Rassistische Fahndungsraster

Seite 3: Racial Profiling

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Kaum vorstellbar ist jedoch, dass damit auch die Praxis der sog. verdachtsunabhängigen Kontrollen aufgrund zugeschriebener äußerer Merkmale ein Ende haben wird.

Vera Egenberger ist Geschäftsführerin des Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG). Bei der Verhandlung am Montag sitzt sie im Publikum. Sie kennt die Kontrollpraxis der Polizei gleich welcher Provenienz zur Genüge und nennt sie Racial Profiling. Der Begriff soll die diskriminierende Verwendung von Zuschreibungen (wie ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, nationale Herkunft oder Religion) als Grundlage für Identitätskontrollen und Durchsuchungen ohne konkretes Indiz durch die Polizei beschreiben. Ein nicht nur in Deutschland bekanntes Problem, das jedoch z.B. in den USA offen verhandelt wird. In Deutschland dagegen fällt es schwer, rassistische Handlungen als Rassismus zu bezeichnen. Die handelnden Beamten erstatten nicht selten Anzeige wegen Beleidigung. Dieses Problem ist auch Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) hinlänglich bekannt:

Seit Jahren kämpfen wir für eine öffentliche Wahrnehmung dieser Praxis. Polizeikontrollen dieser Art sind kein Einzelfall. Sie beschreiben die Alltagserfahrung vieler Schwarzer Menschen und People of Color in Deutschland. Durch die polizeiliche Praxis werden sie als Verdächtige gekennzeichnet und kriminalisiert.

Er erhofft sich von dem Prozessverlauf ein grundsätzliches politisches Signal. Dass es in Koblenz nicht zu einem Urteil gekommen ist, in dem diese Praxis als tatsächliches Problem im Polizeialltag bezeichnet und für unzulässig erklärt wird, ist für Egenberger der "Schönheitsfehler" dieses Prozessausgangs. Dennoch ist sie mit dem Ergebnis zufrieden:

Das Gericht hat klargestellt, dass die Rechtsauffassung des VG Koblenz nicht zu halten ist und die Maßnahmen der Polizei den Kläger diskriminiert haben. Daraus folgt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes ein zentraler Aspekt der Polizeiarbeit werden muss.

Nur eine Einzelfallentscheidung?

Ob sich die Polizeipraxis aufgrund der gerichtlichen Feststellungen substantiell ändern wird, ist indes zweifelhaft. Auch wenn die Entscheidung einige Rechtsunsicherheit bei der Bundespolizei ausgelöst haben mag, wie sich aus der Tatsache schließen lässt, dass Auskünfte zum Verfahren nicht die betroffenen Dienststellen in Kassel und Koblenz, sondern nur das Bundespolizeipräsidium in Potsdam abgibt, scheint dort für ein grundsätzliches Umdenken kein Anlass zu bestehen.

Ivo Priebe, Leiter für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, weist vielmehr auf den Einzelfallcharakter des Verfahrens hin: "Der konkrete Einzelfall kann hier nicht kommentiert werden; eine Sachentscheidung hat das Gericht nicht getroffen, vielmehr wurde der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt." Für die Bundespolizei gelte allein das Gesetz: "Demnach sind Ausgangspunkt dieser polizeilichen Maßnahmen Lageerkenntnisse und grenzpolizeiliche Erfahrungen; Adressat dieser Maßnahmen kann jeder Reisende sein", stellt Priebe fest.

"Es wird aber nicht jeder Reisende kontrolliert", entgegnet Rechtsanwalt Adam und hält auch die Lageerkenntnisse der Bundespolizei im konkreten Fall für zweifelhaft. So sind nach dem Lagebild der Bundespolizeiinspektion Kassel im 3. Quartal 2010 insgesamt 8.345 Befragungen durchgeführten worden. Dabei konnten 330 Feststellungen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach dem Aufenthaltsgesetz festgestellt oder Fahndungstreffer gelandet werden, wovon ein gewisser Anteil noch auf Delikte entfallen dürfte, die nicht im AufenthaltsG geregelt sind und damit nicht auf der Grundlage von § 22 Abs. 1a BPolG verfolgt werden können. Man könnte also sagen, dass in 96% der Fälle Unverdächtige von der Maßnahme betroffen waren – Menschen wie der Student aus Kassel.

"Wenn wir uns dann noch die genauen Zahlen für die Regionalzugverbindung von Kassel nach Frankfurt am Main anschauen, die mein Mandant genutzt hat, bleiben im ganzen Jahr 2010 noch etwa 27 Treffer", so Adam.

Nach der Entscheidung ist vor der Entscheidung

Das Rechtsproblem liege im Kern aber nicht allein im Verhalten der Polizei, so eine These, die der arbeitskreis kritischer juristinnen und juristen an der Humboldt-Universität zu Berlin (akj-berlin) in einer Veranstaltung zu Rassismus in Polizei und Justiz im Mai 2012 aufgebracht hat. Die rassistische Praxis folge vielmehr dem strukturellen Rassismus, der den Befugnisnormen zu Grunde liege, welche der Polizei ihre Aufgaben zuweisen. Wenn diese zur Verhinderung oder Unterbindung unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet (§ 22 Abs. 1a BPolG) Personenkontrollen durchführen soll, dann müsse sie Menschen auswählen, die sie für illegal Einreisende hält. Die Maßnahmen dürfen sich also nicht gegen Personen richten, die der illegalen Einreise unverdächtig sind, also Personen, welche die Polizei für Deutsche hält. Woran aber erkennt z.B. eine Polizistin, ob ein Reisender Deutscher oder Nichtdeutscher ist?

