Pushbacks heißen jetzt "Turning Back"
Wie Medien in Griechenland einen Skandal schönreden.
Die griechische Polizei setzt "Sklaven" für illegale Pushbacks ein. Dieser ungeheuerliche Vorwurf findet sich in Publikationen der Tagesschau, des ARD-Magazins Monitor, des Spiegel, des Guardian, bei Lighthouse und Le Monde. Die Nachricht geht um die Welt – nur in Griechenland ist sie für viele Medien nicht existent.
Festung Europa durch zwangsverpflichtete Flüchtlinge "gesichert"
Im Prinzip decken die Journalistenteams der beteiligten Medien auf, dass die griechischen Behörden für die Pushbacks zwangsrekrutierte Geflüchtete missbrauchen. So wird vermieden, dass die türkische Küstenwache oder der Grenzschutz griechische Uniformierte auf frischer Tat ertappen kann.
Ihrer Klientel verkauft die rechtskonservative Regierung in Athen die Pushbacks als Erfolg. Sie hatte bereits im Wahlkampf 2019 versprochen, die Zahl der ankommenden Geflüchteten drastisch zu senken. Kurz vor Beginn der weltweiten Covid-19-Pandemie gab es für die Regierung von Kyriakos Mitsotakis die Gelegenheit, den Wählern die Entschlossenheit zu demonstrieren.
Die Türkei hatte im März 2020 ihren Grenzschutz gelockert und zahlreiche Geflüchtete versuchten, über Griechenland in die EU zu gelangen. Mit teilweise drakonischen Maßnahmen und der Mithilfe der EU-Grenzschutzagentur Frontex riegelte Griechenland die Grenze ab und wurde dafür von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gelobt. Mitsotakis ließ sich feiern.
Die Grenzregion wurde zum Sperrgebiet. Journalisten und vor allem unabhängigen Fotoreportern wurde der Zugang verwehrt. In diesem Klima gab es Anfeindungen gegen Journalisten, die über Missstände wie die Pushbacks berichteten.
Einer der bekanntesten Eklats ereignete sich, als die niederländische Korrespondentin Ingeborg Beugel in Gegenwart des niederländischen Premiers Mark Rutte es gewagt hatte, in der Pressekonferenz Kyriakos Mitsotakis nach Pushbacks und den inhumanen Bedingungen in den Flüchtlingslagern zu fragen. Mitsotakis geriet außer sich und Beugel musste nach einem Shitstorm griechischer Medien das Land verlassen.
Die Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung wird von dieser als Verrat am Vaterland und Hilfe für die Türkei betrachtet. Dies musste auch der Seenotretter Iason Apostolopoulos erleben. Er hat mehrmals Pushbacks angeprangert. Seine Aussagen wurden von dem Europaparlamentarier der Syriza, Stelios Kouloglou, registriert – und der Politiker stellte Fragen. Kouloglou trat mit Apostolopoulos bei einer Podiumsdiskussion auf.
Dies nahm Regierungssprecher Giannis Oikonomou zum Anlass für einen Frontalangriff auf Syriza. Zunächst forderte er Oppositionsführer Alexis Tsipras auf, Stellung zu beziehen und seinen Abgeordneten zu verurteilen:
Es ist entsetzlich dass die Frauen und Männer unserer Küstenwache in einer Zeit, in der es seitens der Türkei ständige Spannungen gibt, von ihren Landsleuten im Europäischen Parlament rücklings angegriffen werden, während sie auf See übermenschliche Anstrengungen unternehmen, um die Legalität zu gewährleisten und illegale Handlungen zu bekämpfen, wodurch Tausende von Menschenleben unter sehr schwierigen Bedingungen gerettet werden.
Regierungssprecher Giannis Oikonomou
Tsipras schwieg – und so kommentierte der Regierungssprecher am nächsten Tag:
Einen Tag nach der Enthüllung, der Verleumdung des Personals der Küstenwache und Griechenlands, mit der Unterstützung und unter dem Deckmantel des Syriza-Abgeordneten Kouloglou – einen Tag nach dem Schweigen von Syriza, ob die Partei diesen Frevel offiziell akzeptiert und begrüßt, besucht Tsipras heute Rhodos und Symi.
Wird er es wagen, den Männern und Frauen der Küstenwache ins Gesicht zu sehen und sie zu fragen, ob sie "Verbrechen in der Ägäis begehen", ob sie "anstatt Menschen auf See zu retten, Menschen ins Meer werfen", wenn sie auf hoher See zurückgelassen werden, ohne Nahrung, Wasser oder andere Mittel, um Hilfe zu rufen?
Parteinahe Influencer der "Omada Alitheias" (Gruppe der Wahrheit) griffen Apostolopoulos zum wiederholten Male persönlich an. Die Eltern des Seenotretters wurden von Fanatikern zuhause aufgesucht und ebenfalls bedroht.
Die griechische Regierung steht auf dem Standpunkt, dass nur die Türkei das Flüchtlingsthema instrumentalisiert. Der EU-Türkei-Pakt sieht vor, dass die Türkei Geflüchtete von der Weiterreise in die EU abhält. Die Türkei präsentiert gerne Pushbacks und die dabei gegen Geflüchtete ausgeübte Gewalt als Beweis für Menschenrechtsverletzungen. Für die griechische Regierung ist all dies Teil einer "hybriden Kriegsführung". Gemäß dieser Logik sind die Berichte über Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen an der Grenze Teil der türkischen Propaganda.
Überall eine Nachricht, nur nicht in Griechenland
In Griechenland wurde die Geschichte von den "versklavten" unfreiwilligen Helfern der griechischen Polizei vom Internetmagazin Reporters United veröffentlicht. Ansonsten gab es nur Meldungen in kleineren Medien, die der Opposition nahestehen.
Die Bewohner Griechenlands erfahren zu diesem Thema nichts in den Fernsehnachrichten oder in den großen Medien, die während der Pandemie mit Geldspritzen über Millionen von Euro von der Regierung gefördert wurden. Über die sogenannte Petsas-Liste, benannt nach dem zuständigen Minister, wurden in einem intransparenten Verfahren regierungsfreundliche Medien begünstigt, während oppositionelle weitgehend leer ausgehen.
Dementsprechend hat sich die Berichterstattung in den Massenmedien angepasst. Die konservative Kathimerini berichtete am 27. Juni in ihrer englischen Ausgabe, dass die griechische Küstenwache innerhalb dreier Tage 1130 Geflüchtete von der Überfahrt auf die griechischen Inseln abgehalten habe. Statt Pushback nennt die Kathimerini das Vorgehen "Turning back".