Rakka: Der IS ist zurück
Sowohl in der Stadt wie in der Provinz sollen Zellen aktiv sein, wie eine Serie von Anschlägen nahelegt. Ziele sind häufig die kurdischen YPG, die dort auch anderen Feindseligkeiten gegenüberstehen
Der IS ist zurück in Rakka (auch: Raqqa), behauptet der französische Historiker Matteo Puxton. Er geht davon aus, dass der "Islamische Staat" mindestens eine Zelle in der Stadt hat und eine in der Provinz.
Puxton ist in Frankreich und darüber hinaus eine Referenz, wenn es um präzise Informationen zu syrischen Milizen und besonders dem IS geht. Seine Artikel, die bei France Soir veröffentlicht werden, sind außerordentlich detailreich. Seine Positionierung, wovon der Großteil der syrischen Berichterstattung ja geprägt ist, bleibt im Hintergrund. Müßig, aber vielleicht notwendig ist es anzufügen, dass er kein Anhänger von Dschihadisten ist. Gegenüber der Regierung in Syrien wahrt er kritische Distanz.
Zu seinen Informationsquellen gehört Material des IS, Puxton dürfte einer der wenigen sein, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach sämtliche Videos des IS angeschaut haben, er ist dem PR-Ausstoß der Miliz täglich auf der Spur. Das sind auch die Primärquellen zu seinem jüngsten Artikel über die Rückkehr des IS in Rakka, neun Monate nach der Niederlage des IS im Oktober 2017 in Rakka gegen die von Kurden dominierte Allianz der syrisch-demokratischen-Streitkräfte (SDF).
Angeblich auch US-Amerikaner unter IS- Opfern
Der Historiker listet eine Serie von Sprengstoff-Attacken auf, zu denen sich der IS bekennt. Auch Überfälle und Entführungen sind dabei. Die ersten Attacken beginnen Mitte Juni, die jüngsten gehören zu einer Serie von Anschlägen im August, am 6., 12., 13., 14., 15., 17., 18., 20. und 21. Allesamt werden sie von der IS-Miliz in Anspruch genommen. Es sind kleinere Anschläge, die hierzulande nicht einmal als "kleinen Meldung" auftauchen. Nicht alle sind tatsächlich dem IS zuzuordnen, wie Puxton erklärt. Er stellt heraus, in welchen Fällen es sich um eine opportunistische Übernahme handeln könnte.
Den Anschlägen, die im Detail hier nicht wiedergegeben werden, fallen relativ wenige Menschen zum Opfer, manchmal nur einer, dann fünf oder sechs, manchmal wird eine genaue Zahl nicht genannt. In einem Fall, bei einem Angriff auf einen Konvoi, sollen auch Amerikaner unter den Opfern sein, also bleibt hier eine Seite sowieso stumm und die andere neigt zur Übertreibung. In keinem Fall werden mehr als zehn Menschen als Opfer genannt.
Auffallend ist, dass sie in der Umgebung der Stadt, häufig im Südosten bei al-Karamah stattfinden, und in Rakka selbst, wo sich aber noch kein Muster zeigt. Einmal wird ein Checkpoint bei al-Qaqa genannt, dann ein Park namens al-Bayda und schließlich ein Ort in der Nähe einer Schule al-Rashid im Viertel Takhanah.
Für den Auswerter des IS-Videomaterials der letzten Wochen wird dort der Nachweis geführt, dass es eine "aktive Zelle" in der Region al-Karamah gibt und "zweifellos" eine andere in der Stadt Rakka selbst.
Gegner der kurdischen YPG
Dies geschieht in einem spannungsgeladenen Kontext. Gut erinnerlich sind die Vorwürfe, die von russischer Seite kamen und von den beiden scharfen Kritikern der Absichten des Westens, dem Blog Moon of Alabama und dem belgischen Journalisten Elijah J. Magnier, aufgenommen wurden: Dass die Kurden, die die stärksten Kraft des SDF sind, mit den IS-Milizen möglicherweise Deals zum Vorteil der USA, welche die IS-Bedrohung strategisch nutzt, ausgemacht haben.
Bei den Anschlägen des IS in Rakka seit Mitte Juni an, von denen Puxton berichtet, taucht in der Darstellung des IS immer wieder "PKK" als Bezeichnung für die Ziele der Attacken auf. Die Feindseligkeiten gegen Kurden der YPG sind laut dem französischen Historiker nicht auf den IS begrenzt.
Er schildert noch andere Gruppen, einmal die mit der syrischen Armee und der Regierung in Damaskus verbundene Miliz "The Popular Resistance of the Eastern Region", die die SDF bekämpft, und zum anderen die Harakat al-Qiyam, eine oppositionelle "FSA"-Miliz, die die YPG intensiv bekämpft - und von Beobachtern für Verbündete des türkischen Geheimdienstes gehalten wird - sowie die Jabhat Thuwar al-Raqqa, eine arabische Miliz mit Verbindungen zur al-Nusra, die aber zur SDF gehört und mit den YPG auf Feindesfuß steht.
Zu dieser eigenartig aufgeladenen Stimmung in Rakka, zu der auch arabische Stämme beitragen, die mit den Machtansprüchen der YPG hadern, und die in der Summe kein besonders günstiges Klima für den Wiederaufbau der Stadt schaffen, kommt nun noch die saudi-arabische Einmischung. Bislang dreht es sich vor allem um finanzielle Unterstützung, aber ob das so bleibt? (vgl. Syrien: Saudi-Arabiens nächste Gelegenheit, Fuß zu fassen)