Putin gibt sich aufgeklärt

Der russische Regierungschef verspricht für die Präsidentschaftswahlen im März Webkameras in allen 90.000 Wahllokalen. Die Gouverneure in den Regionen will der Premier in Zukunft vom Volk bestätigen lassen

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In einer viereinhalbstündigen Bürgersprechstunde, die gestern vom russischen Fernsehkanal "Rossija 1" live ausgestrahlt wurde, wiederholte Waldimir Putin seinen Vorwurf, ein Teil der russischen Opposition agiere nach einem "ausländischen Plan". Schon vor einer Woche hatte Putin behauptet, den Protesten gegen die offensichtlichen Wahlfälschungen sei ein "Signal" der US-Außenministerin Hillary Clinton vorausgegangen. Es ist bereits die zehnte "Sprechstunde" bei der sich Putin den Fragen der Bürger stellt, die aus allen Teilen des Landes live zugeschaltet wurden. Angeblich gingen außerdem 1,7 Millionen Telefonanrufe und Fragen per SMS ein.

Foto: premier.gov.ru

Eigentlich muss Putin der neuen Protestbewegung dankbar sein. Denn diese hat den Ministerpräsidenten auf Ideen gebracht, die vorher unmöglich schienen. So schlug Putin in der Fernsehsprechstunde vor, bei den Präsidentschaftswahlen im März in allen 90.000 Wahllokalen Web-Kameras aufzustellen, um das Wahlverfahren im Internet öffentlich machen.

Putin sprach sich außerdem gegen eine Zensur des Internets aus. Entsprechende Befürchtungen waren laut geworden, nachdem am Tag der Duma-Wahl Hacker mehrere kritische Medien lahmgelegt hatten. Wenn die Opposition das Internet nutze, müsse eben auch die Regierung mit attraktiven Angeboten im Internet auftreten, erklärte der Premier, der sich diesmal ganz aufgeklärt gab.

Arbeiterbrigaden noch "nicht nötig"

Angesichts der Protestkundgebungen gab sich Putin unbesorgt. Proteste gäbe es überall auf der Welt und überall versuche die Opposition an die Macht zu kommen. Auch angesichts der Tatsache, dass in St. Petersburg, seiner Heimatstadt, die Wähler mehrheitlich für Oppositionsparteien stimmten, tat der Premier mit der Bemerkung ab: "Ich denke, das schadet St. Petersburg nicht."

Als ein Arbeiter aus der russischen Panzer-Fabrik in Nischni Tagil anbot, man könne mit einer Arbeiter-Delegation nach Moskau kommen, falls die Polizei dort mit den Protestkundgebungen nicht fertig werde, wiegelte Putin ab, das sei "jetzt nicht nötig".

Der Ministerpräsident kündigte an, dass man die Direktwahl der Gouverneure durch die Bevölkerung wieder einführen werde, eine alte Forderung der liberalen und linken Opposition. Der Kandidat muss aber von der stärksten Partei in der Region vorgeschlagen und dann vom Präsident bestätigt werden. Putin hatte die Direktwahl im Jahre 2004 abgeschafft. Damals wurde das mit Anti-Terror-Maßnahmen begründet.

Foto: premier.gov.ru

"Wahlfälschungen gibt es überall"

Von Wahlfälschungen in großem Ausmaß wollte Putin nichts wissen. Wahlfälschungen gäbe es überall auf der Welt. Mit diesem "Argument" vermied es der Premier auf konkrete Vorwürfe einzugehen. Die Partei "Einiges Russland", zu deren Gunsten bei der Duma-Wahl offensichtlich massenhaft Stimmzettel gefälscht wurden, wurde in der gesamten Sendung kein einziges Mal erwähnt. Schon letzte Woche hatte der Sprecher des Ministerpräsidenten, Dmitri Peskow, erklärt, in die Rubrik "Fälschungen" falle nur ein halbes Prozent der Stimmen.

Der Ministerpräsident erklärte, die Ergebnisse der Duma-Wahlen spiegelten die politische Meinung des Landes wieder. Russland habe eine Wirtschaftskrise durchgemacht und viele Menschen hätten ihre Arbeit verloren. Unter diesen Bedingungen sei es für die Opposition leichter, Menschen zu Protesten zu mobilisieren. In den Berichten über die Moskauer Protestkundgebung habe er viele "intelligente Leute" gesehen, die "aktiv ihre Meinung ausdrückten", sagte der Premier und flachste, "wenn das das Resultat des Regimes Putin ist, ist das gut".

Zur Unterstützung von Putin saßen bei dieser zehnten Bürgersprechstunde das erste Mal bekannte Personen des öffentlichen Lebens mit im Studio, wie die Film-Regisseure Nikita Michalkow, Fjodr Bondartschuk, der St. Petersburger Star-Dirigent Waleri Gergijew, der ehemalige Ministerpräsident Jewgeni Primakow und der ehemalige Außenminister Igor Iwanow. Sie spielten Putin Fragen zu, die dieser leicht beantworten konnte.

Nur einer scherte aus. Der bekannte Kinderarzt Leonid Roschal widersprach Putin öffentlich, als dieser behauptete, Roschal habe an einem Gesetz mitgearbeitet, welches zusätzliche finanzielle Leistungen der Bürger für die Versorgung im Krankenhaus vorsieht.

Während Putin seine Bürgersprechstunde abhielt, kündigte einer der Gegenkandidaten, der russische Milliardär Michail Prochorow auf einer Pressekonferenz an, er werde im Falle seines Sieges in der Präsidentschaftswahl als erste Amtshandlung den inhaftierten ehemaligen Öl-Magnaten Michail Chodorkwoski begnadigen. Auch Putin will eine Begnadigung nicht ausschließen, macht aber ein Schuldeingeständnis zur Bedingung.