Putin stellt Amtszeitzähler auf Null
Die russische Verfassungsreform hat gestern die beiden Parlamentskammern passiert
Nach der Staatsduma (die mit 383 Ja-Stimmen zu 43 Enthaltungen dafür votierte) hat gestern auch der Föderationsrat, die zweite russische Parlamentskammer, eine am 15. Januar von Wladimir Putin angestoßene Verfassungsänderung durchgewunken - mit 160 Ja-Stimmen zu drei Enthaltungen.
Als Putin seine Pläne für diese Änderung vorgestellt hatte, stand im Vordergrund, dass die Einschränkung "in Folge" aus der Regelung, dass "ein und dieselbe Person das Präsidentenamt nicht länger als zwei Amtszeiten in Folge innehaben" darf, entfernt werden soll. Durch diese Streichung schloss Putin scheinbar aus, dass er nach dem Ablauf seiner laufenden Amtszeit 2024 den Ämtertausch von 2008 wiederholt (vgl. Russlands Regierungsumbau).
Damals wechselte er nach zwei Amtszeiten als Staatspräsident in das Amt des Ministerpräsidenten. Die folgenden vier Jahre war dann Dmitri Medwedew Staatspräsident, bis der den Posten 2012 wieder an Putin zurückgab, wieder Ministerpräsident wurde und die Amtszeit von Staatspräsidenten von vier auf sechs Jahre ausdehnte.
Deshalb spekulierten Beobachter, ob der beim Ablauf seiner laufenden Amtszeit 71-Jährige einen anderen Posten im Auge hat - etwa einen im Staatsrat der Regionsgouverneure (dessen Rolle in der neuen Verfassung festgeschrieben wird) oder als Chef einer Union aus Russland und Weißrussland.
Präsident bis 2036?
Während der Debatte im Parlament kristallisierte sich jedoch in einem an das EU-Parlament erinnernden Dickicht von fast 400 Änderungsanträgen und etwa 200 angenommenen Änderungen heraus, dass Putin mit gewisser Wahrscheinlichkeit auch nach 2024 Präsident bleibt. Offiziell machte den Vorschlag für das Schaffen der Voraussetzung dazu nicht er selbst, sondern Walentina Tereschkowa - die erste Frau im Weltraum, die heute Abgeordnete seiner Partei Einiges Russland ist.
Sie argumentierte, da das Amt des Präsidenten in der neuen Verfassung ja neu zugeschnitten sei, dürfe man bei der Begrenzung der Amtszeiten die im alten - anders zugeschnittenen - Präsidentenamt nicht mitzählen. Damit kann sich der jetzige Staatspräsident 2024 und 2030 wiederwählen lassen. 2036, am Ende seiner zweiten gezählten Amtszeit, wäre er dann 84 Jahre alt.
Im neuen Zuschnitt ernennt der russische Staatspräsident zwar nicht mehr den Ministerpräsident und dessen Minister (die dann vom Parlament bestimmt werden sollen), aber er hat das Recht, Ministerpräsidenten und Minister zu entlassen, Prioritäten zu setzen und Aufgaben zu vergeben. Bei der Auswahl der wichtigen Staatsanwälte darf er ebenso mitentscheiden wie bei der der Verfassungsrichter und Staatsratsmitglieder. Auch für die Außen- und Verteidigungspolitik und für Militär, Geheimdienste und Polizei soll die oberste Auswahlkompetenz bei ihm liegen.
Putin selbst meinte dazu, er sei "tief davon überzeugt, dass eine starke präsidiale Macht für Russland absolut notwendig ist". Sonst gebe es das "Risiko einer Doppelherrschaft". Das Präsidialsystem müsse jedoch damit kombiniert sein, dass die Bürger in transparenten Wahlen mit Wettbewerbscharakter "immer eine Alternative haben".
Volksabstimmung am 22. April
Außer dem neuen Amtszuschnitt findet sich in der neuen Verfassung auch die Klarstellung, dass diese Vorrang vor internationalen Verträgen und anderen außerrussischen Rechtsnormen hat. Widersprechen sie der russischen Verfassung, sind sie ungültig. Das ist eine im internationalen Vergleich nicht ungewöhnliche Regelung: Auch in Deutschland prüft das Bundesverfassungsgericht regelmäßig EU-Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz.
Eine weitere Änderung könnte man auf den ersten Blick für eine Angleichung an die Rechtslage in Ländern wie den USA halten, in denen Präsidentschaftsbewerber im Land geboren sein müssen. In Russland mussten sie bislang lediglich zehn Jahre lang im Land leben. Daraus werden nun 25 Jahre. Aber darüber hinaus darf ein Kandidat nur über die russische und über keine andere Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltserlaubnis verfügen. Sogar dann, wenn diese andere Staatsbürgerschaft aufgegeben wurde oder die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, bleibt er von der Wählbarkeit ausgeschlossen. Diese strengen Voraussetzungen gibt es in den USA nicht.
Nach der Verabschiedung durch die beiden Parlamentskammern wird die neue Verfassung nun den Regionalparlamenten, dem russischen Verfassungsgericht und dem russischen Volk vorgelegt, das am 22. April in einer ersten "allrussische Abstimmung" darüber befinden soll. Anders als in den Parlamenten, in denen Zweidrittelmehrheiten erforderlich sind, reicht hier eine einfache Mehrheit. Kommt sie zustande, tritt das Gesetz am Folgetag in Kraft.
Eine Annahme durch das Volk gilt auch deshalb als wahrscheinlich, weil die neue Verfassung Elemente enthält, die viele Bürger als Sicherung ihrer eigenen Existenz sehen dürften: Etwa einen garantierten Mindestlohn und eine Garantie der regelmäßigen Anpassung der Renten. Darüber hinaus hat man Tugendsignale wie die "wichtigen Priorität" von Kindern und den "Schutz der historischen Wahrheit" in das Dokument aufgenommen, mit denen sich eher emotional orientierte Bürger ansprechen lassen.
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