Putin schlägt eine Brücke zu den US-Demokraten
Die tiefe Spaltung der politischen Lager in den USA macht Prognosen über die Zukunft der Beziehungen zwischen USA und Russland schwierig, meint der Vorsitzende des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, Lukjanow. Die Medien in den USA seien parteiisch und hätten ihre Objektivität verloren
Der Kreml schweigt noch zu den Wahlen in den USA. Und die Wahl einzuschätzen, trauen sich bisher auch nur wenige russische Experten. Einer der Wenigen ist Fjodr Lukjanow, Vorsitzender des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik. Er schrieb nach der US-Wahl in der Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta: "Amerika ist in zwei Hälften gespalten, und es gibt keinen Grund zu erwarten, das sich diese Situation in überschaubarer Zeit ändert. Die Spaltung ist nicht situationsbedingt, sondern weltanschaulich."
Die zwei Kandidaten "vertreten zwei verschiedene gesellschaftspolitische Philosophien". Eine der interessantesten Fragen werde sein: "Was wird mit der Demokratie?" Alle Institutionen in den USA arbeiteten normal, "aber wenn es so einen Grad an Polarisierung gibt" und dazu noch eine Pandemie kommt, könne man "den Grad der Verfälschung des Volkswillens nur noch schwer bestimmen".
Auf die Beziehungen zwischen den USA und Russland hätten die Präsidentschaftswahlen auf der anderen Seite des Atlantik "wenig Einfluss", meint Lukjanow. Dafür gäbe es drei Gründe: 1.) Dass es zwischen den USA und Russland in absehbarer Zeit Gesprächsbedarf gibt, sei nicht abzusehen. 2.) Die Wirtschaft spiele in den Beziehungen keine große Rolle, und wenn sich auf diesem Gebiet etwas entwickelt, dann "abseits der staatlichen Politik". 3.) Nach den "romantischen Illusionen" der 1990er Jahre, gehe man ideologisch schon lange getrennte Wege.
Die USA – so Lukjanow - seien in der nächsten Zeit mit ihren "eigenen Problemen" beschäftigt. "Die Bedeutung der internationalen Beziehungen geht zurück, gleichzeitig nähme die Bedeutung dieser Beziehungen als Instrument zur Lösung innerer Probleme zu." Das wiederum verringere den Raum für inhaltsvolle internationale Beziehungen.
Für die Russen ist Trump das "kleinere Übel"
Das wichtigste Plus von Trump ist aus Sicht vieler Russen, dass der 2016 gewählte US-Präsident keinen neuen Krieg gegen ein anderes Land begonnen hat. Dass die Situation für Russland in der Welt immer ungemütlicher wurde, lasten die Russen vor allem den US-Demokraten an, die mit ihrer Politik der „humanitären Interventionen“ den militärischen Ring um Russland immer enger gezogen haben.
Der russische, patriotische Schriftsteller, Aleksandr Prochanow, erklärte gegenüber der Komsomolskaja Prawda, auf die Frage, für welchen Kandidaten er sei: "Für Donald! Nach seiner inneren Einstellung ist er Putin näher als Biden. Trump ist auch ein starker Kerl, er kennt die Kraft die Macht. Und das muss uns beeindrucken. Der Sieg von Trump wäre für Russland wünschenswerter." Dass Trump für traditionelle Werte steht, machte ihn in den letzten Jahren für viele russische Politiker und Medien attraktiv.
Dass Trump während seiner Amtszeit "nur" Raketen auf einen syrischen Militärflughafen abschießen ließ, ist aus russischer Sicht wenig gegenüber George W. Bush, der Truppen nach Afghanistan und den Irak und Obama, der Truppen nach Syrien, in den Jemen und Libyen schickte.
Ein US-Präsident, der ohne ein Mandat der UNO andere Länder angreift, ist aus russischer Sicht immer auch eine Bedrohung für Russland, das fürchtet, selbst einmal Opfer der selbsternannten Weltmacht USA zu werden.
Dass unter Donald Trump massiv Sanktionen gegen Russland verhängt wurden und die USA mit allen Mitteln versuchen, die Nord-Stream-2-Pipeline zu stoppen, dass der Abrüstungsvertrag über strategische Raketen nicht verlängert wurde, ist für Russland zwar sehr schmerzlich, liegt aber immer noch unter der Schwelle einer militärischen Intervention. Und das ist aus russischer Sicht schon sehr viel, angesichts der Tatsache, dass der Westen in Nachbarländern Russlands aktiv antirussische Kräfte unterstützt und in der Ukraine sogar einen Staatsstreich zugunsten anti-russischer Kräfte vorantrieb.
