Proteste in Tirana: Berisha-Anhänger fordern Regierungswechsel

Proteste in Albanien 2022

Proteste in Tirana 2022, damals gegen die hohen Energiepreise

(Bild: Alla Simacheva/Shutterstock.com)

Gewaltsame Proteste erschüttern Albaniens Hauptstadt. Opposition fordert technokratische Übergangsregierung. Droht dem Land eine neue Krise?

In der albanischen Hauptstadt Tirana ist es am Montag zu gewaltsamen Straßenprotesten gekommen. Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, warfen die Demonstranten Molotowcocktails auf Regierungsgebäude und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Was steckt hinter den Protesten?

Sie fordern ein Jahr vor den Parlamentswahlen die Absetzung der Regierung von Ministerpräsident Edi Rama und die Bildung eines technokratischen Übergangskabinetts.

Opposition fordert Freilassung von Ex-Ministerpräsident

Mehrere tausend Demonstranten versammelten sich vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, dem sie auf Schildern "Tyrannei" vorwarfen. Einige Teilnehmer warfen Molotowcocktails, Feuerwerkskörper und Steine in Richtung des Gebäudes, ein Zaun wurde niedergerissen.

Dabei skandierten sie Parolen wie "Nieder mit der Diktatur". Später wurden mehrere Straßen der Hauptstadt blockiert und vor dem Hauptsitz der Sozialistischen Partei ein Plakat mit Ramas Bild in Brand gesetzt.

Bei den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften wurden 10 Polizisten verletzt, mehrere Protestteilnehmer sind nach Einsatz von Tränengas ins Krankenhaus eingeliefert worden.

Organisiert wurden die Proteste von der konservativen Demokratischen Partei (PD) des ehemaligen Ministerpräsidenten Sali Berishas, der der regierenden Sozialistischen Partei (PS) Korruption, Machtmissbrauch und Wahlbetrug vorwirft.

Die Partei fordert die Freilassung des 79-jährigen Berishas aus dem Hausarrest, in den er während laufender Ermittlungen wegen Korruption versetzt wurde.

Die jetzige Protestwelle flammt bereits seit mehreren Monaten immer wieder auf. Wenige Tage vor den jüngsten Straßenprotesten versuchten PD-Abgeordnete, die Delegierten der PS am Betreten des Parlaments zu hindern.

Berishas langer Schatten

Sali Berisha gilt als eine der einflussreichsten wie umstrittensten politischen Figuren der jüngeren albanischen Geschichte. Er kam erstmals 1992 an die Macht, nachdem seine damals von den USA unterstützte Demokratische Partei massive Proteste gegen die sozialistische Regierung der Partei der Arbeit Albaniens eingeleitet hatte.

Die ehemals kommunistische Partei ging 1990 mit Fatos Nano als Siegerin aus den ersten freien Wahlen nach dem Ende der kommunistischen Ära Albaniens hervor.

Nachdem das Land in Folge der damaligen Proteste faktisch unregierbar wurde, sah sich Nano gezwungen, vorgezogene Neuwahlen einzuleiten, die von der PD gewonnen wurden. Diese führte anschließend ein umfangreiches Privatisierungsprogramm durch.

Berishas Regierung mündete schließlich in einer Staatskrise. Ein betrügerisches Pyramidenschema brachte große Teile der albanischen Bevölkerung um ihre Ersparnisse.

Bei den Wahlen 1996 geriet Berisha auch international in die Kritik, UN-Beobachter warfen der PD systematische Fälschung und Menschenrechtsverletzungen vor. Die anschließende Krise führte 1997 zum zweiten Kollaps des albanischen Staates innerhalb eines Jahrzehnts. Erst die Bildung einer Übergangsregierung in Folge eines UN-Militäreinsatzes unter Beteiligung der ehemaligen Kolonialmacht Italien konnte das Land wieder stabilisieren.

Die Rolle der PD beim Aufbau der "Pyramiden-Gesellschaften" ist bis heute nicht geklärt.

2005 gewann die PD unter Berisha erneut die Wahlen. Bei den Wahlen 2009 beklagte die PS Unregelmäßigkeiten und forderte die Neuauszählung der Stimmzettel, was Berisha jedoch ablehnte. Bei Protesten gegen seine Regierung wurden 2011 vier Demonstranten erschossen. Bei den Wahlen 2013 setzte sich Tiranas ehemaliger Bürgermeister Edi Rama von der PS durch.

Obwohl Berisha stets gute Beziehungen zu den USA pflegte und in diesem Rahmen Albanien 2009 in die NATO führte, wurde er von Washington inzwischen fallen gelassen: 2021 verhängten die USA aufgrund von Korruptionsvorwürfen gegen ihn eine Einreisesperre.

Ende Dezember 2023 wurde Berisha von einem albanischen Gericht unter Hausarrest gestellt. Die albanische Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, als Ministerpräsident im Jahr 2008 den staatlichen Sportkomplex FK Partizani in Tirana zugunsten seines Schwiegersohns Jamarber Malltezi privatisiert zu haben. Der Schwiegersohn wurde im Oktober verhaftet und wegen Korruption und Geldwäsche angeklagt.

Internationale Reaktionen

Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten forderten die Opposition auf, den Dialog mit der Regierung wieder aufzunehmen und betonten, dass Gewalt dem Integrationsprozess des Landes in die Gemeinschaft der 27 Nationen nicht förderlich sei.

Albanien befindet sich in Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union, seit 2014 ist das Land ein offizieller Kandidat. Noch in diesem Monat wird Tirana Gespräche mit Brüssel über die Angleichung des Landes an die EU-Standards in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, demokratische Institutionen und Korruptionsbekämpfung aufnehmen.

Der Generalsekretär der Demokratischen Partei, Flamur Noka, versprach indes am Ende der Proteste am Montag, den "zivilen Ungehorsam" fortzusetzen.