Putin: Entspannte Energiepolitik im Nahen und Mittleren Osten
AKW-Bau in der Türkei und Ägypten, Ölförderung im Irak: Während sich Europa von russischer Energie unabhängig machen will, gehen die russischen Deals in der Region weiter.
Die ersten Gebäude stehen; der Boden ist geebnet. Und auch das Geld ist bald da angekommen, sagten türkische Regierungsmitarbeiter der Nachrichtenagentur Bloomberg. Insgesamt 15 Milliarden US-Dollar wird das türkische Unternehmen Akkuyu NGS Electric Manufacturing Co Ltd bis Ende dieser Woche erhalten haben. Der Zahler: Die "Föderale Agentur für Atomenergie Russlands", kurz Rosatom.
Der Verwendungszweck: Der Bau eines Atomkraftwerks in der Hafenstadt Mersin. Schon 2023 will die russische Behörde den ersten Reaktor in Betrieb nehmen; 2026 soll das Kraftwerk dann genug Energie erzeugen, um den Bedarf von 10 Prozent der türkischen Bevölkerung zu decken.
Und das ist kein Einzelfall. Auch in Ägypten will Rosatom in den kommenden Wochen mit dem Bau eines Atomkraftwerks beginnen, das ebenfalls nahezu vollständig mit russischem Geld finanziert wird.
Während in Europa darüber diskutiert wird, wie man möglichst schnell vollständig unabhängig von russischen Erdgas- und Öllieferungen werden könnte, teilt man in vielen Ländern des Nahen und Mittleren Osten diese neue Ablehnung nicht.
Sowohl die türkische als auch die ägyptische Regierung verweisen auf Anfrage darauf, dass die Verträge schon vor Jahren geschlossen worden seien, Rosatom nicht mit Sanktionen belegt sei und man auch keine Gründe sehe, die Projekte auf Eis zu legen.
Aus gutem Grund: Der Energiebedarf steigt in allen Ländern der weiteren Region ständig, während die Umweltverschmutzung immer größer wird. Man sucht nach Alternativen, die aber nicht besonders breit gestreut sind: Jenseits der reichen Golfstaaten läuft die Wirtschaft schlecht; die Staatskassen sind leer.
Gefahr sozialer Unruhen
Und das bedeutet auch, dass die Gefahr sozialer Unruhen für die Regierenden ständig präsent ist, was natürlich immer auch die Möglichkeit eines politischen Umsturzes mit sich bringt.
Dies zeigt sich derzeit besonders deutlich im Irak, wo gerade Unterstützer des Klerikers Muktada al-Sadr das Parlament gestürmt haben. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten: Auch zehn Monate nach der letzten Parlamentswahl haben es die Fraktionen nicht geschafft, sich auf eine Regierungsbildung zu einigen, während die Probleme des Landes immer drastischer werden.
Aus vielen Wasserhähnen fließt mitten in der Sommerhitze nur eine braune Plörre, Stromausfälle sind häufig. Und das, obwohl seit dem Sturz von Saddam Hussein enorme Summen an westlicher Unterstützung in das Land geflossen sind. Sichtbar ist der Geldsegen so gut wie nirgendwo.
Viele Demonstranten werfen sowohl der US-Regierung als auch der einheimischen Politik vor, sich mit den Mitteln vor allem die Unterstützung von einflussreichen Personen erkauft zu haben. Belege dafür gibt es nicht, aber das Misstrauen ist nun sehr tief verankert.
Als bei den Vereinten Nationen Ende Februar über eine Resolution zur Verurteilung des Kriegs gegen die Ukraine abgestimmt wurde, gehörte der Irak zu den 31 Staaten, die sich enthielten. Wenig später sei die Zahl der Anfragen nach irakischem Öl massiv gestiegen, berichtet der Sprecher des Ölministeriums Assem Jihad.
Aus Sicht der potenziellen westlichen Kunden besonders pikant: Auch in der irakischen Ölindustrie spielen russische Unternehmen zwar keine dominierende, aber eine Schlüsselrolle: Mindestens zehn Milliarden US-Dollar haben sie in die Ölinfrastruktur investiert, fördern heute um die 13 Prozent der täglichen Fördermengen.
Ungefähr 89 Prozent des irakischen Staatshaushalts wird aus der Ölförderung gespeist, und die gestiegene Nachfrage hat Begehrlichkeiten geweckt: Innerhalb von sechs Monaten, so das Ölministerium, wolle man die Kapazitäten schaffen, die für eine Steigerung der Fördermengen gebraucht werden. Hauptinvestor: russische Unternehmen.
Zwar sind aus den Zentralbanken in vielen Ländern der Region warnende Worte zu hören, man könne bald von internationalen Sanktionen betroffen sein. Doch die jeweiligen Regierungen machen trotzdem weiter, wohl in der Hoffnung, dass die USA und die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union keine weitere Eskalation in der Region riskieren werden.
Zumal die gestiegenen Öleinnahmen auch keinesfalls einen Geldsegen bedeuten: Viele Regierungen müssen die gestiegenen Einnahmen dafür ausgeben, die stark gestiegenen Nahrungsmittelpreise zu subventionieren.
Gasprojekte in Iran
Der russische Präsident Wladimir Putin vermittelt derweil recht selbstsicher den Eindruck des "business as usual". Vor kurzem traf er in Teheran mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zusammen, der seit seinem Amtsantritt vor etwas mehr als einem Jahr von chronischer Erfolglosigkeit geplagt wird.
Putin brachte auch ihm das Versprechen von reichlich Geld mit: 40 Milliarden US-Dollar werde die russische Gazprom in die Erkundung von neuen Gasfeldern im Iran und den Bau von Pipelines ausgeben, teilte das iranische Ölministerium mit.
Sollten die Energieprojekte allesamt fertiggestellt werden, hätten Putin und seine Nachfolger erheblichen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten; Russland würde auch dann verdienen, wenn gar kein Gas und Öl mehr aus Russland käme.