"Pure Fiktion"
Seit zwei Wochen wird in Madrid ein Indizienprozess gegen al-Qaida geführt. Auch ein Reporter des TV-Senders al-Dschasira ist angeklagt. Telepolis sprach mit dessen Anwalt José Luís Galan
Bei dem eilig begonnenen Prozess ist nicht nur auffällig, dass der Nationale Gerichtshof, ein Sondergericht, in einem umgebauten Messepavillon in einem Park in der spanischen Hauptstadt verhandelt (Al-Qaida-Prozess in Madrid). Auf der Anklagebank sollte auch der al-Qaida-Chef Osama Bin Laden sitzen. In Abwesenheit wird auch gegen Ramzi Binalshibh verhandelt. Doch der angebliche Koordinator der Anschläge ist nicht flüchtig, sondern befindet sich unter der "Obhut" der USA. Er steht weder für den Prozess in Madrid zur Verfügung, noch haben ihn die US-Sicherheitsbehörden bei den Verfahren in Hamburg (Motassadeq zum Zweiten) oder beim US-Prozess gegen den "20. Hijacker" Zacarias Moussaoui aussagen lassen ("9/11 war nicht meine Verschwörung").
Herr Galan, um was geht es in dem Madrider Verfahren?
José Luís Galan: Den 24 Angeklagten wird vorgeworfen, sie hätten eine radikale islamistische Zelle in Spanien gebildet, die einen terroristischen Charakter besitze und im Dienst von al-Qaida operiert habe. Sie habe materiell an der Durchführung der Anschläge des 11. September mitgewirkt und die Attentäter direkt unterstützt. Das ganze geht auf Ermittlungen zurück, als etliche Personen in den Jahren 1995 bis 1999 abgehört wurden. Sie wurden damals eingestellt, weil sich keine Hinweise auf kriminelle Handlungen ergaben. Nach den Anschlägen wird der Vorgang reaktiviert. Telefonate, die harmlos waren, haben nach Lesart des Ermittlungsrichters Baltasar Garzón plötzlich einen verbrecherischen Inhalt.
Angeklagt sind aber nicht nur diese 24?
José Luís Galan: Nein, in rebeldia, also in Abwesenheit, wird auch gegen Osama Bin Laden und weitere 16 Personen verhandelt.
Niemand glaubt ernsthaft an Verbindungen zu den Anschlägen
Warum wird der Prozess ausgerechnet in Spanien geführt?
José Luís Galan: Prinzipiell ist das nicht das Problem, weil Terrorismus unter eine universelle Gerichtsbarkeit fällt, also auch in Spanien verhandelt werden kann. Etwas anderes ist natürlich, ob real Verbindungen der Verhafteten mit al-Qaida, Bin Laden und den Anschlägen vom 11. September bestehen. Ich glaube nicht, dass davon ernsthaft jemand ausgeht.
Hätte man sie nicht an die USA ausliefern können?
José Luís Galan: Da kommen wir dazu, weshalb ich sage, niemand glaubt ernsthaft an Verbindungen zu den Anschlägen. Es ist doch mehr als kurios, wenn die Kommission zur Untersuchung der Anschläge vom 11. September als Ergebnis feststellt: Bis zu diesem Moment existieren keinerlei Verbindungen zwischen den in Spanien Verhafteten und den Anschlägen vom 11.9. Das ist das Ergebnis einer unabhängigen Untersuchungskommission in den USA. Das, so denke ich, verdeutlicht, dass es keinen Zusammenhang gibt und es sich um pure Entelechie handelt.
Warum wurde mit dem Prozess jetzt begonnen?
José Luís Galan: Bei einigen, die während der "Operation Dattel" im November 2001 verhaftet wurden, läuft bald die Höchstzeit von vier Jahren Untersuchungshaft ab. So muss das Verfahren zuvor schnell abgeschlossen werden. Daher wurde eilig der Prozess anberaumt, die Ermittlungen übereilt abgeschlossen und Rechte der Verteidigung ausgehöhlt.
In welcher Form?
