Privatsphäre statt Gemeinschaft

Zeitzeugen und Fotoalben werden behutsam angefasst. Alle Bilder: absolut Medien

Ein Dokumentarfilm über das Bauhaus lässt die Schülergeneration zu Wort kommen

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Zeitzeugen sind eine Versuchung für den Dokumentarfilm. Zum Teil zurecht: Manche davon haben durchaus Interessantes zu erzählen und leben vielleicht (oder sogar wahrscheinlich) nicht mehr lange. Allerdings bergen Zeitzeugen auch Gefahren. Verwendet man in einem Film zuviel von dieser Zutat, dann verliert sich möglicherweise der Fokus auf das, was eigentlich erzählt werden soll.

An Symptomen dieser Krankheit leidet auch Bauhaus - Modell und Mythos, ein Film von Niels Bolbrinker und Kerstin Stutterheim, der anlässlich des Jubiläums der Gründung des Bauhauses diese Woche in die Kinos kommt und nächste Woche auf DVD erscheint. In den 1990er Jahren, in denen die Materialbasis der Dokumentation entstand, konnten die bereits verstorbenen großen Namen nicht mehr vor die Kamera geholt werden. Mehrere ihrer Schüler lebten jedoch noch und erzählten teilweise Bemerkenswertes, aber nicht zu allen Bereichen.

Was in dem Film am auffälligsten fehlt, ist das Reden über Geld. Dabei spielte es in der Geschichte der Schule durchaus eine Rolle und war beispielsweise maßgeblich für den Umzug von Weimar nach Dessau, der im Film fast wie ein Willkürakt erscheint, weil man nicht erfährt, dass der DVP-Politiker Richard Leutheusser der Lehranstalt den Haushalt halbierte.

Das Bauhaus war keine aus dem Boden gestampfte Neugründung, sondern entstand aus der Zusammenführung einer Kunstgewerbeschule und einer Akademie. Walter Gropius, der 1919 zum Direktors dieser vereinigten Lehranstalt berufen wurde, gab ihr den Namen "Staatliches Bauhaus". In einem Manifest hieß es dazu erklärend, dass der "Bau" das "Endziel aller bildnerischen Tätigkeit" sei. In ihm sollten alle anderen Künste zusammengeführt und Praxis werden.

Mechanisches Ballett von Kurt Schmidt

"Kunst und Technik" sollten, so ein Gropius-Slogan, eine "neue Einheit" bilden und neue Verfahren zur Verarbeitung von Stahl, Glas und anderen Materialien auch zu neuen Formen ohne überflüssige Manierismen beitragen, mit denen der Architekt bereits 1911 experimentiert hatte, als er eine Schuhfabrik bei Hannover entwarf. Eine der größten Leistungen des Films ist, zu zeigen, dass der Umgang mit solchen neuen Formen noch nicht immer ausgereift war. So erzählen Studenten unter anderem, dass Flachdächer als "Hochmoore" bezeichnet wurden und die "braune Soße aus der Decke" kam.

Neue Formen und Materialien sollten aber nicht nur in der Architektur Einzug halten, sondern auch im Inneren der Häuser, bis hin zu den Möbeln, zum Theater und zum Tanz. Dazu arbeiteten die Schüler zwar auch mit Handwerksmeistern, aber - so ein Zeitzeuge im Film in Erwiderung auf eine weit verbreitete Vorstellung - "nur zur Vorbereitung". Bestimmend am Bauhaus waren dagegen die "Meister der Form", der künstlerische Lehrkörper, in dem sich vor allem zu Anfang die Maleravantgarde der damaligen Zeit fand. Unter anderem lehrten Lyonel Feininger, Paul Klee, Wasilly Kandinski und Josef Albers, einer der Väter der Op-Art, an der Schule. Auf die Einflüsse von Expressionismus, Konstruktivismus und De Stijl geht der Film verhältnismäßig ausführlich ein, italienische und russische Futuristen werden dagegen völlig ausgeblendet.

