Ramelow und die Dienstpfllicht: Regierungslinker für Sekundärtugenden
Der Thüringer Ministerpräsident und Bundesratsvorsitzende sorgt für einen weiteren Streitpunkt in seiner gebeutelten Partei, deren Programm er schon lange nicht mehr vertritt
Jetzt also auch noch Dienstpflichten. Es ist nicht so, dass die Partei Die Linke zu wenig Themen hätte, über die sich ihre Mitglieder streiten können, obwohl ihr Programm eine klare Orientierung gibt. Für Kontroversen über Migration und Klimapolitik sorgte in den letzten Jahren die Bestsellerautorin und frühere Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Sahra Wagenknecht – und auf dem Landesparteitag der Linken in Bremen fand am Wochenende ein Nein zu Waffenlieferungen an die Ukraine keine Mehrheit.
Auf dem Bundesparteitag, der vom 24. bis zum 26. Juni in Erfurt stattfindet, dürfte auch die #LinkeMetoo-Debatte um Sexismus-Vorwürfe gegen Mitglieder und Funktionäre eine Rolle spielen – dabei geht es um die Frage der Beweislast im Fall mutmaßlicher Übergriffe einerseits und der allgemeinen Sensibilisierung für nicht-justiziable sexistische Verhaltensweisen andererseits.
Im April stand deshalb namentlich vor allem eine Frau in der Kritik: Die Parteivorsitzende Janine Wissler, deren Ex-Partner hinter ihrem Rücken eine Zweitbeiziehung mit einer sehr jungen Frau begonnen hatte, die später – flankiert von der Linksjugend Solid – Vorwürfe gegen ihn und Wissler erhob.
Die Linke-Chefin soll in ihrer Zeit als hessische Fraktionsvorsitzende sinngemäß einen Hilferuf der jungen Frau ignoriert haben – was Wissler in einer durch mediale Berichterstattung quasi erzwungenen Erklärung im April bestritt. Sie habe von einer Nebenbeziehung mit einem aus ihrer Sicht problematischem, aber nicht strafbarem Altersunterschied erfahren und sei über die Vorgänge zutiefst verletzt gewesen, erklärte Wissler sinngemäß – so habe sie auch absolut keinen Grund gehabt, ihren Ex-Partner zu schützen.
Wissler stellt sich in Erfurt erneut zur Wahl, nachdem ihre Ko-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow im April zurückgetreten war.
Gewerkschaftlichen Forderungen zum Trotz
Als ob all das noch nicht genug Konfliktstoff wäre, kommt auch noch der "Regierungslinke" Bodo Ramelow mit seiner nicht programmkonformen Vorliebe für Dienstpflichten um die Ecke.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) hatte am Wochenende erneut eine Debatte über einen sozialen Pflichtdienst angeregt – Gewerkschaften und Sozialverbände, zu denen Die Linke eigentlich gute Beziehungen pflegen will, zeigten sich wenig begeistert von dieser Idee, weil aus ihrer Sicht soziale Arbeit professionell geleistet und existenzsichernd bezahlt werden sollte. Letzteres deckt sich auch mit dem Programm der Linken.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, betonte bereits 2018, "Zwangsdienste aller Art" seien "mit einer demokratischen Gesellschaft kaum vereinbar" – es sei daher immer eine richtige Forderung der Linken gewesen, sie abzuschaffen.
Ramelow, der als Thüringer Ministerpräsident zur Zeit auch dem Bundesrat vorsitzt, sprang jedoch Steinmeier zur Seite.
Statt reflexartig einfach nur auf dem Bundespräsidenten rumzuhacken und wieder von neuem Zwang zu reden und dabei die Schulpflicht einfach auszublenden, werbe ich dafür, mit ein bisschen mehr Gelassenheit das Thema anzugucken.
Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Die Linke) am Diensttag laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur
Er frage sich, weshalb man nach der Schulzeit nicht noch ein Jahr mehr "dazu definieren" könne. Seiner Meinung nach könne das eine Zeit zwischen neun und zwölf Monaten für alle Menschen zwischen 18 und 25 Jahren bedeuten. "Das kann das Soziale sein, das kann das Ökologische sein, das kann das Militärische sein", so Ramelow.
Bereits Anfang März dieses Jahres hatte Ramelow in seinem Blog unter der Überschrift "Krieg in der Ukraine - Antwortsuche nach einer Zeitenwende" erklärt:
Im Gegensatz zu meiner Partei bin ich sowohl für eine gut ausgerüstete Bundeswehr als auch für eine allgemeine Wehrpflicht.
Bodo Ramelow am 1. März 2022
Eine entsprechende Identifikation mit dem Staatsapparat und seiner Außenpolitik ist aber an der Parteibasis, die in ihrer Freizeit aktiv in sozialen und ökologischen Bewegungen ihrer Wahl mitarbeitet, noch lange nicht erreicht – auch wenn sie von radikaleren Linken vorhergesagt wird.
Wirksame Maßnahmen gegen die Klimakrise versuchen manche Mitglieder der Linkspartei sogar durch Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Staatsmacht durchzusetzen, wie etwa bei den Protesten gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA) oder im Braunkohlerevier. Der Bundesparteitag könnte also spannend werden.