Pressefreiheit: Medienanstalten als Hüter der Wahrheit – Gegenmeinung unerwünscht?

Landesanstalt für Medien NRW, Düsseldorf. Bild: Tobias Arhelger /Shutterstock

Medienaufsicht rügt Multipolar-Magazin. Wie Ziele der "Letzten Generation" dargestellt werden. Warum die Lokalzeitung für das große Bild so wichtig ist.

Was guter Journalismus ist, wird schon heftig genug diskutiert. Doch gelegentlich geht es sogar – nicht nur hier im Forum – darum, wie "richtiger Journalismus" aussieht, also etwas, das sich überhaupt erst so nennen darf.

Drei ganz unterschiedliche Fälle zeigen die Spannweite.

Behörde gegen Multipolar

Wenig Medienresonanz hat bisher ein Vorgang der Landesmedienanstalt NRW gefunden. Wie das Magazin Multipolar öffentlich machte, hat die für den privaten Rundfunk und Online-Medien zuständige Aufsichtsbehörde vier Passagen in Beiträgen von 2022 bis 2024 beanstandet.

Laut Schreiben, das Multipolar veröffentlicht hat, liege eine Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten vor. In § 19 des Medienstaatsvertrags (MStV) heißt es, unter die Medienaufsicht fallende Online-Medien "haben den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen". Ferner heißt es dort:

Nachrichten sind vom Anbieter vor ihrer Verbreitung mit der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen.

§ 19 MStV

Im zweiten Absatz wird noch gefordert, bei der Wiedergabe von Meinungsumfragen ausdrücklich anzugeben, ob sie repräsentativ seien. Mehr Details gibt es nicht. Insbesondere bleibt offen, welche Autorität journalistische Grundsätze festlegt.

Die Landesmedienanstalt NRW schreibt Multipolar dazu:

Zu Ihren zentralen Pflichten (...) gehört es, ordnungsgemäß zu recherchieren und Quellen sorgfältig auszuwählen. (...) Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche kenntlich zu machen.

Landesanstalt für Medien NRW, 23.08.2024

Ohne Quellenangabe belehrt die Anstalt u.a. über die Pflicht, "Tatsachenbehauptungen (...) grds. mit einer vertrauenswürdigen Quelle zu belegen".

Zu den beanstandeten Stellen gehört die folgende Aussage eines "Fabian" genannten Berliner Feuerwehrmanns zu seinen Eindrücken aus dem Rettungsdienst während der Corona-Pandemie:

Im Nachhinein muss ich sagen: Man wollte aber kopflose Panik verbreiten und man hat es geschafft. Ich habe natürlich gesehen, dass es überhaupt keinen Grund für die Angst gab, weil ja die Krankenhäuser frei waren.

Multipolar, Interview, 12. 06. 2024

Diese Wahrnehmung des "Fabian" genannten Feuerwehrmanns hält die Landesmedienanstalt für falsch. Denn es gebe "stichhaltige Belege dafür, dass in der Hochzeit der Pandemie viele Krankenhäuser unter erheblichen Kapazitätsengpässen litten. So betrug die Gesamtzahl der freien Intensivbetten über die Covid-19 Pandemie am Anfang ca. 12.000 und reduzierte sich dann im Laufe der Pandemie auf ca. 3.000".

Die Richtigkeit ihrer eigenen Sichtweise belegt die Behörde dabei mit einer Prognose aus der Süddeutschen Zeitung vom 9. November 2021.

Wenn allerdings erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt einer Aussage des Interviewpartners bestehen, gebietet es die journalistische Sorgfaltspflicht, kritische Nachfragen zu stellen, dazu (zu) recherchieren und/ oder etwaige falsche Tatsachenbehauptungen des Interviewpartners unmittelbar einzuordnen (...). Da (...) eine solche Einordnung unterblieben ist, bestehen eindeutige Anhaltspunkte dafür, dass gegen die anerkannten journalistischen Grundsätze verstoßen wurde.

