Rechte Chatgruppen: Verfassungsschutz und Presseverband widersprechen NRW-Minister
CDU-Politiker Reul vermutete Probleme auch bei Pädagogen und Journalisten. Verfassungsschutz stützt Aussage nicht, Pressevertreter dementiert
Bundesregierung und Presseverbände haben der Darstellung des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul widersprochen, es gebe rechtsextreme Chatgruppen nicht nur unter Mitgliedern von Sicherheitsbehörden, sondern auch in anderen Berufsgruppen. In einem Gespräch mit der Tageszeitung taz hatte Reul die Mutmaßung geäußert, dass rechtsextreme Inhalte auch in Chatgruppen von Pädagogen und Pressevertretern ausgetauscht werden. Dem traten nun sowohl das Bundesinnenministerium als auch Presseverbände entgegen.
Die Äußerung des NRW-Innenministers fiel in einem Streitgespräch über Rechtsextremismus in der Polizei. Dabei ließ die taz den Christdemokraten mit dem Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, Thomas Feltes, sowie dem Kriminalhauptkommissar und Vorsitzenden des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BdK), Sebastian Fiedler, diskutieren.
Im Laufe des Gesprächs warf Reul zu rechtsextremen Foren ein: "Ich glaube, dass es in Chatgruppen von Lehrern oder Journalisten ähnliche Probleme gibt. Aber bei uns darf es das nicht geben." Wer nicht die Menschenwürde und den Rechtsstaat verteidige, könne kein Polizist sein.
Der relativierenden Aussage, rechtsextreme Chatgruppen seien nicht nur bei Mitgliedern von Sicherheitsbehörden anzutreffen, trat nun das Bundesinnenministerium unter Leitung des CSU-Politikers Horst Seehofer entgegen. Der Bundesregierung lägen nach Einbeziehung der zentralen Koordinierungsstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst "keine Erkenntnisse zu rechtsextremen Chatgruppen von Lehrerinnen und Lehrern vor", heißt es in der Antwort des Innenministeriums, die Telepolis vorliegt.
Innenminister Seehofer hatte angesichts wiederkehrender Skandale um rechtsextreme Chatgruppen bei Sicherheitsbehörden Ende Dezember vergangenen Jahres die Zentralstelle zur Aufklärung rechtsextremistischer Umtriebe im öffentlichen Dienst ins Leben gerufen. Die bisherigen Erkenntnisse des Gremiums decken die Aussagen von NRW-Innenminister Reul indes nicht.
Erstaunt zeigten sich auf Telepolis-Nachfrage auch Vertreter von Presseverbänden. "Dass NRW-Innenminister Reul ein großes Problem mit Rechtsextremismus in der Polizei hat, ist inzwischen bekannt", sagte der Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbandes, Hendrik Zörner. "Das sollte er nicht zu verharmlosen versuchen, indem er von Nazi-Journalisten schwadroniert - die gibt es nach unserer Erkenntnis nämlich nicht", so Zörner weiter.
Reul versuche mit dem Verweis auf vermeintlich existierende rechtsextreme Chatgruppen unter Lehrern von entsprechenden Nazi-Chats bei der Polizei abzulenken, kritisierte die Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke, die eine schriftliche Frage zu dem Thema eingereicht hatte. "Dass dem Verfassungsschutz solche rechten Lehrerchats nicht bekannt sind, dürfte ausnahmsweise einmal nicht an der Blindheit des Geheimdienstes gegenüber Rechtsextremen liegen, sondern schlicht daran, dass solche Chatgruppen nicht existieren", so Jelpke gegenüber Telepolis.
Skandale unter anderen in NRW, Sachsen und Berlin
Sicherheitskräfte wie Polizei und Bundeswehr erschienen für Rechtsextremisten mit ihrem autoritären Weltbild wesentlich attraktiver als das Lehramt, fügte Jelpke an:
"Während ein rassistischer Lehrer schnell mit den Protesten von Schülern und Eltern konfrontiert wäre, können Nazis bei der Polizei ihre rechten Neigungen gedeckt durch falschverstandenen Corpsgeist ihrer Kollegen und gestützt auf das staatliche Gewaltmonopol leider viel zu oft ungestraft ausleben."
"Rechtextreme Chatgruppen bei Polizei- und Sicherheitsbehörden hatten in den vergangenen Monaten und Jahren wiederholt für Schlagzeilen gesorgt. In mehreren Fällen gelang es den involvierten Beamten jedoch erfolgreich, sich gegen arbeitsrechtliche Konsequenzen zu wehren. So wurden in Nordrhein-Westfalen unlängst die Suspendierungen von neun Polizisten wegen Mitgliedschaft in einer entsprechenden Gruppe aufgehoben. Die Bedingungen für ein Arbeitsverbot seien "zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr erfüllt", erklärte das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei Nordrhein-Westfalen am Dienstag dieser Woche.
Die Disziplinarverfahren gegen die Polizeiangehörigen laufen dessen ungeachtet weiter. Die Beamten hatten die Suspendierung erfolgreich angefochten, weil ein in der Chatgruppe versandtes Hitler-Bild aus einer Youtube-Parodie stammte.
Neben den Fällen in Nordrhein-Westfalen wurden auch in anderen Teilen der Republik Polizeibeamte wegen rechtsradikaler Äußerungen in Chats auffällig. In Dresden wurde Anfang Oktober ein Beamter vom Dienst suspendiert, über eine entsprechende Gruppe bei der Berliner Polizei berichtete das ARD-Politmagazin "Monitor".
In diesem Fall hatte eine Dienstgruppe der Berliner Polizei über Jahre hinweg einschlägige Äußerungen ausgetauscht, oft unter Zuspruch anderer Teilnehmer. Muslime wurden dabei als "fanatische Primatenkultur" bezeichnet, Flüchtlinge mit Vergewaltigern oder Ratten gleichgesetzt, Neonazis als mögliche "Verbündete" bei linken Demonstrationen bezeichnet.
Die von Monitor ausgewerteten Chats mehrerer Jahre seien "schlicht menschenverachtend", sagte BdK-Vorsitzender Fiedler, der Auszüge aus den Chats sichtete. "Diejenigen, die das hier posten, haben einen Eid auf unser Grundgesetz geschworen - und das steht in diametralem Gegensatz zueinander", so Fiedler.