Obwohl die Sympathien vieler russischer Kommentatoren und Politiker bei Trump liegen, äußern sich der Kreml und die nationalen Fernsehkanäle neutral zu den beiden Kandidaten in den USA. Wladimir Putin und Igor Iwanow, der von 1998 bis 2004 russischer Außenminister war, machen in ihren Stellungnahmen in den letzten Wochen deutlich, dass ein Wahlsieg von Joe Biden für Russland keine Katastrophe ist.
Ehemaliger russischer Außenminister empfiehlt, "antiamerikanische Kritik zu dämpfen"
Wie der ehemalige russische Außenminister und jetzige Präsident des russischen Rates für Außenpolitik, Igor Iwanow, am Dienstag in einem Meinungsbeitrag im "Kommersant" erklärte, "müsse man davon ausgehen, dass die USA bei allen inneren Problemen ein führende Weltmacht bleiben werden". Doch die politische und militärische Kraft der USA sei schon "nicht mehr so", dass sie "der Welt die eigenen Bedingungen diktieren kann, aber sie reicht aus, um in bedeutendem Maße auf das Geschehen in der Welt Einfluss zu nehmen".
Russland tue "gut daran, alles dafür zu tun, dass es nicht zu einer direkten Konfrontation mit den USA kommt". Das Verhältnis zwischen Russland und den USA werde "in der nächsten Zeit vor allem von Konkurrenz geprägt sein, nur in bestimmten, ziemlich begrenzten Feldern wird es eine Zusammenarbeit geben".
Es sei "sehr wichtig", so Iwanow, "die starke Kritik an den USA in den russischen Massenmedien zu dämpfen". In dem Maße, wie diese Kritik heute geführt werde, "schürt sie in bestimmten Schichten unserer Gesellschaft antiamerikanische Stimmungen, was vielleicht den innenpolitischen Interessen bestimmter Kräfte dient, was aber die außenpolitischen Aktivitäten Russlands - nicht nur in Richtung Amerika - erschwert".
Mit seinen Äußerungen macht Iwanow deutlich, dass er zum liberalen Flügel in der russischen Elite gehört.
Es ist kein Geheimnis, dass es in der russischen Elite zwei Lager gibt, ein konservatives Lager, welches Russlands Eigenständigkeit betont, und ein liberal-pro-westliches Lager. Wladimir Putin neigt eher dem konservativen Lager zu, versucht aber zwischen beiden Lagern Kompromisse zu finden.
Es ist auch kein Geheimnis, dass der Großteil der russischen Bevölkerung anti-amerikanisch fühlt. Das ist Resultat konkreter Erfahrungen in den letzten Jahrzehnten. Die einfachen Russen fühlen sich von den in den 1990er Jahren gemachten Versprechungen der USA - hinsichtlich Nichteinmischung, Abrüstung und Frieden - betrogen. Und die Russen - bis auf liberale Kreise in den Großstädten - fühlen sich bedroht, von den amerikanischen Raketen, den ständigen Militärmanövern an Russlands Grenzen und den von amerikanischen Diensten und NGOs unterstützten Unruhen in Russlands Nachbarländern.
Wladimir Putin: Trump muss auf den Parteien-Konsens in den USA Rücksicht nehmen
Wladimir Putin hat sich am 7. Oktober überraschend freundlich über den Kandidaten Joe Biden geäußert. Diese Äußerungen sollen hier ausführlich zitiert werden, weil sie einen Einblick in die Überlegungen des Kreml geben.
"Wir wissen, dass der amtierende Präsident Trump wiederholt Interesse an der Verbesserung der russisch-amerikanischen Beziehungen bekundet hat. Und das wissen wir sehr zu schätzen. (…) Die Absichten, über die Präsident Trump zuvor gesprochen hat, wurden jedoch nicht vollständig verwirklicht. Ich glaube, das hängt vor allem mit einem bestimmten Konsens der beiden Parteien (Demokraten und Republikaner, UH) zusammen, die Notwendigkeit, Russland einzudämmen und die Entwicklung unseres Landes einzudämmen. (…) Und wir verstehen, dass dies eine Beschränkung für die derzeitige Administration ist.
