Rabattschlacht

Der EU-Haushalt für die kommenden Jahre steht - die nationalen Egoismen und ein überkommenes Finanzsystem bleiben

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Einigung in buchstäblich letzter Minute: In der Nacht zum Samstag haben die europäischen Staatsspitzen in Brüssel doch noch den Gemeinschaftshaushalt für die Jahre 2007 bis 2013 bestätigt. Vorausgegangen waren zähe Verhandlungen in großer Runde und unter vier Augen. Die Lösung des Etat-Streits hatte London zu einer der Prioritäten seines halbjährigen EU-Vorsitzes erklärt.

Bundeskanzlerin Merkel mit dem britischen Außenminister Straw. Bild: Council of the European Union

Es war Kompromissvorschlag Nummer drei, der schließlich die Gipfelrunde passierte. Am frühen Samstagmorgen stimmten die Staats- und Regierungschefs der 25 EU-Mitgliedsländer einer Haushaltssumme von rund 862 Milliarden Euro zu. Der so genannte Britenrabatt soll um 10,5 Milliarden Euro sinken und möglicherweise im Jahr 2013 generell auslaufen. Bereits 2008, so beschloss es der Gipfel, wird die gesamte Finanzplanung erstmals überprüft und gegebenenfalls revidiert werden.

Die britische Ratspräsidentschaft hatte für ihre bisherigen Versuche, den Haushaltszwist zu lösen, massive Kritik geerntet. Bereits vor knapp zwei Wochen war ein Kompromissvorschlag Londons bei den Außenministern durchgefallen. Downing Street gelobte (Nach-)Besserung und präsentierte nur wenige Stunden vor dem Brüsseler Gipfel abermals ein neues Angebot: Insgesamt 849,3 Milliarden Euro sollte der künftige Etat betragen, nur etwa 2,5 Milliarden Euro mehr als im Vorschlag aus der Vorwoche vorgesehen. "Einfach nicht ausreichend", monierte jedoch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso.

Die nun in Brüssel erfolgte nochmalige Erhöhung um knapp 13 Milliarden Euro hat zwar auch kaum mehr als symbolischen Wert. Letztlich sollte - nach den gescheiterten Referenden über die EU-Verfassung - wohl vor allem die Handlungefähigkeit der Gemeinschaft demonstriert werden. Noch auf dem Gipfel in Juni war selbst ein Haushaltsvorschlag in Höhe von 871 Milliarden abgelehnt worden. Allerdings ging dabei keineswegs nur um die Höhe des Etats, sondern auch ums Prinzip. Insbesondere Deutschland, Schweden und die Niederlande, die zu den Haupteinzahlern in die Gemeinschaftskasse gehören, hatten einen Beitragsnachlass gefordert - wie er Großbritannien seit Jahrzehnten gewährt wird. Verschwiegen wurde dabei natürlich, dass auch Berlin, Wien, Den Haag und Stockholm seit 1999 einen Nachlass auf ihre Abführungen erhalten.

Britenrabatt und Agrarsubventionen

Laut dem jüngsten Londoner Angebot soll nun auch der so genannte Britenrabatt sinken, aber vorerst prinzipiell beibehalten werden. Der Abschlag auf die Beitragszahlungen Großbritanniens war auf Druck von Margaret Thatcher auf dem EU-Gipfel 1984 in Fontainebleau eingeführt worden. Die Regierungschefin hatte argumentiert, die Zahl der Landwirte im Königreich sei deutlich geringer als in anderen Staaten - daher würde auch weniger Geld ins Königreich zurückfließen als in andere Mitgliedsländer. Die Bereitschaft, dem britischen Drängen nachzugeben, hatte aber noch einen anderen Hintergrund: Vor 20 Jahren ging es nicht zuletzt darum, den ohnehin euroskeptischen Briten die erst elfjährige EU-Mitgliedschaft nicht zu versauern. Seit sich die eiserne Lady mit ihrem legendären Schlachtruf "I want my money back!" durchgesetzt hatte, erhält London zwei Drittel seiner an Brüssel gezahlten Nettobeiträge zurück. Auf die aktuelle Wirtschaftsleistung bezogen beträgt der Abschlag auf den EU-Haushalt in diesem Jahr etwa fünf Milliarden Euro. Das letzte Angebot Tony Blairs am späten Freitagabend lautete: Reduzierung des Rabatts um knapp elf Milliarden Euro über die gesamte Laufzeit der siebenjährigen Finanzperiode - immerhin drei Milliarden mehr, als von London vor dem Gipfel zugestanden.