Landesanstalt für Medien NRW, 23.08.2024

Gegen die Ermächtigung der Medienanstalten, in dieser Form gegen Veröffentlichungen vorzugehen, die ihrer Aufsicht unterstehen, gab es schon vor der entsprechenden Neuregelung erhebliche Bedenken, wie Multipolar in einem weiteren Beitrag ausführt.

Darin wird auch deutlich, dass die Redaktion erwägt, es auf einen Gerichtsstreit ankommen zu lassen. Denn immerhin geht es um eine Abgrenzung zum grundgesetzlich garantierten Zensurverbot.

Die Landesmedienanstalt NRW schloss ihr nicht namentlich gezeichnetes Schreiben so:

Wir bitten Sie, Ihr gesamtes (fett gedruckt, Anm. d.A.) Angebot auf die Einhaltung der journalistischen Sorgfaltspflicht hin zu überprüfen und diese bei zukünftigen Beiträgen zu beachten. Sollte eine Anpassung oder Stellungnahme unterbleiben, werden wir zeitnah ein förmliches Verwaltungsverfahren einleiten.

Landesanstalt für Medien NRW, 23.08.2024

Wie soll über "Klimaproteste" berichtet werden?

In der Sendung "@mediasres" des Deutschlandfunks hat sich Brigitte Baetz mit dem Journalistiker Michael Brüggemann und dem Journalisten Carel Mohn über Klimaberichterstattung unterhalten. Daraus sei eine längere Ausführung Brüggemanns zitiert:

Die zweite Debatte, die – denke ich – großen Schaden angerichtet hat, ist die um die "Letzte Generation", die ebenfalls explodiert ist. Und daran haben Journalisten ihren Anteil. (...) Wir haben gesehen, dass (es) bestimmte Frames (gab), wo die Klimaaktivisten als Extremisten, als Radikale, als Kriminelle bezeichnet werden.

Diese Frames gab es bei Medien wie der Bild-Zeitung, Tichys Einblick oder der Jungen Freiheit. Diese Frames gab es schon bei "Fridays for Future", als das diskutiert wurde. Und die wurden übernommen, als es um die "Letzte Generation" ging. Und das wurde befeuert von konservativen Politikern, von Interessensvertretern, es war bayerischer Wahlkampf und so.

Natürlich ist die Politik da die, die die Messages reingeben, die davon sprechen, das sind Terroristen und Mörder und so weiter. Aber Journalistinnen, Journalisten sind dann diejenigen, die überlegen müssen: Ist die Aussage dieses Polizeigewerkschaftlers, der gesellschaftspolitisch überhaupt keine Rolle spielt, ist die wichtig, muss man die zitieren, wie prominent bringt man die?

Und dann war es eben so, dass dieses Framing der Letzten Generation als extreme Gruppe, als – der Spiegel titelte "Staatsfeinde", teilweise auch als Mörder, das war jetzt ein bisschen weniger in den seriösen Medien natürlich – dieses Framing, darüber aus dieser Perspektive zu reden, (gab es) in allen Medien, auch in linken.

Die haben eben auch dann darüber geschrieben (....). Und (...) nicht über das eigentliche Anliegen, also Klimaschutz, ist die Politik der Regierung hinreichend, hat die Letzte Generation mit ihren Forderungen recht oder sowas, das ist eben bei allen Medien in den Hintergrund getreten.

Prof. Michael Brüggemann, Deutschlandfunk, 23. August 2024

Auch wenn Methoden der öffentlichen Diskussion und insbesondere des Protestes immer zu einer vollständigen Berichterstattung dazugehören, ist Brüggemanns Kritik einer zu starken Fokussierung darauf sicherlich berechtigt, wie auch eine Inhaltsanalyse zeigt.

Dieses Problem besteht jedoch keineswegs nur bei der Klimaberichterstattung. Vielmehr findet sich bei allen kontroversen Themen wenigstens in Teilen der Medien die Tendenz, Formen statt Inhalte zu betrachten – und vor allem auch zu kommentieren, siehe das Stichwort "Populismus", siehe einen Großteil der Berichte zu Protesten gegen die Corona-Politik, siehe Debatten über Zuwanderung und Flüchtlingsschutz, siehe zwei Jahre Ukraine-Krieg.

