Rechter Terror als neue Normalität?
Hinrichtung Walter Lübckes, Festnahmen beim SEK, Todeslisten - die von der Neuen deutschen Rechten ausgehende Gefahr nimmt dramatisch zu
Im Fall des ermordeten CDU-Politikers Walter Lübcke deuten alle Anzeichen auf einen weiteren rechten Terrorakt hin. Der Kasseler Regierungspräsident ist in der Nacht vom 2. zum 3. Juni mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe regelrecht hingerichtet worden.
Lübcke hat sich den Hass der Neuen Deutschen Rechten zugezogen, da er das Menschenrecht auf Asyl verteidigte und Rechtsextremismus und Xenophobie scharf kritisierte. Jedem Deutschen, der grundlegende zivilisatorische Werte nicht teilen wolle, stehe es frei, "dieses Land jederzeit verlassen, wenn er nicht einverstanden ist", so Lübcke bei einer von Neonazis gestörten öffentlichen Diskussionsveranstaltung im Oktober 2015.
Danach stand Lübcke aufgrund massiver Drohungen aus der rechten Szene zeitweise unter Polizeischutz. Zuletzt haben rechte Blogs und Netzwerke eine Hasswelle gegen Lübcke im Februar 2019 losgetreten, an der sich auch Erika Steinbach, die Vorsitzende der "Desiderius-Erasmus-Stiftung" der AfD, eifrig beteiligte. Die Berufsvertriebene und ehemalige CDU-Politikerin unterließ es lange Zeit, die Hasskommentare, Mordaufrufe und Gewaltfantasien unter ihren gegen Lübcke gerichteten Kommentaren zu entfernen.
Die braune Hasswelle, an der sich AfD-Prominenz beteiligte, scheint im Mord an Lübcke kulminiert zu sein - der bekanntlich von der Rechten im Netz regelrecht bejubelt wurde. Nachdem anfänglich die hessische Polizei Personen aus dem Bekanntenkreis Lübckes für tatverdächtig hielt, wurde am vergangenen Samstag 45-jähriger Mann verhaftet, der als "Rechtsextremist" gilt.
Der Tatverdächtige sei aufgrund einer "DNA-Spur" identifiziert worden, die Ermittler am Tatort fanden. Der mutmaßliche Rechtsterrorist sei am "frühen Samstagmorgen" verhaftet worden. Es sei noch nicht klar, ob "weitere Taten" mit dem Verdächtigen in Zusammenhang stünden, hieß es weiter. Die Ermittler prüften, ob es "die Möglichkeit weiterer potentielle Opfer" gebe.
Die DNA-Spuren konnten dem mutmaßlichen Täter relativ schnell zugeordnet werden, da er bereits "polizeibekannt" und in eine "schwere Straftat" verwickelt gewesen sei, hieß es in Medienberichten. Eine DNA-Probe sei ihm damals im Verlauf der Ermittlungen entnommen und in einer Datenbank gespeichert worden.
Unklar bleibt, ob der mutmaßliche rechte Täter diesen Terrorakt allein beging, oder ob er - ähnlich der rechten Terrorgruppe NSU - in einem Netzwerk agierte. Inzwischen scheint sich bezüglich des Rechtsterrorismus eine ähnliche Konstellation wie in der Weimarer Republik zu etablieren. In der Zwischenkriegszeit waren es ebenfalls fast ausschließlich Täter aus dem rechten Lager, die Terrorakte wie den Mord an Walther Rathenau begingen.
Ermittler im LKA Mecklenburg-Vorpommern können sich auf ihre Kollegen bei Ermittlungen gegen Rechtsextremisten nicht verlassen
Auch die rechtsextremistischen Tendenzen im deutschen Staatsapparat treten zunehmend offen zutage. Mitte Juni wurden drei aktive und ein ehemaliges Mitglied des SEK im Mecklenburg-Vorpommern verhaftet, da sie jahrelang Munition aus den Beständen des LKA abgezweigt haben - insgesamt soll es sich um 10.000 Schuss handeln, die dann in der rechtsextremen Szene versickerten.