Darüber hinaus wurden während der Trump-Präsidentschaft vor allem verschiedene Beschränkungen und Sanktionen eingeführt. 46mal wurden Entscheidungen über die Verhängung neuer oder die Ausweitung früherer Sanktionen getroffen. Die Regierung des Amtsinhabers zog sich aus dem Vertrag über Raketen der kurzen und mittleren Reichweite zurück. Das war ein sehr ernster Schritt. Nach 2002, als sich die Bush-Regierung aus dem ABM-Vertrag zurückzog, war dies der zweite große Schritt. Und ich glaube, es ist eine große Gefahr für die internationale Stabilität und Sicherheit.
(…) Trotzdem ist der bilaterale Handel während der Trump-Präsidentschaft erneut gewachsen. Und es ist trotz aller Einschränkungen durch die Pandemie spürbar gewachsen. Die Pandemie hat möglicherweise einige Anpassungen eingeführt, aber im Allgemeinen gibt es einen Aufwärtstrend im gegenseitigen Handel. Und das ist gut so, denn dahinter stehen Jobs, Geschäftstätigkeit und so weiter.
Unsere gemeinsame Arbeit zur Stabilisierung des Weltenergiemarktes hat sich recht gut entwickelt, da die Vereinigten Staaten natürlich daran interessiert sind, eine gewisse Stabilität aufrechtzuerhalten, ihre Öl produzierenden Unternehmen zu unterstützen und so weiter. Und wir haben es geschafft, ein wirklich gutes, gemeinsames Ergebnis zu erzielen. Das heißt, sie verstehen, es gibt Vor- und Nachteile.
Putin: Mit den US-Demokraten gibt es gemeinsame Werte
Was den Kandidaten der Demokratischen Partei betrifft. Nun, was kann man sagen? Wir können auch ziemlich scharfe antirussische Rhetorik hören. Leider haben wir uns daran schon gewöhnt. Aber es gibt einige beachtenswerte Dinge. Erstens, die Demokratische Partei ist traditionell den sogenannten liberalen Werten näher, sie ist näher den Ideen der Sozialdemokratie, wenn man es mit Europa vergleicht. Aus dem sozialdemokratischen Umfeld heraus entwickelte sich einst die Kommunistische Partei.
Immerhin war ich fast 20 Jahre, genauer gesagt 18 Jahre, Mitglied der Kommunistischen Partei der Sowjetunion. Ich war ein einfaches Mitglied, aber man kann sagen, dass ich an die Ideen der Partei geglaubt habe. Viele dieser linken Werte gefallen mir bis heute. Gleichheit und Brüderlichkeit. Was ist daran schlecht? Das ähnelt den christlichen Werten. Diese Werte sind schwer im realen Leben zu verwirklichen, trotzdem sind sie sehr anziehend. Deshalb gibt es eine gemeinsame ideologische Basis für die Entwicklung von Kontakten mit den Vertretern der Demokratischen Partei.
Wie bekannt ist, gehört die afroamerikanische Bevölkerung der USA zum festen Wählerstamm der Demokratischen Partei der USA. Das ist gut bekannt. Da sage ich nichts Neues. In der Sowjetunion wurde die Bewegung der Afroamerikaner zur Verwirklichung ihrer gesetzlichen Rechte immer unterstützt. Schon die Komintern schrieb in den 1930er Jahren, dass die Afroamerikaner in der Arbeiterklasse und die weißen Arbeiter einen gemeinsamen Feind haben - Imperialismus und Kapitalismus. Und es wurde geschrieben, dass diese Abteilung die effektivste im zukünftigen revolutionären Kampf sein kann. (…)
Putin: Wir waren solidarisch mit Angela Davis
Erinnern Sie sich, Sie sind ein junger Mann, aber die Menschen meiner Generation erinnern sich, dass es bei uns eine Zeit gab, als in der ganzen Sowjetunion große Porträts der Mitglieder der Kommunistischen Partei der USA und der aktiven Kämpferin für die Rechte der Afroamerikaner, Angela Davis, aufgehängt wurden.
Deshalb scheint uns, es gibt etwas, worüber wir reden können und was eine Basis für die Verständigung sein kann. Aber das ist noch nicht alles. Zum Beispiel hat der Kandidat Biden öffentlich gesagt, dass er bereit ist, den Vertrag über die Begrenzung der strategischen Raketen zu verlängern.
Wir werden mit jedem zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten zusammenarbeiten, mit dem Menschen, dem das amerikanische Volk sein Vertrauen schenkt."
Putin, der im Inland immer patriotisch und für traditionelle Werte auftritt, wirkte in diesem Interview wie ein linker Internationalist. Das Interview wurde zwar in voller Länge auf der Website des Kreml veröffentlicht, die russischen Medien brachten daraus jedoch nur Auszüge. Die deutschen Medien verschwiegen es fast ganz.