Pulverfass Asien
Seite 3: Neubelebung des japanischen Militarismus
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- Ziel der USA ist die Isolierung und militärische Einkreisung Chinas
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Mit der Instrumentalisierung des japanischen Militarismus hat Washington Kräfte in Bewegung gesetzt, die es kaum kontrollieren kann. Seit Shinzo Abe im Dezember 2012 das Amt des japanischen Ministerpräsidenten antrat, hat seine Regierung (erstmals seit zehn Jahren) den Militärhaushalt erhöht und einen Nationalen Sicherheitsrat eingeführt, der die Außen- und Verteidigungspolitik in seinen Händen konzentriert. Der lockerte auch sogleich die verfassungsmäßigen Beschränkungen für die Beteiligung der japanischen Streitkräfte an Angriffskriegen.
Mit dem Wiederaufbau des japanischen Militärs einher geht die Umschreibung der japanischen Geschichte. Beispielhaft für Abes ideologische Offensive war sein provokativer Besuch des berüchtigten Yasukuni-Schreins am 26. Dezember 2013. Der Schrein ist eine Gedenkstätte für Japans Kriegstote, darunter vierzehn verurteilte Kriegsverbrecher der Klasse A, und ein berüchtigtes Symbol des japanischen Militarismus. Gleichzeitig besetzte Abe wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft mit seinen Gefolgsleuten. So berief er im Dezember vergangenen Jahres vier politisch rechts stehende "Freunde" in den Aufsichtsrat des japanischen Staatsfernsehens NHK. Deren neuer Vorsitzender Katsuto Momii sorgte Ende Januar für öffentliche Empörung, als er in seiner Antrittsrede den systematischen Missbrauch von Hunderttausenden von sogenannten "Trostfrauen" (faktisch Sexsklavinnen) der kaiserlichen japanischen Armee in den 1930er und 1940er Jahren verteidigte und mit der gewerbsmäßigen Prostitution unserer Tage verglich.
Vermutlich auf den wirtschaftlichen Druck ausländischer Werbekunden hin "entschuldigte" sich Momii, er habe in seiner Funktion als Vorsitzender der Sendeanstalt nur seine private Meinung geäußert, die sei in der Presse verzerrt dargestellt worden. Zur neuen, ganz offen rechten Gangart des Abe-Regimes, das generell gegen alles vorgeht, was regierungs- oder staatskritisch sein könnte, passt, dass Momii beispielsweise auch allen NHK-Journalisten verboten hat, sich kritisch zur Atomkraft oder gar zu der Reaktorkatastrophe von Fukushima zu äußern.
Anfang Februar erklärte der ebenfalls von Abe zu einem von insgesamt zwölf NHK-Governors ernannten , das Massaker von Nanking, eines der grauenvollsten Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts, sei "nie geschehen".
Im Jahr 1937 waren japanische Truppen in die chinesische Stadt einmarschiert und hatten dort wochenlang marodiert, vergewaltigt und gemordet. Der Orgie der Gewalt und Zerstörung fielen etwa 300.000 chinesische Zivilisten und Soldaten zum Opfer. Hyakuta nun behauptete, das Massaker sei erfunden worden, um die Verbrechen der USA im Zweiten Weltkrieg, darunter die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, zu verharmlosen - eine Behauptung, der sich bislang nur rechtsextreme Randgruppen bedienten, um die japanischen Kriegsverbrechen in den 1930er und 1940ern Jahren zu rechtfertigen. Die beschränkten sich nicht auf Gräueltaten im Ausland, die japanische Tokko oder "Gedankenpolizei" ging bei der Ausrottung jeder Form von Kritik oder Widerstand im Inland ähnlich brutal vor wie die deutsche Gestapo.
Bezeichnenderweise hat Abe Anfang Dezember gegen starken parlamentarischen Widerstand ein Geheimhaltungsgesetz durchgeboxt, das an das "Friedenssicherungsgesetz" von 1925 erinnert, mit dem die Macht der Tokko deutlich ausgeweitet wurde. Das Gesetz, das sich gegen "Whistleblower" richtet, soll allen staatlichen Organen ermöglichen, Informationen für geheim zu erklären, bei deren Veröffentlichung sie eine Gefahr für die nationale Sicherheit vermuten. Wer derartige "geheime" Informationen dennoch veröffentlicht, muss mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen. Abe begründete die Notwendigkeit des Gesetzes unter anderem mit den erhöhten Spannungen in der Region. Mit der Wiederbelebung militaristischer Traditionen und Tendenzen und der Verschärfung von Überwachung und Repression im Inneren sollen auch die von der wachsenden sozialen Krise im Inland verursachten Spannungen nach außen auf einen "fremden" Gegner projiziert werden. Nicht von ungefähr wurde während Abes erster Amtszeit (2006-2007) die Fingerabdruck- und Iris-Scan-Pflicht für Ausländer bei der Einreise auf japanischen Flughäfen eingeführt.
Neben Momii und Hyakuta ist Michigo Hasegawa, ebenfalls Mitglied des "Board of Governors" und eine aus der Gruppe der Vier, mit nationalistischen Äußerungen aufgefallen. Öffentlich trat sie dafür ein, Japans Kaiser wieder den Status einer Gottheit zuzuerkennen, wie ihn dieser bis zur Kapitulation Japans im Jahr 1945 innehatte.