Dieses Problem hatte 2006 auch eine Richterin des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs veranlasst, in einem abweichenden Sondervotum eine entsprechende Ermächtigungsnorm des bayerischen Polizeigesetzes, die verdachtsunabhängige Kontrollen erlaubt, entgegen der Ansicht der Mehrheit des Gerichts für verfassungswidrig zu halten:

Zumindest missverständlich sind die Ausführungen der Mehrheit […] bezüglich der Wertung der Tatsache, dass sich im durchsuchten PKW ein Ausländer befunden hatte. Das könnte dahin verstanden werden, bei der Identitätsfeststellung könne diese Tatsache das erforderliche Mindestmaß an Indizien [für eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Kontrolle] darstellen. Das wäre aber bei über 7 Millionen Ausländern und einer Vielzahl von Deutschen mit Migrationshintergrund ein Verstoß gegen die Grundrechte auf Achtung der Menschenwürde und dem Gleichheitsgrundsatz.

Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte, eine auf Initiative des Bundestages eingerichtete zivile Stelle zur Durchsetzung der UN-Menschenrechtspakte, hat sich in dem Koblenzer Verfahren mit eigener Expertise zu Wort gemeldet (sog. Amicus curiae). Darin verweist es auf bestehende europarechtliche Verpflichtungen (Kap. II Art. 6 Abs. 2 des Schengener Grenzkodex, wonach Grenzschutzbeamte bei ihren Kontrollen die Betroffenen nicht aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung diskriminieren dürfen. Vor diesem Hintergrund sei die Kontrolle des Studenten durch die Bundespolizei in jenem Regionalzug 2010 gerade nicht – wie von der Polizei behauptet – "ereignis- und verdachtsunabhängig" gewesen. Indem nämlich auf dessen Hautfarbe abgestellt worden sei, hätten die Beamten an verbotenen Merkmalen angeknüpft.

Internationale Übereinkommen wie die Europäische Menschenrechtskonvention (Art. 14 EMRK), der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Art. 2 Abs. 1 und Art. 26 IPbpR), und die Anti-Rassismus-Konvention (ICERD) verbieten aber eine Ungleichbehandlung auf Grund der Merkmale "Rasse" und "Hautfarbe" als Diskriminierung. So habe der UN-Ausschuss für bürgerliche und politische Rechte in einer Entscheidung, in der es um die selektive Kontrolle der Aufenthaltsberechtigung einer Spanierin im Bahnhof der spanischen Stadt Valladolid gegangen war, 2009 ausgeführt:

Wenn der Staat solche Kontrollen durchführt, sollten die körperlichen oder ethnischen Merkmale der ihnen unterworfenen Personen nicht für sich genommen als Anzeichen ihres möglicherweise illegalen Aufenthalts im Land angesehen werden. Ebenso wenig sollten sie in einer Weise durchgeführt werden, dass allein Personen mit spezifischen körperlichen oder ethnischen Merkmalen erfasst werden. Anders zu handeln würde nicht nur die Würde der Betroffenen beeinträchtigen, sondern auch zur Verbreitung xenophober Einstellungen in der allgemeinen Öffentlichkeit beitragen und einer wirksamen Politik zur Bekämpfung von Rassismus zuwiderlaufen.

Marie Melior vom akj-berlin kann sich nicht vorstellen, wie polizeiliche Kontrollen aufgrund von ausländerrechtlichen Bestimmungen in der Praxis ohne Diskriminierungen ablaufen sollen:

Wenn die Polizei aufgrund eines Gesetzes nach Personen wegen Verstößen gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen sucht, dann wird sie den kontrollierten Personen die Ausländereigenschaft immer zuschreiben. Das heißt, selbst wenn die Polizei hier vorgeblich nur auf neutrale Kriterien wie Staatsangehörigkeit abstellt, wird sie ihre Auswahl stets auf der Grundlage biologischer Zuschreibungen treffen. Das sind aber rassistische Zuschreibungen, denn hier wird aufgrund äußerer Merkmale eine bestimmte Herkunft unterstellt. Natürlich ist das Diskriminierung und ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG. Das wird erst aufhören, wenn auch die Sondergesetzgebung gegen Nichtdeutsche aufhört. Es ist daher sehr bedauerlich, dass das OVG Koblenz die Frage, ob § 22 Abs. 1a BPolG überhaupt mit dem GG vereinbar sein kann, nicht dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt hat.

Ende gut, alles gut?

Unsere Nachfrage, ob es bei der Bundespolizei zukünftig Schulungen zur Sensibilisierung in Sachen Racial Profiling geben werde oder bereits gibt, blieb leider unbeantwortet. Für die Bundesregierung ist diese Frage ohnehin kein Thema, denn wie sie erst im August 2011 festgestellt hat, findet in Deutschland eine "unterschiedliche Behandlung von Personen in Abhängigkeit von Rasse, Herkunft oder Religion" nicht statt; dies wäre nämlich "mit dem Verständnis von Polizeiarbeit in einem demokratischen Rechtsstaat [unvereinbar]". Weil also nicht sein kann, was nicht sein darf, ist ja alles gut.

Biplab Basu weiß da anderes zu berichten. Gemeinsam mit den Berliner Initiativen Reach Out und KoP hat er seit dem Jahr 2000 "rassistische Polizeiübergriffe im Raum Berlin" in einer Chronik dokumentiert. Die Feststellungen des OVG Koblenz lassen auch hierunter leider keinen Schlussstrich zu. Gemeinsam mit Vera Egenberger, Tahir Della und vielen anderen Initiativen wird er deswegen den Kampf zur Ächtung von Racial Profiling als Polizeipraxis fortführen – jetzt erst recht.