Put on your Blue Genes

Berlin: Stammzellen schauen dich an - Eine Ausstellung

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

DNA-Wettrennen, Kaninchen mit fluoriszierendem Quallengen und Bakterienkulturen, die als Anthrax-Simulant fungieren – die Kunst hat sich schon lange biotechnologischer Verfahren angenommen. Übernimmt sie dabei nur affirmativ die Verheißungen der Life Science-Konzerne oder ist sie in der Lage, die sozialen Implikationen der angeblich neutralen Biowissenschaft aufzuzeigen und zu kritisieren? Die Ausstellung "Put on your Blue Genes" will auf diese Fragen Antworten geben.

Die Großkonzerne und Lobbyorganisationen der Life Science-Branche haben es spätestens seit fünf Jahren geschafft, mit dem Mittel des Kunstsponsorings die gesellschaftliche Akzeptanz für Biotechnologien zu steigern. Damals war es der Schweizer Konzern Novartis, der einiges Geld in die 20. Ars Electronica im österreichischen Linz investierte, ohne dass von Seiten der Kuratoren und Künstler nennenswerter Widerspruch formuliert wurde.

Wie auch, sehen doch viele Künstler biotechnologische Produkte und Verfahren als Herausforderung für ihr Schaffen an. Berühmt geworden ist Eduardo Kacs transgener "GFP"-Bunny, ein Hase, der dank eines fluoriszierenden Quallengens leuchten sollte, aber am Ende nicht aus dem Labor frei kam. Oder war alles nur ein Fake? Bekannt wurde auch Steve Kurtz vom Critical Art Ensemble, der in den USA wegen der Verwendung von Bakterienkulturen, die sich angeblich genauso wie das Anthrax-Bakterium verhalten, unter dem Vorwurf des "Bioterrorismus" strafrechtlich verfolgt wurde. Mittlerweile geht es nicht mehr um "Bioterrorismus", die Klage gegen ihn aber läuft weiter.

Trotzdem durfte er ausreisen, um an der nun in Berlin-Kreuzberg eröffneten Ausstellung teilzunehmen, denn dort stehen ja schließlich auch seine Petrischalen mit den Bakterien ("Germs of Deception"), die, ganz nebenbei, das örtliche Gesundheitsamt bei sachgemäßem Umgang für unbedenklich hält. Also bloß keine Panik! Damit hat das Critical Art Ensemble schon ein Ziel erreicht: auf den Zusammenhang von "Bioterrorismus" und der politischen Produktion von Panik aufmerksam zu machen. "Körper der Angst in einer Welt der Bedrohung" heißt dazu passend ihr Beitrag im Ausstellungskatalog.

Kritisch fällt auch die Arbeit "The Relativ Velocity Inscription Device" ("Gerät zur Aufzeichnung der Geschwindigkeit von Familienangehörigen") des BioTech-Künstlers Paul Vanouse. Er schickt die DNA seiner Familie in ein 48stündiges Wettrennen. Es treten an: die genetischen Proben seiner schwarzen jamaikanischen Mutter, seines weißen US-amerikanischen Vaters, die seiner Schwester sowie seine eigenen. Vanouse betreibt ein künstlerisches Spiel mit den Drohungen und Ängsten, die sich um den Begriff des genetischen Rassismus gruppieren. Diese recht neue Form des Rassismus braucht keinerlei äußere Anzeichen wie "Rasse", Physiognomie oder Hautfarbe mehr, um Menschen zu klassifizieren, da das Innerste, die Gene, von konservativen Biotechnologen als verlässlicher erachtet wird.

In "Put on your Blue Genes" finden sich darüber hinaus diverse Videoinstallationen wie die des Tissue Culture & Art Projects über "opferlosen Fleischkonsum" am Beispiel eines in der Petrischale gezüchteten Mini-Froschschenkels oder die erste BioTech-Soap von Hybrid Video Tracks. Suzanne Anker präsentiert Stammzellenbilder, die wie ein Rohrschachtest funktionieren und jedem Betrachter etwas anders sagen, während Virgil Wong den Ausstellungsbesucher zwecks medizinischer Optimierung in sein virtuelles RYT-Hospital schickt. Ruhiger geht es dort zu, wo der in den USA und Asien gern gekaufte und unter UV-Licht fluoriszierende Glofish TM friedlich im kleinen Aquarium vor sich hin dümpelt.

Das alles ist BioTech-Kunst. Mal ist sie affirmativer, mal kritischer. Meistens ist sie irgendwie beides, und weil dabei die Kritik ein wenig kurz zu kommen droht, bieten die Ausstellungsmacher auch gleich noch ein umfangreiches Rahmenprogramm aus Vorträgen, Lesungen und Diskussionsveranstaltungen an. Wer will, kann hier einiges zur "Genetik als Selbst- und Sozialtechnologie", zum Patentrecht oder zur "Dominanz der Molekularbiologie" erfahren. Auch um die Kernfrage der Ausstellung soll es gehen, am Donnerstagabend wird über "Biotech-Kunst zwischen Affirmation und Kritik der Life Sciences" diskutiert.

Denn dass trotz aller deutlichen Abgrenzungen zu den großen, von BioTech-Konzernen geförderten Wissenschaftsspektakel (seit 1993 in London: "Science for Life", seit 2003 in den USA: "Genome – The Secret of How Life Works" etc.) auch die eigene künstlerische und kuratorische Arbeit unter Umständen kontraproduktiv sein kann, wissen die Macher von "Put on your Blue Genes" genau. Große Ausstellungen sind nicht eindimensional, sondern flexibel, Kritik wird nicht ausgeschlossen, sondern integriert. "An die Stelle eines absolutistisch-souveränen Gendiskurses tritt eine scheinbar pluralistisch-dezentrale Netzwerkkonzeption, die jedoch weiterhin der Suprematie der Gene verpflichtet bleibt", schreibt Thomas Lemke im Katalog.

Anders gesagt, nämlich in den Worten des Kurators Carsten Does:

Es bleibt die Frage, inwieweit die Integration der Kritik im Bereich der Life Science Ausstellungen nicht auch eine Voraussetzung für die erfolgreiche kulturelle Durchsetzung der Biowissenschaft als neue Leitwissenschaft bildet.

Put on your Blue Genes. Biotech-Kunst und die Verheißungen der Biotechnologie. Ausstellung in der NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst), Oranienstr. 25, 10999 Berlin. 25. September bis 23. Oktober, tgl. 12 bis 18.30 Uhr. Weitere Informationen unter www.hybridvideotracks.org