Abe war im Dezember 2012 mit dem vollmundigen Versprechen erneut an die Macht gekommen, zwanzig Jahre Deflation und wirtschaftliche Stagnation zu beenden. Doch seine von ihm als Heilmittel gepriesenen "Abenomics" haben lediglich zu einem Anstieg der Aktienkurse geführt, ohne ein nennenswertes wirtschaftliches Wachstum zu bewirken.
Fast Jahre nach dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise steckt der Kapitalismus in einer globalen wirtschaftlichen Rezession: einem idealen Nährboden für zunehmende und sich verschärfende inner-imperialistische Rivalitäten, neokoloniale ("humanitäre") Interventionen und diplomatische Kabalen.
Es ist kaum ein Zufall, dass zeitgleich mit Abes Wiederbelebung des japanischen Militarismus auch die Große Koalition in Deutschland von ihrer bisherigen Politik der militärischen "Zurückhaltung" abrückt und die Verantwortlichen für das Blutbad des Ersten Weltkriegs von deutschen Politikern, Historikern und Medien zu somnambulen Opfern eines eigengesetzlichen Prozesses verklärt und damit entschuldigt werden.
Auch in Großbritannien und Australien ist die Umschreibung der Geschichte in vollem Gang, wenn die Regierungen in London und Canberra etwa den hundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns 1914 zum Anlass für nationalistische Feierlichkeiten nehmen, die vergessen lassen sollen, dass in dem Gemetzel um Kolonien, Märkte und geostrategischer Hegemonie Millionen Menschen ihr Leben gelassen haben.
Chinas "Imperialismus" und die Parallelen zwischen 2014 und 1914
Ungeachtet der propagandistischen Versuche, China als Aggressor darzustellen, ist es keine imperialistische Macht. Die Größe seiner Wirtschaft kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass China nach wie vor ein Billiglohnland ist, das auf ausländische Investitionen und Technologien sowie auf die etablierten Zentren des Finanzkapitals angewiesen ist.
Auch militärisch klafft zwischen China und den USA nach wie vor eine gewaltige Kluft. Trotz großer Rüstungsanstrengungen Pekings bleiben die USA nach Einschätzung des Internationalen Instituts für Strategische Studien (IISS) auf absehbare Zeit die mit Abstand stärkste Militärmacht der Welt. Zudem verfügen die USA über ein globales Netz von Stützpunkten und Bündnissen, mit dem sie die chinesischen Interessen in jedem Winkel der Welt bedrohen können.
Allerdings hat Chinas immenses Wirtschaftswachstum während der jüngsten Phase der Globalisierung den Widerspruch zwischen der globalen Entwicklung der Produktivkräfte und dem tradierten System der Nationalstaaten in explosiver Weise offen gelegt. Der verstärkte und unnachgiebige Druck, den die USA und ihren Alliierten seit Jahren auf Peking ausüben, offenbart die Schwäche der Führung der Chinesischen Kommunistischen Partei. Nach drei Jahrzehnten kapitalistischer Restauration sieht sich diese mit einem sozialen Auseinanderdriften der chinesischen Gesellschaft konfrontiert, wodurch sie bei einem Großteil der neuen sozialen Unterschicht an Rückhalt verloren hat und weiter verliert.
Auf den Druck der USA und ihrer Verbündeten reagiert die Führung in Peking zum Einen mit wirtschaftlichen Zugeständnissen, zum Anderen, indem sie militärisch weiter aufrüstet und verstärkt Chinas Interessen in unmittelbar an das chinesische Festland grenzenden Gewässern geltend macht. Die nationalistische, anti-japanische Rhetorik, deren sie sich dabei bedient, soll nicht nur die Erhöhung der Militärausgaben rechtfertigen, sie dient auch dazu, von den wachsenden sozialen Spannungen im Inland abzulenken und das schwindende soziale Fundament der Partei abzustützen.
Parallelen zwischen den geopolitischen Verhältnissen der Jahre 2014 und der Situation vor Kriegsausbruch vor 100 Jahren sind unschwer zu übersehen. Und wie 1914 wird die Kriegstreiberei von den fundamentalen Widersprüchen des Kapitalismus angetrieben: Erstens zwischen dem globalen Fortschritt der Produktivkräfte sowie dem System der um Einflusssphären ringenden Nationalstaaten und Großmächte und zweitens zwischen dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und der gesellschaftlichen Produktion. Diese beiden Widersprüche hatten sich in den 40 Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs infolge des enormen Wachstums der Weltwirtschaft enorm verschärft.
Die Widersprüche, die zum Ersten Weltkrieg führten, sind fast sechs Jahre nach dem Zusammenbruch des Welt-Finanzsystems keineswegs verschwunden, sie haben sich vielmehr noch verschärft. Dabei sind die USA als die dominante imperialistische und militaristische Macht der mit großem Abstand am stärksten destabilisierend wirkende Faktor der Weltpolitik. Neokoloniale Interventionen und Aggressionskriege unter ihrer Führung sowie fortgesetzte Intrigen und Provokationen haben Afghanistan, den Irak, Libyen und Syrien zerstört und sind dabei, die Ukraine, Venezuela, selbst Russland zu destabilisieren. Washingtons hochaggressive und extrem provokative Reaktionen zeigen, dass die USA nicht vor einem möglichen militärischen Konflikt mit China zurückschrecken werden, um ihre dominierende Stellung in Asien zu sichern.