Ratzingers Angst vor der Kirche der Armen

Seite 2: "Auch der Folterer ist ein Mörder"

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Nach einem der zahlreichen Morde predigte Romero: "Fern sei uns Rache, lasst uns beten mit Jesus: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun." Die Lehre der katholischen Kirche berücksichtigt Konzepte des gewaltfreien zivilen Widerstandes bislang leider nur am Rande, schließt andererseits unter lang andauernden Verhältnissen der Tyrannei auch Gewalt als letzte Widerstandsform nicht prinzipiell aus. Erzbischof Romero betonte: "Die Kirche predigt nicht Gewalt, noch Hass!" Allerdings wollte er hinsichtlich des Befreiungskampfes in El Salvador nicht Ursache und Wirkung miteinander verwechseln. Frieden sei ohne Gerechtigkeit nicht möglich:

Die Ursache [unserer Probleme im Land] liegt in der sozialen Ungerechtigkeit und im Festhalten an Privilegien, die vom Volk nicht mehr akzeptiert werden. Das ganze System muss sich ändern, denn es kann nur noch mit der Herrschaft des Geldes und der Macht eines gekauften Militärs aufrechterhalten werden.

Politisch Verantwortliche nannte Romero - den unverbindlichen Stil kirchlicher Protestnoten verlassend - beim Namen. An die Auftragsmörder und Handlanger der Militärjunta richtete er folgende Predigtworte:

Ein Mörder ist auch der, der foltert ... Niemand darf Hand anlegen an einen anderen Menschen, denn der Mensch ist Ebenbild Gottes.

Einen Tag vor seiner eigenen Ermordung am 24. März 1980 hielt Romero eine Predigt, wie sie seit Bestehen der Staatskirchlichkeit wohl nur selten von einem Bischof gehalten worden ist. Er forderte darin die Soldaten öffentlich zur Befehlsverweigerung auf:

Im Namen Gottes und im Namen dieses gepeinigten Volkes bitte ich Euch, befehle ich Euch: Hört auf mit der Unterdrückung!

Roms Antwort an den Erzbischof von San Salvador: "Hüten Sie sich vor dem Kommunismus!"

Im Vatikan residierte seit dem 16. Oktober 1978 Karol Wojtyla, der aufgrund der leidvollen Erfahrungen der Kirche in Polen von Marxisten pauschal nichts Gutes erhoffte. In Sachen "Romero" schrieb der in Polen geborene US-Sicherheitsberater Zbigniew Kazimierz Brzezi?ski an den Heiligen Stuhl:

Wir haben den Erzbischof und seine Berater mit Nachdruck vor einer Unterstützung der extremen Linken gewarnt. Leider waren unsere Bemühungen, ihn zu überzeugen, nicht erfolgreich.

Im Januar 1979 hatte Romero den Präsidenten von El Salvador wegen dessen Untätigkeit angesichts der fortlaufenden Ermordung von Christen exkommuniziert. Im Frühjahr des Jahres fuhr er nach Rom, um dem Papst seine Sichtweise darzulegen und ihn wegen der anhaltenden Kirchenverfolgung in El Salvador um Unterstützung zu bitten. Im Gepäck hatte er sorgfältig zusammengestellte Dokumente über die Verbrechen der Junta und ein Foto des kurz zuvor ermordeten indigenen Priesters Octavio Ortiz.

Laut Augenzeugenbericht von Monsignore Jesus Delgado kam es auf dem Petersplatz zu folgendem Dialog. Der Papst: "Ah, Monsignore Romero. Hüten Sie sich vor dem Kommunismus!" Romero: "Eure Heiligkeit, die Kommunisten in Salvador sind nicht dasselbe wie in Polen." Der Papst noch einmal: "Hüten Sie sich vor dem Kommunismus!" Die Romero-Biographin María López Vigil schreibt, der Erzbischof habe für den folgenden Tag zumindest eine private Audienz beim Papst erbetteln können. Johannes Paul II. habe bei diesem Treffen nur über die Fülle der vorgelegten Dokumente geklagt und keines der Papiere auch nur angerührt. Er sei vom Foto des ermordeten Priesters unberührt geblieben und hätte - ohne Fragen an den Erzbischof zu stellen - "Harmonie" mit der salvadorianischen Regierung eingefordert.

Verbürgt ist die große Enttäuschung Romeros nach seinem Rombesuch: "Ich glaube, ich werde nicht noch einmal nach Rom kommen. Der Papst versteht mich nicht." An der Kathedrale von San Salvador hatte es während der Reise gerade wieder ein Massaker gegeben.