Trotz oder wegen dieser engen Verbindungen zur Avantgarde erwiesen sich einige der im Bauhaus entstandenen Schöpfungen als bemerkenswert marktfähig, wozu auch Verbindungen zu Industriebetrieben wie den Junkers-Werken beitrugen, die für ihre Flugzeuge sehr leichte Stühle brauchten. Diese guten Kontakte zur Industrie verhinderten jedoch nicht, dass die "Bauhäusler" als "Kulturzerstörer" angepöbelt wurden, wie heute die Piratenpartei. Man sprach von "bolschewistischen Flachdächern", obwohl Lehrkörper und Studenten, wie die Dokumentation nahelegt, zumindest anfangs eher ein unpolitisches Selbstverständnis hatten und sich auch später keineswegs einheitlich entwickelten. Vor allem die Nationalsozialisten machten mit ihrem Kampf gegen den "Kulturbolschewismus" auch Wahlkampf. Dass das Bauhaus 1919, als das Symbol noch relativ unschuldig war, eine Art Hakenkreuz aus Maikäferfühlern in seinem Signet integriert hatten, hinderte die Hitler-Partei nicht an ihrer Ablehnung der Schule.

Als die NSDAP 1931 bei den Gemeinderatswahlen in Dessau stärkste Kraft wurde und es im Mai 1932 in Sachsen-Anhalt eine Koalition unter Einschluss der Nationalsozialisten gab, verwandelte sich das ehemals staatliche Bauhaus in eine Privatschule und zog nach Berlin, wo der Lehrbetrieb bis April 1933 aufrecht erhalten wurde. Als es zu Durchsuchungen kam und Studierende kurzzeitig festgenommen wurden, beschloss der Lehrkörper, der Zermürbungs- und Drohtaktik nachzugeben und fasste einen Auflösungsbeschluss. Viele der Lehrer und Schüler gingen darauf hin ins Ausland. Die eigentlich mit Sowjetunion assoziierte Ästhetik setzt sich in den Industriebauten des Dritten Reiches trotzdem fort.

Bauhaus-Signet mit Hakenkreuz aus Maikäferflügeln

Dass man überwiegend jenseits der Parteipolitik weilte, hieß jedoch nicht, dass man keine Vorstellungen von einer "Erneuerung der Welt" gehegt hätte. In der Dokumentation meint einer der ehemaligen Studenten, das Bauhaus sei ein "Zwischending aus Schule und Orden" gewesen. Tatsächlich sorgten nicht nur die relative Abgeschiedenheit in Weimar und Dessau, sondern auch Neuerungen im Studienablauf für ein Gemeinschaftsgefühl, das stärker ausgeprägt war als anderswo: Verantwortlich dafür war vor allem der (1923 von dem ungarischen Konstruktivisten László Moholy-Nagy abgelöste) Schweizer Johannes Itten, der ein "Vorsemester" einführte, das Aufnahmeprüfungen überflüssig nachte. Ab dem 2. Semester mussten Studenten dann kein Schulgeld mehr bezahlen, sondern hatten durch Arbeit in der Werkstatt die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen.

Walter Gropius in einem TV-Gespräch

Die neuen Formen sollten zudem auch für soziale Veränderungen sorgen: Das billige Bauen mit vorgefertigten und standardisierten Teilen wie im Automobilbau, das Gropius vorschwebte, sollte die Wohnungsnot lindern helfen. Betont wurde diese "soziale Frage des Wohnens" vor allem vom Schweizer Architekten Hannes Meyer, der das Völkerbundhaus in Genf entwarf und 1928 Direktor am Bauhaus wurde. Er beschäftigte sich unter anderem mit genossenschaftlichem Bauen, prägte den Slogan "Volksbedarf statt Luxusbedarf" und brachte den Gedanken der Ökologie mit ein. Der dritte und letzte Bauhaus-Direktor, Ludwig Mies van der Rohe, schuf dagegen nach einem Zitat von Richard Sennett eher Kunst, die "eine exzessive Gleichgültigkeit gegenüber den Alltagsbedürfnissen der Menschen" an den Tag legte.

Solche Vorstellungen von sozialen Auswirkungen einer Architektur verführten das Dokumentationsteam möglicherweise auch dazu, einige Klischees über Gemeinschaften unterzubringen, zu welchen die Bauwerke angeblich beitrugen. Doch was Bewohner darüber zu erzählen haben, geht nicht über das hinaus, was jeder Hinterhof bietet. In Wirklichkeit war möglicherweise nicht das, sondern die im Film anhand amerikanischer Beispiele eher verteufelte Förderung der Anonymität, die Schaffung von Räumen, die mehr Privatsphäre erlaubten, die große von den Bauhaus-Architekten angestoßene Leistung.