Putins Krieg und wir

Seite 3: Es geht um Putins Großmachtallüren

Putin hat sich nie ernsthaft Sorgen über die Nato vor seiner Haustür gemacht. Im Gegenteil, der Westen ist aus seiner Sicht immer schwächer geworden. Das Einzige, wovor er wirklich Angst hat, ist eine erblühende und im Innern wachsende Demokratie in seiner unmittelbaren Nachbarschaft.

Das würde sein Unterjochungssystem immer mehr mit der gelebten Idee von Freiheit in Konkurrenz setzen und Begehrlichkeiten bei der eigenen unterdrückten Bevölkerung wecken. Davor haben Diktatoren Angst, dass sie ihre Macht verlieren. Nicht die Ukraine an sich bereitet Putin Kopfschmerzen, sondern die anschwellende Zahl an ukrainischen Demokraten:innen.

Genauso, wie linksorientierte Kreise eingestehen müssen, Putins wahre Identität verkannt zu haben, könnten sich andere Vorwürfe machen, wie sie in der Ukraine falsche Hoffnungen geweckt und gehegt haben. Schon vor dem politischen Beben von 2014 gab es in der Ukraine den Wunsch, in die EU aufgenommen zu werden. Darum ging es damals auf dem Maidan.

Kurze Zeit später drängte man dort auf eine Nato-Mitgliedschaft. Die EU und die USA haben diese Forderungen mit einer Strategie der Uneindeutigkeit und des Hinhaltens beantwortet. Einerseits in aller Unverbindlichkeit grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, dabei auf Zeit gesetzt und die Ukraine politisch und wirtschaftlich für sich eingenommen.

Dass damit auf russischer Seite die Animositäten wachsen mussten, wurde diplomatisch routiniert in Kauf genommen.

Wie sehr die EU davon überzeugt war, dass sich dieses Russland an den internationalen Knigge der Diplomatie halten würde, schlägt sich darin nieder, dass man sich trotz zahlreicher mahnender Stimmen noch stärker an die Energieversorgung aus Russland gebunden hat. Angesichts eines Projekts wie North Stream kann man sich seit dem Donnerstagmorgen nur noch an den Kopf fassen.

Das alles ist mit dem Einmarsch der Putin-Truppen in das Territorium ihrer Nachbarn Makulatur. Müßig darüber zu debattieren, was gewesen wäre, wenn ... Mit einem Gegenüber, das sich den Tabubruch erlaubt, unverhohlen mit dem Atomkrieg zu drohen, ist nichts mehr zu verhandeln. Ebenso wenig ist dieser Aggressor nicht durch Appelle und Friedensbekundungen zu beeindrucken.

Jegliche Forderungen nach Frieden in der Ukraine müssen den Aggressor Putin klar benennen und einzig die russischen Invasoren auffordern, die Kampfhandlungen ohne Wenn und Aber einzustellen.

Ukraine-Krieg: Welche Hoffnung bleibt uns?

Zwei Szenarien bleiben Erstens, es gelingt der Ukraine tatsächlich, die russische Armee in eine Pattsituation zu zwingen und damit zu ernsthaften Verhandlungen. Die Ukraine würde schließlich unter bestimmten Zugeständnissen als eigenständiger Staat bestehen bleiben und die Russen müssten sich auf ihr Territorium zurückziehen, was für Putin einer Niederlage gleichkäme.

Die Kontakte zwischen den Lagern wären auch dann zunächst ziemlich eingefroren. Wie schnell man wieder auf Vorkriegsniveau in den Beziehungen käme, ist ungewiss.

Zweitens: Ein sehr schleppender und von hohen Verlusten geprägter Kriegsverlauf begleitet von tatsächlich nachwirkenden Appellen aus den westlichen Medien würde in Russland zu einer derart massiven Protestbewegung führen, dass Putin vor seinen eigenen Leuten einlenken müsste. Das wäre schon ein Wunder – aber in der Not klammert man sich nun mal an Illusionen.