Den Gegnern des Abschlags ist aber auch das zu wenig. Sie argumentieren heute, dass durch die inzwischen generell geringere Anzahl von Landwirten und die britische Wirtschaftskraft der Rabatt nicht mehr zeitgemäß sei. Insbesondere in Paris wird der Nachlass mit deutlichem Missfallen gesehen. Tatsache ist aber auch, dass der jetzt in die Schlagzeilen geratene Britenrabatt davon ablenkt, dass die Haushaltspolitik der EU insgesamt ein Fossil aus vergangenen Jahrzehnten ist. So wird noch immer der größte Teil, fast die Hälfte, der Gemeinschaftsgelder für Agrarausgleichszahlungen ausgegeben - um die europäische Landwirtschaft vor Weltmarktbedingungen zu schützen, die in anderen Bereichen von Brüssel stets eingefordert werden.

Vor dem EU-Gipfel im Juni war der Streit zwischen London und Paris um die Finanzplanung eskaliert: Während der britische Premier Tony Blair nur bei einer generellen Reform des EU-Haushalts zu Abstrichen bei dem Britenrabatt bereit war, forderte Frankreichs Präsident Jaques Chirac einen sofortigen Abbau der Vergünstigung und wies eine Verknüpfung der Rabattstreichung mit Kürzungen der Agrarsubventionen zurück. Denn diese kommen in erster Linie Bauern in der Bretagne oder der Provence zugute - Frankreich steht bei den Empfängern von Landwirtschaftszuschüssen in der EU an erster Stelle. Kurz vor Gipfelbeginn hatte der britische Außenminister Jack Straw noch einmal Londons Position bekräftigt bekräftigt: Aufgabe des Rabatts nur bei genereller Reformierung des EU-Haushalts. Dass nun sowohl London als auch Paris von ihren Maximalpositionen abrückten, soll der Vermittlung der deutschen Kanzlerin zu danken sein. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Gerhard Schröder habe sich Angela Merkel nicht deutlich auf die Seite der Franzosen geschlagen. Dass auf der 2008 angestrebten Revision des Haushalts das Gesamtsystem zur Disposition gestellt wird, glaubt niemand.

Die Verlierer sind die neuen Mitgliedsländer

Die eigentlichen Verlierer des Brüsseler Finanzpokers sind jedoch die neuen Mitgliedsländer in Osteuropa, auch wenn dies offiziell anders dargestellt wird. Obgleich auch in der EU die Freundschaft beim Geld aufhört, hatten sich Polen, Ungarn oder Tschechien als Gegenleistung für die Übernahme der Gemeinschaftsregeln und die Öffnung ihrer Märkte für die westeuropäische Wirtschaft einen warmen Euro-Segen erhofft. Wie auch nach den bisherigen Vorschlägen müssen die zehn neuen EU-Staaten auch mit dem jetzt abgesegneten Finanzpapier auf etwa zehn Prozent ihrer erwarteten Finanzzuschüsse verzichten.

Betroffen von den Kürzungen wären vor allem Mittel aus den Strukturfonds. Diese Fonds sind eingerichtet worden, um wirtschaftlich und sozial benachteiligte Regionen in Europa zu unterstützen. Insgesamt erhielten die osteuropäischen EU-Neumitglieder auf heutige Preise berechnet aber immer noch doppelt soviel, wie dem Nachkriegs-Westeuropa durch den Marshall-Plan bereitgestellt wurde, merkte schon zu Monatsbeginn der britische Außenminister Jack Straw vor der Presse süffisant an.

Fließen die Fördermittel jedoch nicht im erhofften Umfang nach Osteuropa, werden die EU-Neulinge auf zusätzliche Jahre zwar lukrativer Absatzmarkt, durch den Entwicklungsrückstand aber kaum gleichberechtigter Wirtschaftspartner Westeuropas bleiben. Die vielbeschworene Solidarität in der Gemeinschaft erweist sich einmal mehr als leere Worthülse.