Regierungsakten: Wie Baerbock die Freilassung von Wikileaks-Gründer Assange hintertrieb
Dokumente zu Fall Assange lassen Außenamt in fragwürdigem Licht erscheinen. Baerbocks Haltung mit Amtsübernahme geändert. Was die Dokumente verraten.
Die langjährige Debatte um die Freilassung des Wikileaks-Gründers Julian Assange hat eine neue Wende genommen. Der Journalist war über ein Jahrzehnt lang seiner Freiheit beraubt. Erst im Juni dieses Jahres kam er überraschend frei.
Der Weg dorthin war geprägt von einem juristischen Ringen und politischen Verhandlungen, die nun durch exklusive Dokumente der Berliner Zeitung in einem anderen Licht erscheinen. Die Dokumente verweisen darauf, dass die Rolle der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock im Fall Assange fragwürdig sein könnte –vor allem, wenn man diese Dokumente mit offiziellen Aussagen der Grünen-Politikerin vergleicht.
Vom Einsatz zur Zurückhaltung
Während ihrer Zeit als Kanzlerkandidatin forderte Baerbock die "sofortige Freilassung" Assanges. Nach ihrer Ernennung zur Außenministerin änderte sich jedoch ihre Haltung. Das Auswärtige Amt, geleitet von Baerbock, betonte wiederholt das Vertrauen in die britische Justiz und deren Achtung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.
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Assange und sein Anwaltsteam hatten jahrelang gegen die Auslieferung an die USA gekämpft. Hilfe aus Deutschland, dessen Regierung und vor allem dessen Außenministerin für sich eine "wertegeleiteten Außenpolitik" reklamiert, konnten sie dabei nicht erwarten.
"Schwerwiegende Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte"
Man hätte von anderem ausgehen können: Noch im vergangenen September des Jahres 2021 erklärte das "Team Annalena Baerbock" auf Wählernachfrage, man verfolge "den Umgang mit Wikileaks und Julian Assange sehr aufmerksam" und setze sich bei der Bundesregierung "mit Nachdruck" dafür ein, dass sie sich bei den jeweiligen Regierungen "klar für die Einhaltung seiner grundlegenden Menschenrechte" ausspreche.
Mitten aus dem Bundestagswahlkampf, der die Grünen-Politikerin wenige Wochen später an die Spitze des Auswärtigen Amtes befördern sollte, bekräftigte das "Team Annalena Baerbock" weiterhin:
Aufgrund schwerwiegender Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention im Umgang mit Julian Assange – allen voran gegen das Verbot von Folter (Art. 3), gegen das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5), gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6) und gegen das Recht, keine Strafe ohne Gesetz zu erhalten (Art. 7) – schließen wir uns der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 27. Januar 2020 sowie dem Appell des UN-Sonderbeauftragten Nils Melzer an und fordern die sofortige Freilassung von Julian Assange.
Team Annalena Baerbock, abgeordnetenwatch.de, 14. September 2021
Wenige Wochen später hatte Frau Baerbock ihr PR-Team gegen den Außenamtsstaatssekretär Andreas Michaelis eingetauscht. Die Auswirkungen auf Thema und Positionierung sind frappierend, wie Michaelis' weisungsgemäße Antwort auf eine Parlamentsanfrage zeigt, die Telepolis exklusiv vorliegt:
Die Bundesregierung verfolgt den Auslieferungsprozess gegen Herrn Julian Assange, weiterhin sehr aufmerksam, ebenso wie die öffentlich verfügbaren Berichte über seinen Gesundheitszustand.
Nach Kenntnis der Bundesregierung dauert das Auslieferungsverfahren gegen Herrn Assange weiterhin an. Die Verteidigung von Herrn Assange hat eine Überprüfung, des Urteils des Londoner High Courts vom 10. Dezember 2021 durch den britischen Obersten Gerichtshof beantragt, der über die Annahme dieses Antrags noch nicht entschieden hat.
Die Bundesregierung hat keinen Anlass, an der Rechtstaatlichkeit, des Verfahrens und des Vorgehens der britischen Justiz zu zweifeln.
Auswärtiges Amt, 09.02.2022
"Fatales Signal gegen die Freiheit der Rede, Presse, Meinung und Information"
Die damalige Menschenrechtssprecherin der Linken im Bundestag, Zaklin Nastic, die inzwischen zum BSW gewechselt ist, machte diese Antwort damals"sprachlos". Nastic kritisierte gegenüber Telepolis, dass sich die Bundesregierung auf eine passive Beobachterrolle zurückziehe, während der in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis inhaftierte Assange nach Aussage des UN-Sonderberichterstatters Nils Melzer Folter unmenschliche Behandlung erleidet und ihm wegen der Aufdeckung von Kriegsverbrechen eine horrende Haftstrafe droht.
Interne Kommunikation enthüllt
Der Europaabgeordnete Fabio De Masi (auch BSW) wollte diese Position nicht hinnehmen und beantragte im August 2023 Einsicht in die interne Kommunikation des Auswärtigen Amtes bezüglich Assange. Nach mehreren Monaten und einer Klage wegen Untätigkeit erhielt er Zugang zu den Dokumenten.
Die Bedeutung des Journalistenstatus
Die Brisanz der Dokumente liegt unter anderem in der Diskussion über Assanges Status als Journalist. Eine interne Mail des Auswärtigen Amtes vom 28. Juni 2022 zeigt, dass man sich der Vorteile für Assange bewusst war, sollte er in den USA als Journalist anerkannt werden. Die USA allerdings stuften ihn als Kriminellen ein, um eine Verurteilung zu erleichtern.
Druck auf Menschenrechtsbeauftragte
Eine weitere E-Mail vom 3. Mai 2023 offenbart, dass das Auswärtige Amt die Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg drängte, Assange am Tag der Pressefreiheit nicht als Journalisten zu bezeichnen. Obwohl die Bedeutung dieser Bezeichnung bekannt war, sollte sie vermieden werden.
Baerbocks Antwort an Wallraff
Ein Entwurf einer Antwort Baerbocks an den Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff zeigt Baerbocks Bekenntnis zu einer wertegeleiteten Außenpolitik und die Betonung der Meinungs- und Pressefreiheit. Jedoch kontrastiert dies mit dem tatsächlichen Handeln des Auswärtigen Amtes.
Kritik an der Doppelmoral
Fabio De Masi kritisiert die Doppelmoral des Auswärtigen Amtes und Baerbocks, die vor der Wahl für Assanges Freilassung eintraten, hinter den Kulissen jedoch seine Rechtsposition nicht stärkten. Die Grünen werden von ihm als "Weltmeister in Doppelmoral" bezeichnet.