Ratten auf Koks
Sind Ratten auch nur Menschen? Manche werden süchtig, andere nicht.
Jeder weiß, dass zwischen demjenigen, der Nikotin, Alkohol und berauschende Drogen gelegentlich einnimmt, und dem Drogenabhängigen ein beachtlicher Unterschied besteht. Wann ist eine Ratte drogenabhängig? Eine schwierige Frage. Die experimentellen Untersuchungen sagen, dass sie drogensüchtig wird, wenn sie die Droge mit ihrer Nase stimuliert und das trotz der damit verbundenen Strafe.
In der neuesten Ausgabe von Science erscheinen zwei Berichte von Forschern, die sich dieser Frage widmen. V. Dereche-Gamonet und Mitarbeiter von der Universität Victor Segalen-Bordeaux sowie L.J.M.J. Vanderschuren und B.J. Everitt von der Universität in Cambridge, Großbritannien, stellen zwei Modelle vor, mit deren Hilfe sie fragen: Wodurch hat die Ratte den Sprung zur Drogenabhängigen gemacht?
Kriterien der Abhängigkeit
Die "Selbstversorgung" gilt seit den Untersuchungen von J.R.Weeks in Science von 1962 als goldener Standard, um den Einfluss auf die natürlichen Belohnungen, wie Wasser, Futter, Sex und ähnliches zu beleuchten. Das lässt jedoch keine Schlüsse auf die zwanghafte Versorgung zu, die den Drogensüchtigen beherrschen. Ist etwa die Bereitschaft, das für die Drogen notwendige Geld mit seinem Körper zu locken, Ausdruck dieser Drogensucht?
Frau V. Dereche-Gamonet und Mitarbeiter beschreiben erstmals drei Kriterien, für das es beim Menschen eine Entsprechung gibt.
- Dem Kokainabhängigen ist der Vorrat ausgegangen, dennoch sucht er zwanghaft den Teppich nach weißen Kristallen ab. Frau Dereche-Gamonet prüft dieses Verhalten mit dem Stop und Go-Zeichen. "Stop", wenn keine Drogen angeboten werden, und "Go" beim erwarteten Effekt. Normale Ratten lernen relativ schnell, dass nur "Go" die Droge liefert. Abhängige Ratten sehen das hingegen nicht so. Sie glauben vielmehr, dass jedes Zeichen die Freigabe von Kokain einbringt.
- Das verstärkte Bedürfnis nach Kokain. Daraus erwächst beim Abhängigen das Bestreben nach der Bevorratung mit der Droge. Frau Dereche-Gamonet greift diesen Aspekt auf, indem sie die erforderliche Arbeit, um zu Kokain zu kommen, zunehmend verlängert. Um die Kokain-Infusion in die Nase zu erhalten, müssen die Tiere von Mal zu Mal länger "arbeiten". Die normale Ratte hört auf, wenn der Gewinn unmäßig viel Arbeit erfordert. Bei abhängigen Ratten wird dieser Punkt hingegen sehr viel später oder überhaupt nicht erreicht.
- Der anhaltende Gebrauch von Kokain trotz der "bösen" Konsequenzen. Dazu zählen die Elektroschocks in Verbindung mit der Kokaingabe (V. Dereche-Gamonet und Mitarbeiter) oder wenn die Erinnerung an vorherige elektrische Schocks heraufbeschworen wird (Vanderschuren und Everitt). Auch in diesem Fall lassen sich die süchtigen Ratten nicht von den unangenehmen Begleiterscheinungen abhalten.
Das Interessante ist, dass nicht alle Ratten gleichermaßen betroffen sind. Nur 17 Prozent weisen alle drei Kriterien auf, während 14 Prozent noch zwei Symptome und 28 Prozent eines der Symptome zeigen. Demnach erfüllen 41 Prozent keine der Kriterien und sind als nicht-drogensüchtig zu bezeichnen. Ferner gibt es die zeitliche Abhängigkeit. So dauert es mindestens vier Wochen, bis die Abhängigkeit eintritt. Aber auch das Training über drei Monate hinaus ändert nichts an der Anzahl der Abhängigen. In dieser Hinsicht besteht Übereinstimmung bei beiden Arbeitsgruppen und damit die Erkenntnis, dass eine Mindestzeit notwendig ist, um die empfänglichen Ratten darauf zu programmieren. Darüber hinaus sind die betroffenen Ratten nicht nur von der Droge abhängig, sondern zeigen auch in ihrem Verhalten eine Tendenz zur Angst, zu impulsiven Gehabe und zur Ablehnung von neuen Eindrücken. Warum aber nur 17 Prozent davon betroffen sind, ist unklar.
Die Ergebnisse für den Drogensüchtigen
Für die Heroin-abhängigen Drogensüchtigen ist diese Forschung kein Anlass zu Freude. Die Probleme sind nicht anhand von Tierversuchen zu lösen. Derjenige, der heute von Drogen abhängig ist, greift nach allen Möglichkeiten, um an Geld zu kommen. "Beschaffungskriminalität" heiß das unschöne Wort, das vom Straßenraub bis zur Prostitution reicht. Außer dem vollständigen Entzug kommt Methadon und Buprenorphin, oder wie Jürgen Rehm und Mitarbeiter für die Schweiz beweisen konnten, der Entzug mit einer sich verringernden Heroindosis in Frage.
Solche Überlegungen werden vom US National Institute on Drug Abuse (NIDA) allerdings nicht erwogen. Die North American Opiate Medication Initiative (NAOMI) konnte sich mit einer Studie, die wie Jürgen Rehm auf Heroin setzt, in den Vereinigten Staaten und Kanada nicht durchsetzen, weil NIDA mehr gegen die Drogen agiert als für den kontrollierten Einsatz zu plädieren. Hinzu kommt: die amerikanischen Vorstellungen setzen auf die schädigende Wirkung aller Drogen, von Heroin über Ecstasy bis hin zu Marijuana. Dass in Kanada Marijuana in geringer Menge freigegeben ist und sogar vom Staat produziert wird, um als Schmerzmittel verordnet zu werden, widerspricht weitgehend den Vorstellungen des National Institute on Drug Abuse.
Solange die Untersuchungen nicht an den Betroffenen durchgeführt werden, braucht man Ratten, die drogensüchtig sind. Kann die Quote von 17 Prozent erhöht werden, wenn die Kokaindosis gesteigert wird? Sind Hirnschädigungen zu erwarten? Und vor allem: kommen solche Prozesse auch bei den anderen Substanzen zum Tragen? Wenn diese Fragen geklärt sind, ist es an der Zeit, dass man die abhängigen Ratten einer Therapie zuführt. Danach, so bleibt zu hoffen, wird die Medikation auch für die Drogensüchtigen ausprobiert. Schade nur, dass es so lange dauert.