Rattenrennen, Neuauflage

Nur die Harten kommen in den Garten - möglicherweise nicht einmal sie. Verfilmte Jugend-Science-Fiction: Lehrfilme für Gesellschaften in tödlicher Gefahr?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn man sich die Stoffe aus der Jugend-SF so anschaut, die in jüngerer Zeit mit großem Erfolg verfilmt wurden - als Beispiele seien nur The Hunger Games, Divergent oder Maze Runner genannt - könnte man auf den Gedanken kommen, dass das Lehrfilme für Gesellschaften in tödlicher Gefahr sind, die ihre Kinder und Jugendlichen auf die kommende Apokalypse vorbereiten wollen.

Diktatoren, die aus irgendwelchen Gründen irgendwas diktieren, postapokalyptische Notregime und andere unangenehme Umstände bestimmen den Hintergrund in diesen Stoffen. Die Katastrophe ist zwar vage, aber immer so katastrophal präsent, dass ohne sie die immergleichen Plots vom Entkommen und sich Behaupten gar nicht funktionieren würden.

"Be more than you can be": Der Schichtdienst, der nie endet

Wer kämpft gegen das Böse, wer heldet gegen es an? Gutaussehende Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Frauen dürfen moderne Versionen der Johanna von Orleans spielen (Jennifer Lawrence, Kämpferin statt Covergirl) , in Nebenrollen kommen auch Helden mit dunkler Haut vor, und in Wirklichkeit ist es immer eine Wiederauflage mittelalterlicher Ritterepen.

An sich nichts Ehrenrühriges; der Held mit den tausend Gesichtern wird vielleicht auf alle Zeit unentbehrlich bleiben. Natürlich geben die Helden und Heldinnen auch bei den modernen Ritter- und Ritterinnenfilmen nie auf und bleiben selbst als Übermenschen - ja gerade als solche - immer bescheiden. Ein bisschen wichtiger als früher scheint zu sein, dass sie auch mit Dreck- und Blutschmierern im Gesicht blendend aussehen. Ansonsten alles mehr oder weniger wie gehabt?

Nicht ganz. Während man vermuten kann, dass die Ritterromane der Vergangenheit, die schon Don Quixote den Verstand vernebelt hatten, in Seriengestalt übergingen, als ihr Erfolg am Markt bewiesen war, werden die Kinoepen heutzutage von Beginn an als Franchises mit allen Schikanen geplant. Interessanterweise gerät dadurch die Lösung des Problems, die Abwehr der Bedrohung, die Rettung der Menschheit vor Übel XYZ außer Sicht - wobei sie doch eigentlich Gegenstand der Heldenreise waren.

Aus ökonomischer Perspektive wäre eine immerwährende Quest am besten, an der das Publikum nie das Interesse verliert. Die Industrie tut ihr Möglichstes, ihre ständig kämpfenden und hart geprüften Heldinnen und Helden genau in so ein Hamsterrad zu sperren. Das ist das eine.

Das andere ist, dass die moderne Tendenz zur Demokratisierung des Elends auch vor den modernen Rittern nicht Halt macht. Während früher Söhne des Adels oder der jeweils herausgehobenen Gesellschaftsklasse zur Rettung der Prinzessin aufgefordert waren, richtet sich der Appell zur Übermenschwerdung heute zwanghaft an "Gewöhnliche", die noch gar nicht wissen, was in ihnen schlummert.

Wenn sie es herausgefunden haben, sind sie für das Rattenrennen bereit - oder sie finden es in dessen Anfangsstadien heraus. Die Botschaft an die jungen Zuschauer ist eindeutig: "Be more than you can be - dann übernehmen wir dich vielleicht in den Schichtdienst, der nie endet." Oder, wie es auf den aktuellen Plakaten eines südwestdeutschen Bauunternehmens genial verkürzt heißt: "Mehr Action, weniger Gähn."

Die ewige Fremdbestimmtheit als das Privileg derer, die sich ihrer würdig erwiesen haben.

Freiheit wäre woanders

Als SF-Autor frage ich mich natürlich, ob meine Jugend-SF-Stoffe dieselben Muster bedienen. Wenn ich meine vier veröffentlichten Bücher aus diesem Genre anschaue ("Das Herkules-Projekt", "Vaterfigur", "Yardang" und "Azureus & Pygmalion"), dann stelle ich fest, dass drei davon in einem dystopischen Gesellschaftsentwurf spielen, der jeweils leicht besser motiviert scheint als bei den aktuellen Blockbustern.

Meine Hauptfiguren haben nicht ansatzweise das Potenzial zu Superhelden, und die Freunde, mit denen sie unterwegs sind, dienen nicht als Handlangerreservoir oder sozialer Hintergrund für das gefeierte Superheldentum. Ob meine Helden als allzu genehme Identifikations-/Projektionsfläche für die jugendlichen Leser und Leserinnen geeignet sind - fraglich. Fortsetzungen habe ich schon immer langweilig gefunden, und die Lösungen, zu denen die Stoffe hinstreben, sind wackelig und unperfekt, aber sie sind auch realistische Abgleiche mit den Möglichkeiten, die vorher angelegt waren.

Natürlich sollte ich mir nicht allzu herzhaft auf die Schulter klopfen. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass eines der Bücher verfilmt wird, kann man davon ausgehen, dass im Endprodukt von den Zweifeln, Nuancen, Mehrdeutigkeiten, die mir wichtig waren, nichts übrig bleibt. Woher weiß ich das?

Schon bei der Vorbereitung zum Druck wurde seinerzeit gebogen und geschmirgelt, dass es nur so eine Lust war. Zum Beispiel machte die zentrale Figur "Paul" in "Das Herkules-Projekt" eine Geschlechtsumwandlung durch, weil Jungen sowieso nicht läsen (so das Lektorat). Genau deswegen brauche man ein starkes Mädchen in dem Buch. Das war zu vertreten, denn die Geschichte wurde dadurch auch lebendiger, aber dass "Vaterfigur" im Druck "Der Fürst der Skorpione" hieß, war schon ziemlich arg, von den Covermotiven der Bücher ganz zu schweigen.

Nein, die nüchterne Analyse muss davon ausgehen, dass die aktuelle Jugend-SF für den Massenmarkt, wie gut sie auch "gemacht" und präsentiert werden mag, letztendlich ihren Konsumenten vorschlägt, der Katastrophe eines stets gleichförmigen Lebens mit dem Heldenmut derer zu begegnen, die immer rechtzeitig zum Dienst erscheinen. Was sie nur dürfen, wenn sie vorher den inneren Übermenschen in sich entdeckt haben und auch mit Ölschmierern im Gesicht adrett ausschauen. Freiheit wäre woanders.