Eine objektive Klärung von Sachfragen lassen viele dieser Großdebatten ebenso vermissen wie eine unvoreingenommene Darstellung der verschiedenen Meinungen dazu.

Stattdessen geschieht etwas, das Sozialphilosoph Robin Celikates mit Blick auf Journalismus zu Klimaprotesten so formuliert hat:

Das Schreckgespenst eines neuen Ökoterrorismus oder einer "grünen RAF" sind in der momentanen Situation völlig überzogene Diskreditierungsversuche, mit denen grundsätzlich legitimer – wenn auch im Einzelfall natürlich nicht immer gerechtfertigter – Protest kriminalisiert werden soll.

Das Risiko der Radikalisierung hat doch vor allem damit zu tun, dass die Klimakrise sich in den nächsten Jahren noch deutlich verschärfen wird. Wenn die Politik weiterhin nicht willens oder in der Lage ist, adäquate Antworten auf die Krise zu finden und die notwendigen Veränderungen schnell genug auf den Weg zu bringen, werden auch Not, Verzweiflung und Frustration und damit das Radikalisierungspotential zunehmen.

Das ist in einer derart fundamentalen Krise nicht anders zu erwarten.

Prof. Robin Celikates, Institut für Philosophie, FU Berlin, 10. 11. 2022

Viele Probleme werden sich in den nächsten Jahren verschärfen, wenn die Gesellschaft nicht etwas ändert – so sie etwas ändern möchte. Die Medienforschung scheint hier ebenso wie auch die Journalismuskritik in den großen Abonnements- und Gebührenmedien etwas interessengeleitet auf die Berichterstattungsqualität zu schauen. Und damit "alternative Medienkritik" zu befördern.

Großes im Kleinod Lokalzeitung

Auch und gerade, weil sie sterben wird, muss ab und an noch zu Lebzeiten ein kleines Loblied auf die Tageszeitung gesungen werden.

Dabei geht es nicht um Papier versus Bildschirm, sondern um die Bandbreite an Themen. Vielleicht wird es mal mit dann allgegenwärtigen VR-Brillen anders, aber derzeit wird kaum jemand in einem noch so vollgepackten Web-Angebot beim Überfliegen auf so viel Unerwartetes stoßen, wie es einem in der Tageszeitung vergönnt ist.

Und wenn auch viele kleine Lokalmeldungen an sich uninteressant sind, bekommt man doch einen gewissen Eindruck, was außer den großen Schlagzeilen noch so verhandelt wird und passiert.

Zum Beispiel – "Lokalmeldung" mit einer etwas anderen Bedeutung – die Einstellung des "Knödelexpress", gelesen in einer papiernen Regionalzeitung und dann auch in einer älteren digital gefunden: vom deutschen Schienennetz verschwindet bald "das letzte Bordrestaurant, das seinen Namen verdient".

Denn in tschechischen Zügen, die zwischen Prag und Hamburg verkehren, wird bisher noch tatsächlich gekocht.

Doch mit der gerade begonnenen Renovierung der Strecke soll künftig schneller gefahren werden, als die alten Züge der tschechischen Staatsbahn fahren dürfen, weshalb neue Garnituren zum Einsatz kommen müssen. Und diese haben, wie alle deutschen schon seit langem, keine Küche mehr, sondern nur eine Aufwärmstation.

Anhand einer solchen, kleinen Randgeschichte kann man sich einige Gedanken über unsere Gesellschaft machen, über demokratische und kapitalistische Entscheidungsprozesse oder darüber, was eigentlich Fortschritt ist.

Vielleicht helfen diese Gedanken dann sogar bei der Einordnung der nächsten großen Schlagzeile, die das gesamte Web zu fluten scheint, – in der Tageszeitung aber nur einen Bruchteil ihrer Fläche eingeräumt bekommt und so etwas angemessener ins Verhältnis gesetzt wird zu dem, was sonst noch alles geschieht auf der Welt.