Putins Krieg und wir

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Nach dem Schock wächst Entschlossenheit und Solidarität, die Angst bleibt. Perspektiven, eine Woche nach dem russischen Angriff auf die Ukraine

Gestern Corona, heute Krieg – so scheinen wir von einer Bedrohung in die nächste Gefahr geschlittert zu sein. Diese Wahrnehmung, so unmittelbar wir sie erfahren, ist allerdings eine medial kreierte und deshalb verzerrt.

Es ist richtig, dass keine zwei Flugstunden von uns entfernt Krieg herrscht, und zwar ein mit unvorstellbarer Härte geführter. Die Bilder, die uns im Livestream rund um die Uhr von dort erreichen, sind kaum zu ertragen. Allein die Vorstellungen darüber müssen Angst machen.

Wir wissen aber alle, auch wenn viele es vielleicht nicht mehr hören wollen, dass die Pandemie nicht vorüber ist. Sie spielt nur in den Nachrichten keine Rolle mehr. In den nunmehr sechs Tagen, in denen wir den Schock angesichts des Überfalls auf die Ukraine zu bewältigen versuchen, bleibt das Virus ebenso Realität.

Objektiv ist also die Lage schlecht, aber bei allem Verständnis für die Vielfalt umlaufender Ängste besteht kein Anlass, in Panik zu verfallen. Dies geht insbesondere an die Adresse derer, die wie zu aufgeregtesten Coronazeiten bestimmte Regale der Supermärkte leerkaufen, Benzin in Kanistern bunkern und Campingöfen, Kompressoren, Radiatoren etc. auf Halde kaufen. (Was im Fall eines atomaren Schlagabtauschs auch nicht helfen würde.)

Solche aufgescheuchten Zeitgenossen:innen führen uns nur vor Augen, wie sehr Putins Gewaltakt an unsere mentalen Grenzen rüttelt.

Aber Panik und die sie schürende Angst waren und bleiben schlechte Berater. Was in diesen dramatischen Zeiten umso mehr gefragt sein wird, ist ein kühler Kopf. Jetzt geht es darum, der ukrainischen Bevölkerung so viel Solidarität und Hilfe zukommen zu lassen, wie für uns irgend möglich. Denn die Menschen dort – und nicht wir – sind die eigentlich Gefährdeten. Ihnen – und nicht uns – geht es gerade im wahrsten Wortsinn an den Kragen.

Zudem sollte für jeden selbstverständlich sein, sich aus seriösen Quellen über den Fortgang des Geschehens zu informieren, um zu versuchen, ebenso nüchtern wie selbstkritische eine Bestandsaufnahme dessen zu versuchen, wie der von Putin losgetretene Wahnsinn politisch zu fassen ist. Soweit das unter dem Eindruck der sich überschlagenden Ereignisse möglich sein kann.

Zur militärischen Lage

In militärischer Hinsicht darf man sich aus unserer westlichen Perspektive keine Illusionen machen: Auch wenn die zeitliche Ausdehnung der Kampfhandlungen ungewiss ist, müssen wir davon ausgehen, dass Putins zahlenmäßig und technisch hochüberlegene Armee am Ende gewinnen wird.

Offensichtlich ist die Kampfkraft der ukrainischen Verteidiger sehr viel stärker, als viele das eingeschätzt haben. Vor allem die Russen haben das Maß der Gegenwehr wohl unterschätzt.

Auch aufgrund dessen, dass die Ukrainer eine solch hohe Kampfmoral aufweisen, sind in der EU die Bedenken gegen eine waffentechnische Unterstützung verstummt. Mittlerweile wird die ukrainische Armee offen mit Waffen und Material aus der EU und den USA versorgt.

Das wiederum hält die Invasoren nicht davon ab, die Kämpfe noch brutaler und rücksichtsloser fortzuführen. Immer mehr Truppen werden herangezogen, zusätzliches, noch zerstörerisches Material wird aufgefahren. Entgegen der propagandistischen Dementi nehmen die russischen Soldaten keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung.

Solange die Ukraine in der Lage ist, ihre Kämpfer:innen an den Fronten zu versorgen und gleichzeitig die Grenzen nach Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei für Nachschub offenbleiben, wird der Krieg andauern. Das Einzige, in dem die ukrainischen Kämpfer:innen den russischen Angreifern überlegen sind, ist Moral bzw. Motivation. Sie sind überzeugt von dem, wofür sie kämpfen: Freiheit und Leben.

Auf der Gegenseite stehen Männer im Kampf, die nicht wissen können, wozu sie eigentlich ihr Leben riskieren sollen. Sie wurden mit dem fadenscheinigen Auftrag in die Grenzregionen geschickt, an einer großen Übung teilzunehmen. Jetzt befinden sie sich mitten im feindlichen Beschuss.Der Sinn ihres Einsatzes muss ihnen unablässig mittels der bekannten Lügen vorgebetet werden, damit sie überhaupt ein Ziel haben.

Mit welch zynischer Fürsorge Putin sie ins Feuer schickt, sieht man allein an den mobilen Krematorien, die den Bataillonen folgen. Gefallene sollen rasch und möglichst im Verborgenen verbrannt werden, damit ihre Überreste nicht in Särgen, sondern in Urnen zurück in die Heimat kommen. So fällt es zu Hause am wenigsten auf, denkt der Diktator.