dass man mit wirkungsvollem Training bei Auseinandersetzungen als Sieger herausgehe4; bei der Beschreibung, wie man seinen Gegner in den Schwitzkasten nimmt, ist das Bild spiegelverkehrt zum Text5; und er rät6, einen Verletzten als Erstes zu beatmen, obwohl die American Heart Association schon im Jahr 2010 empfohlen hat, die damals noch übliche Reihenfolge umzukehren und besser mit der Herzdruckmassage anzufangen.
Dabei bedankt er sich7 bei den Sanitätern der Feuerwehr von Westminster, Colorado, "die dafür gesorgt haben, dass alle Angaben über Gesundheitsfragen genau und auf dem neuesten Stand sind." - Wer sinnvollere Tipps sucht: Es gibt sie beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.
Was bei Courtley besonders auffällt: Anders als Pfadfinder oder Survival-Autoren wie Nehberg, die die Welt eher auf freundliche Art verbessern wollen, gibt Courtley Anleitungen dazu, sich durch kriegerische Techniken und Taktiken in der Welt zu behaupten, er schreibt auch von "Kriegern"8 und wenn es um Erste-Hilfe-Techniken geht, dann empfiehlt er, bei einer Gruppe die Führung zu übernehmen, um die Maßnahmen effektiv durchzuführen. Das ist sicher sinnvoll, aber was für ein Weltbild spiegelt dies wider?
Der Schweizer Major Hans von Dach (1926-2002) hatte im Jahr 1956 ein ähnliches Buch herausgebracht (kritisch dazu: der Schweizer Autor Max Küng in der Süddeutschen, Zeitung - und ja, das Buch wirkt heutzutage wirklich etwas skurril). Von Dach fürchtete damals einen Angriff der UdSSR auf die Schweiz, glaubte also, eine reale Gefahr zu sehen: Darin ähnelt er Courtley. Aber von Dach geht es um die Verteidigung eines Landes innerhalb, nun ja, geregelter Bahnen. Es geht um Widerstand. Ihm geht es um eine Gemeinschaft des Heimatlandes. Er fürchtet mit der UdSSR einen einzigen Feind.
Cade Courtley dagegen schreibt anders: Zusammen ist der Leser vielleicht mit seiner Familie. Verbünden kann er sich gegen Einbrecher mit seinen Nachbarn, und, je nach Situation, mit weiteren Betroffenen oder Zeugen eines Unfalls oder Angriffs. Aber damit hat es sich auch: Cade Courtley schreibt, als stünde sein Leser allein gegen den Rest der Welt.
Vielleicht hat er auch Recht damit - Courtley schreibt von Kampfeinsätzen der Navy Seals: Diese hätten sich in Vietnam einen Namen gemacht, wo zwei ihrer Teams "eine unglaubliche Tötungsrate von 200:1 erzielten". Jemand mit seiner Einstellung hat wahrscheinlich wirklich viele Gegner. Er macht sie sich nämlich.
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