Den aktiven Polizeibeamten der Sondereinheit SEK wird vorgeworfen, "mindestens seit April 2012" Munition an den vierten, ehemaligen SEK-Mann geliefert zu haben, der Kontakte zu der sogenannten "Prepper-Szene" habe. Als Prepper (abgeleitet vom englischen "to prepare" - sich vorbereiten) werden Anhänger einer rechten Krisenideologie bezeichnet, die sich auf den Weltuntergang vorbereiten und beim Zusammenbruch staatlicher Ordnung zu bewaffneten Aktionen oder Massakern gegen politische Gegner übergehen wollen. Beim Skandal um Todesschwadronen der Bundeswehr-Elitetruppe KSK, in der ebenfalls rechtsextreme Netzwerke wirken sollen, gibt es ähnliche ideologische Vorstellungen.
Aufgrund drohender undichter Stellen im Staatsapparat mussten die Ermittler im jüngsten SEK-Skandal laut Medienberichten total "abgeschottet" werden, um etwaige Warnungen Gleichgesinnter an die mutmaßlichen Rechtsextremisten im SEK zu vermeiden. Um die Ermittlungsarbeit nicht zu gefährden und "Behördenlecks auszuschließen", seien auch "Polizeidienststellen anderer Bundesländer einbezogen". Im Klartext: Die Ermittler im LKA Mecklenburg-Vorpommern können sich auf ihre Kollegen bei Ermittlungen gegen Rechtsextremisten nicht ganz verlassen.
Wenige Tage nach dem Bekanntwerden der Verhaftungen beim SEK am 16. Juni sind erste Details zu den Todeslisten bekannt geworden, die die rechtsextremen "Prepper" in- und außerhalb des deutschen Staatsapparates in Mecklenburg-Vorpommern aufgestellt haben. Im Verlauf von Ermittlungen gegen die rechtsextreme "Nordkreuz-Gruppe" des bis in die KSK reichenden Preppernetzwerkes ist eine Liste von 29 Namen von "Personen des öffentlichen Lebens" aus Mecklenburg-Vorpommern sichergestellt worden, auf der vor allem Politiker der Grünen, der SPD und der Linkspartei zu finden seien, hieß es in Medienberichten. Inzwischen sei das BKA doch dazu übergegangen, die Betroffenen darüber zu informieren und als Zeugen vorzuladen.
Schleppende Informationspraxis der Ermittlungsbehörden
Im Falle einer "Staatskrise" hatten die Prepper vor, "Vertreter des politischen linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten", hieß es seitens des BKA. Viele der Betroffenen wollten aus Angst - die sich inzwischen in der Region breitmacht - "nicht in der Öffentlichkeit genannt werden".
Andere betroffene Politiker, wie die Linke-Politikerin Eva-Maria Kröger, Kreischefin der Linken in Rostock, kritisieren die schleppende Informationspraxis der Ermittlungsbehörden und fordern endlich Klarheit: "Ich möchte wissen, warum man uns so lange im Dunkeln gelassen hat", fragte Kröger, die insbesondere wissen wollte, "was über mich und ob etwas über meine Familie in den Unterlagen steht".
Diese dramatischen rechtsterroristischen Tendenzen in- und außerhalb des deutschen Staatsapparates scheinen in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit kaum angemessen thematisiert zu werden, sie gerinnen unreflektiert zu einer "neuen Normalität", wie etwa der Kontrast zu dem Vorfall um den AfD-Politiker Magnitz nahelegt.
Damals übernahmen die Massenmedien ungeprüft die Darstellung der AfD, die sich größtenteils als unwahr herausstellte. Während die Lügen der AfD über einen angeblichen linksextremistischen "Mordanschlag" damals von allen Massenmedien verbreitet wurden, Bundespräsident Steinmeier gar in einem persönlichen Brief an den Rechtspopulisten von einem "Angriff auf den Rechtsstaat" sprach, scheinen nun im tatsächlich verübten Mordfall Lübcke Deutschlands Meinungsmacher plötzlich die Zurückhaltung und Seriosität entdeckt zu haben.