José Luís Galan: Besonders im Bereich der abgehörten Telefonate. In den Akten gibt es keine Genehmigung dafür und es finden sich nur Beschlüsse für die Verlängerung der Maßnahme. Die Kassetten mit den Aufnahmen konnten nie von den Beschuldigten gehört werden. Vor ein paar Tagen durften wir ein paar Ausschnitte hören. Wegen der Menge ist das wie die Suche einer Nadel im Heuhaufen. Sie sind nicht geordnet und es war unmöglich, die jeweilige Kassette zu finden. Ob es einen kriminellen Inhalt gibt, kann man nur beurteilen, wenn man sich den Kontext des Gesprächs anhört. Das ist es, was uns Verteidiger interessiert.
Lässt das spanische Recht illegal abgehörte Gespräche als Beweis zu?
José Luís Galan: Nein, denn Artikel 18 der Verfassung garantiert die Privatsphäre bei der Kommunikation.
Sie verteidigen den Reporter von al-Dschasira Taisir Aluni . Was wirft man ihm vor?
José Luís Galan: Auch er soll Mitglied dieser Terrorzelle sein und neun Jahre ins Gefängnis kommen.
Welche Beweise hat man dafür vorgelegt?
José Luís Galan: Keine, das Ganze wird mit Beziehungen zu Leuten gerechtfertigt, die al-Qaida-Mitglieder sein sollen.
Die bestreitet er zum Teil ja nicht, schließlich hat er ja auch ein Interview mit Bin Laden veröffentlicht und dazu muss man wohl Kontakte knüpfen.
José Luís Galan: Seine journalistische Arbeit wird mit einer angeblich terroristischen Tätigkeit vermischt. Er kannte Syrer aus Madrid, die ihm bei seinem Aufenthalt in Afghanistan geholfen haben, weil sie gute Beziehungen zum Taliban-Regime hatten und er sich deshalb dort besser bewegen konnte. Er hat versucht, an Informationsquellen zu kommen, wie es jeder Journalist gemacht hätte.
Bedeutet seine kürzliche Freilassung etwas? Nicht einmal eine Kaution wurde verlangt.
José Luís Galan: In der Theorie nicht, weil argumentiert wird, es bestehe keine Fluchtgefahr und er habe gesundheitliche Probleme. Alle gehen davon aus, dass auch die Richter gesehen haben, dass es keine Beweise gegen ihn gibt. Die Fluchtgefahr bestand nie, seine gesundheitliche Situation ist unverändert und trotzdem war er im Gefängnis.
Urlaubsvideos eines Angeklagten von 1997 als Beweis
Wie bewerten Sie die Vorwürfe in anderen Fällen, für die ja bis zu 62.500 Jahre Haft gefordert werden?
José Luís Galan: Eigentlich beschränke ich mich auf die Situation meines Klienten. Ich kann sagen: Wenn es ein Netzwerk gab und der eine oder andere ihm angehört hätte, dann war das niemals ein Terrornetzwerk und es hatte nichts mit al-Qaida zu tun. Die Verbindung zu den Anschlägen vom 11. September ist pure Fiktion. Wenn man die Urlaubsvideos eines Angeklagten von 1997 präsentiert, die jeder von uns von uns als Tourist aus den USA mitgebracht hätte und die als Vorbereitung der Anschläge von 2001 verkauft ... Was soll man dazu sagen? Wenn das nicht tragisch wäre, wäre es komisch.
Wie wird man damit umgehen, dass zum Beispiel Ramzi Binalshibh nicht vernommen werden kann? Die Anklage basiert auf einem Treffen, dass einige der Angeklagten in Spanien zwischen Binalshibh und Mohammed Atta organisiert haben sollen. An der Unmöglichkeit Binalshibh zu vernehmen scheiterten schon die Verfahren in Deutschland.
José Luís Galan: Da hat die Staatsanwaltschaft ein Problem.
Wie lässt sich der Prozess erklären? Größenwahn vom Baltasar Garzón? Im spanischen Staat existiert ja schon der Begriff "Garzonada" für einen Fehlgriff. Garzón ist bekannt für Verfahren, bei denen man zwar die Titelseiten der Zeitungen bestimmt, in der Stunde der Wahrheit muss er aber oft hinnehmen, dass es für seine Thesen nicht einmal Indizien gab.
José Luís Galan: Danach sieht es jetzt aus.