Proteste in Zeiten des Corona-Notstands
- Proteste in Zeiten des Corona-Notstands
- Online-Demonstrationen die Protestkultur der Zukunft?
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Die außerparlamentarische Linke ist in der Frage, wie mit dem Corona-Notstand umzugehen ist, geteilt
Es sollte der Höhepunkt einer Mieterbewegung werden, die sich über Landesgrenzen hinweg organisiert. Für den 28. März waren in vielen Städten in Deutschland und Europa Demonstrationen und Proteste gegen Mietenwahnsinn geplant. Dafür haben zahlreiche Aktivisten in mehreren europäischen Städten seit Monaten mobilisiert.
Doch jetzt wurden die Aktionen wegen der Corona-Krise abgesagt. Ein neuer Termin soll festgelegt werden, wenn sich absehen lässt, wann der gegenwärtige Corona-Notstand beendet ist. In einer Pressemeldung forderten die Mietrebellen ein sofortiges Moratorium bei Zwangsräumungen. Auch das Abstellen von Strom und Gas bei Menschen, die nicht rechtzeitig zahlen können, soll sofort ausgesetzt werden.
Wie die Mietenproteste fallen in diesen Tagen reihenweise oft lange geplante Proteste aus, die lange vorbereitet wurden. Dazu gehörten die in verschiedenen Städten für den vergangenen Sonntag terminierten Protestete zum Internationalen Aktionstag gegen Polizeigewalt.
"Wir nehmen die Risiken einer möglichen Ansteckung und Verbreitung auf Veranstaltungen mit vielen Personen ernst. Wir sind solidarisch mit den Angehörigen von Risikogruppen, zu denen insbesondere auch marginalisierte und illegalisierte Personen wie wohnungs- und obdachlose Menschen sowie Menschen in Lagern gehören, die mangelhaften Hygienebedingungen und fehlender medizinischer Versorgung ausgesetzt werden", begründete der Hamburger Vorbereitungskreis die kurzfristige Absage der geplanten Demonstration in der Hansestadt.
Gemeinsam solidarisch gegen Corona im Stadtteil
Auf der linken Onlineplattform Indymedia wird deutlich, dass die außerparlamentarische Linke in der Frage, wie mit dem Corona-Notstand umzugehen ist, geteilt ist. Es gibt Stellungnahmen, die die autoritäre Umgestaltung des bürgerlichen Staates in den Mittelpunkt stellen und dazu aufrufen, die Schockstarre zu verlassen oder die dem Corona-Virus sogar Respekt zollen, weil er es geschafft hat, den kapitalistischen Alltag stillzulegen.
Ihnen stehen Statements vieler autonomer Einrichtungen gegenüber, die ankündigen, aus Rücksicht auf die Gesundheit von Betreibern und Besuchern vorerst den Betrieb einzustellen. So schrieb das Autonome Zentrum Aachen in einer Stellungnahme:
Als Autonomes Zentrum ist uns ein solidarischer Umgang miteinander und das Einstehen für benachteiligte Personen wichtig. Dies ist für uns auch der Anlass gewesen, uns für eine vorübergehende Schließung unserer Räumlichkeiten zu entscheiden. Da öffentliche Veranstaltungen die Übertragung des Virus begünstigen, haben wir als Kollektiv beschlossen, das AZ zunächst bis zum 21.April zu schließen.
AZ Aachen, Indymedia
Viele Absagen von Veranstaltungen oder Demonstrationen waren ebenso vor allem mit der Rücksichtnahme auf ältere Menschen oder Risikogruppen verbunden. Das bedeutet allerdings keinen Rückzug in die eigene Wohnung. Ganz im Gegenteil, ist vor allem für solidarische Netzwerke in verschiedenen Stadtteilen die Corona-Krise eine Zeit, in der sich die lange propagierte Solidarität praktisch bewähren muss.
So hat die Stadtteilinitiative "Hände weg vom Wedding", die im gleichnamigen Berliner Stadtteil seit Jahren aktiv ist, unter dem Motto "Gemeinsam gegen Corona im Stadtteil"" ein nachbarschaftliches Solidaritätsnetzwerk aufgebaut.
Mittlerweile existieren solche Beispiele für solidarische Nachbarschaftshilfe in zahlreichen Städten in Deutschland. Dabei gibt es Menschen, denen es um die praktische Hilfe geht, aber auch Initiativen wie "Hände weg vom Wedding", die betonen, dass sie kein staatlicher Freiwilligendienst sind und politische Kritik an einer wirtschaftsliberalen Wirtschaftspolitik formulieren, die dafür verantwortlich ist, dass heute das Gesundheitssystem derart kaputtgespart ist, dass es bei vermehrten Corona-Erkrankungen an seine Belastungsgrenze stoßen würde.
Eine ähnliche Kritik wurde auch von der Initiative "Krankenhaus statt Fabrik" und von zahlreichen Beschäftigten und Gewerkschaftern geäußert. Gesundheitsversorgung müsse zur Daseinsvorsorge ohne betriebswirtschaftliche Einschränkungen werden, lautet auch die Forderung der Berliner Aktion gegen Arbeitsunrecht.
Sie solidarisiert sich in einer Presseerklärung mit den Forderungen der Beschäftigten der Charité Facility Management GmbH. Obwohl ein Ende Februar geplanter zweitätiger Warnstreik wegen der Corona-Warnung abgesagt wurde, geht ihr Arbeitskampf gegen Auslagerung und Niedriglohn weiter.
Die Hoffnung ist, dass hier eine soziale Bewegung besteht, die auch dann, wenn der Corona-Notstand nicht mehr so stark unseren Alltag bestimmt, in der Lage ist, politische Forderungen zu formulieren und auch wieder auf die Straße zu tragen.