Raubkopierer sind die wahren Erlöser
Und Zoten reißende Uniformträger erinnern an amerikanische Besatzungs-News: Steckt Mel Gibsons Passion Christi voller unintendierter Wirkungen?
Mel Gibsons Passion Christi soll nun doch am 18. März in den deutschen Kinos anlaufen. Ein Blick in den Film kann zwar die im Vorfeld verbreiteten Antisemitismus-Vorwürfe nicht bestätigen, zeigt aber ganz andere Potentiale für unintendierte Wirkungen.
Trotz verwirrender Terminpolitik für die Presse wurde bereits außerordentlich viel über den Film geschrieben. Das Feuilleton stürzte sich dabei vor allem auf einen angeblichen Antisemitismus des Films, der sich auf die einfache Formel "je böser jemand im Film ist, desto klischee-jüdischer sieht er aus" bringen ließ (vgl. Ich wasche meine Hände in Unschuld). Diese Antisemitismus-Vorwürfe finden sich im Film nicht bestätigt. Zum einen haben die größten Nasen die eher Guten: etwa Petrus und die Heilige Veronika - zum anderen kommen die römischen Soldaten im Film wesentlich schlechter weg als die jüdischen Lobbyisten.
Dabei dürfte der Eindruck, den die bulligen, kurzgeschorenen, laut schreienden und Zoten reißenden Uniformträger außerhalb der USA machen, ein von Mel Gibson nicht unbedingt intendierter sein: Wer die Nachrichtenbilder von amerikanischen Soldaten beim Türen eintreten, Herumbrüllen und Gefesselte abführen vor Augen hat, dem allerdings dürfte die innere Verbindung von römischen Palästina- und amerikanischen Irak-Soldaten geradezu unvermeidlich sein.
Hinzu kommen bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen Besatzungs-News und Filmszenen in Sachen Kameraführung sowie in beiden Bereichen omnipräsente wehklagende Frauen mit schwarzen Kopftüchern als Hintergrunddekoration. Nachdem Jesus (respektive Isa) auch in der islamischen Mythologie auftaucht, könnte sich der Film im arabischen Raum durchaus zu einem Renner entwickeln - und eine Wirkung entfalten, die sich Mel Gibson wahrscheinlich nur schwer vorstellen kann. Dem kommt entgegen, dass die Rolle von Jesus als Teil des dreifaltigen Gottes im Film nicht besonders herausgearbeitet wurde: Ebenso gut könnte er - wie im Islam - ein schlichter Prophet sein, der da von Besatzungssoldaten zu Tode gefoltert wird.
Ein weiteres Element, das Ähnlichkeiten zwischen römischen und amerikanischen Soldaten heraufbeschwört, ist die Tatsache, dass der Film in den Sprachen Aramäisch und Latein gedreht wurde. Wobei das von den Soldaten gesprochene Latein (auch aufgrund der vorwiegend italienischen Darsteller) wie Italienisch klingt, das von der Bevölkerung gesprochene semitische Aramäisch aber nur den weniger in vorderasiatischen Sprachen als in der Kinogeschichte Bewanderten wie Klingonisch, Bewohnern des arabischen Raums dagegen der Muttersprache durchaus ähnlich anmuten könnte (vgl. Keine Huris im Paradies).
Weil aber das Vokabular des Englischen gut zur Hälfte dem Lateinischen entstammt und der englische Wortschatz so groß ist, dass es für fast jedes germanischstämmige Wort ein lateinischstämmiges Synonym gibt, klingt zwar die Sprachmelodie des Film-Lateinischen nach Italienisch, der Wortschatz aber eher nach Englisch. Für arabische und im allgemeinen des Lateinischen wie des Italienischen unkundige Ohren dürfte dieser Effekt sogar verstärkt wirken.
Bezüge der Evangelien zur Internet- und Copyright-Politik der letzten Jahre
Andere Assoziationen, die sich auch jüngeren amerikanischen Kinogängern grundsätzlich aufdrängen könnten, sind die Bezüge der Evangelien zur amerikanischen Internet- und Copyright-Politik der letzten Jahre: Da wird jemand unter anderem deshalb angeklagt, weil er ungenehmigt Fische und Brot vermehrt, also kopiert hat und weil er angeblich Händler aus dem "Tempel" vergrault - einem Ort der sich nicht nur (wie in der traditionellen Exegese) gut mit dem Körper, sondern noch besser mit dem Internet vergleichen lässt.
Weil diese Anklagepunkte etwas dünn sind, schiebt eine Gruppe von Lobbyisten mit finanziellen Interessen im Tempel schnell ein paar Staatssicherheitsargumente vor und präsentiert sie der Judikative (Pilatus) die den Lobbyisten entgegen besseren Wissens und Gewissens nachgibt und Jesus einer sadistischen Exekutive übergibt.
Was dann geschieht, entspricht im Gegensatz zu den Antisemitismus-Vorwürfen der Vorberichterstattung: Spätestens jetzt merkt der Zuschauer, dass Mel Gibson ebenso wie seine Vorgänger Cecil B. DeMille und Pier Paolo Pasolini eine wichtige Grundvoraussetzung für die Verfilmung der Passionsgeschichte mitbringt: Ein offenbar sehr pathologisches Verhältnis zum Sexuellen und zur Gewalt, welches sich in einem extremen Hyperrealismus beim Geißeln ebenso wie bei der Kreuzigung entlädt. Die von der Produktionsfirma gestreute Information, dass sich der Hauptdarsteller täglich einer mehr als sechsstündigen Schminkprozedur unterziehen musste, wirkt nicht übertrieben: Nach genüsslichem Verweilen der Kamera auf dem mit spitzen Metal- und Knochenstücken versehenen Flagellum kommt es zu einer Geißelung nach der die Haut Jesu an einen Schweinebraten erinnert. Dabei wird das Zufügen jeder einzelnen Wunde vom Aufreißen der Haut bis zur Offenlegung der Fettschicht mit einer Detailtreue gezeigt, wie sie bisher nur in Yukio Mishimas Yukoku zu sehen war.
Bemerkenswerterweise übertreibt der Film die Gewaltschilderungen der Bibel dabei gar nicht, sondern hilft der Kraft der Zuschauer zur Verbildlichung der Texte nur auf die Sprünge. Gibson hält sich nämlich bis auf einige Ausschmückungen an den Text des Evangeliums - und bis auf eine bemerkenswerte Ausnahme ganz am Schluss des Films: Dort verletzt er ausgerechnet die von Gott für die Evangelien gegebene Creative Commons Lizenz durch den im Filmgeschäft üblichen Urheberrechtsvermerk. Aber vielleicht gehört ja auch noch eine Strafe Gibsons am Jüngsten Gerichtstag zu den unintendierten Konsequenzen des Films (vgl. Der Fels im Strom der digitalen Veränderungen).