Reich der Mitte hat den Mond fest im Visier

Bereits in drei Jahren will China eine unbemannte Raumsonde zum Mond schicken und kurz darauf einen Lander absetzen, bevor dann in der nächsten Dekade der bemannte Sprung zum Erdtrabanten folgt

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Anfangs sah es noch danach aus, als würde in der chinesischen Gerüchteküche wieder einmal nur heiß gekocht. Doch was der "Chefkoch" der chinesischen Raumfahrtbehörde, Sun Laiyan, jetzt auftischte, ist keineswegs eine lahme Pekinger Ente. Im Gegenteil, was der Chinese da jüngst servierte, dürfte den Gourmets der Raumfahrt durchaus munden. Gegenüber BBC bestätigte dieser nämlich letzte Woche, dass Peking schon in drei Jahren mit einer unbemannten Raumsonde zum Mond zu fliegen gedenkt. 2007 soll das Vehikel den Planeten umkreisen. Eine modifizierte Version davon soll schon 2010 auf dem Erdmond landen. Und spätestens 2020 sollen Taikonauten den Mondstaub höchstpersönlich per pedes aufwirbeln.

Anno domini 2003 haben auch die letzten Skeptiker und Pessimisten zur Kenntnis nehmen müssen, dass das Reich der Mitte, der vermeintlich schlafende Riese, schon seit längerem aus dem Tiefschlaf erwacht ist. Denn schließlich hat das drittgrößte und bevölkerungsreichste Land der Welt, dem immer schon ein hohes technisches und ökonomisches Potenzial nachgesagt wurde, wie kaum ein anderes auf technisch-ökonomischem und wissenschaftlichem Gebiet aufgeholt.

Die dritte Kraft

Dass dies im Besonderen für den Raumfahrtsektor gilt, führte Peking der Weltöffentlichkeit Mitte Oktober des letzten Jahres eindrucksvoll vor Augen. 42 Jahre nach dem ersten Raumflug des sowjetischen Kosmonauten Yuri Gagarin katapultierte China mit dem 38-jährigen Oberstleutnant Yang Liwei den ersten Taikonauten ins All. Auch wenn dessen 21-stündige Tour um den Erdball bestenfalls symbolischen Wert hatte, unterstrich China mit diesem Flug doch mit Nachdruck seine Ambitionen, fortan als dritte Kraft an dem Abenteuer bemannte Raumfahrt teilnehmen zu wollen.

Yang Liwei – Der erste Chinese im All unmittelbar vor dem Start

Schon vor drei Jahren ließ Sun Laiyan, damals noch Vizepräsident der Chinesischen Nationalen Weltraumbehörde, der "China National Space Administration" (CNSA), gegenüber der Zeitung "China Daily" durchblicken, sein Land ziehe bis zum Jahr 2010 eine bemannte Mondlandung und danach einen bemannten Flug zum Mars ernsthaft in Erwägung. Kurz darauf hieß es dann, China wolle später sogar noch eine kleine Mondbasis errichten, eine Art Forschungsstation, die jenem Typ ähnelt, mit dem China am Nord- und Südpol vertreten ist.

Seitdem die Volksrepublik nach Russland und den USA als dritte Nation in der Lage ist, mit einem selbstkonstruierten Trägersystem aus eigener Kraft Menschen ins All zu schicken, hat die aufstrebende Raumfahrtnation ihre frühere sehr optimistisch gefärbte Raumfahrt-Agenda grundlegend überarbeitet. Längst haben die CNSA-Verantwortlichen aus dem damaligen viel zu engen Zeitfenster ihre Konsequenzen gezogen und alle utopisch anmutenden Flugpläne wieder ad acta gelegt – zugunsten eines weitaus moderateren, aber nicht minder ambitionierten Programms.

Noch vor Olympia

Dieses stellte nunmehr Sun Laiyan, der seit April als neuer Chef der chinesischen Raumfahrtbehörde fungiert, letzte Woche in einem seiner ersten Interviews mit Journalisten aus Europa in Peking vor.

Start ohne Tücken – Lift-off der Langer-Marsch-Rakete vom chinesischen Weltraumbahnhof Jiuquan mit dem ersten Taikonauten an Bord

Gegenüber dem englischen Nachrichtensender BBC brachte dieser zum Ausdruck, dass sein Land auf jeden Fall bis zum Jahr 2007 eine unbemannte Raumsonde zum Mond starten werde, die den Trabanten zu Forschungszwecken umkreisen soll. Noch vor dem Beginn der olympischen Spiele 2008 in Peking soll das Projekt auf Hochtouren laufen.

Zuerst werden wir versuchen, bis 2007 eine unbemannte Raumsonde zum Mond zu senden. Das ist der erste Schritt. Der zweite ist, die Landung einer unbemannten Raumsonde auf dem Mond durchzuführen.

Diese soll ab 2010 auf dem Mond als mobile Einheit operieren. Das mit Kameras, Teleskopen und Seismografen ausgestattete Gefährt soll dabei die lunare Umgebung erforschen, Daten sammeln und diese umgehend zur Erde senden, so Sun Laiyan. Zu guter Letzt sollen im Rahmen einer weiteren Mission Bodenproben gesammelt und zurück zur Erde gebracht werden. "All diese Missionen werden unbemannt sein."

Yang Liwei – Erster Chinese im All unmittelbar nach seiner Rückkehr

Weltraum-Technologien seien zwar wichtig für die nationale Wirtschaft und die soziale Entwicklung, aber eine baldige Expedition habe auf jeden Fall eindeutig Priorität. "Die Erkundung ist ein gemeinsames Unternehmen aller Menschen", so der CNSA-Chef. Daher soll auch innerhalb der nächsten beiden Jahre der zweite bemannte Weltraumflug stattfinden; dieses Mal mit einer zweiköpfigen Besatzung, die fünf bis sieben Tag die Erde umkreisen soll. Ihr könnte eventuell sogar eine Frau angehören. "Es wäre sehr wichtig für die Gleichberechtigung", erklärt Sun Laiyan. "Wir besitzen viele hervorragende weibliche Ingenieure. Wer von ihnen geeignet ist, kann sich für den Flug qualifizieren."

Taikonauten zum Mond

Nachdem die USA das chinesische Ansinnen, an der Internationalen Raumstation ISS mitzuarbeiten, rigoros ablehnten, um der langfristig gesehen immer stärker werdenden chinesischen Präsenz im All vorzubeugen, plant Peking nunmehr den Bau einer permanent besetzten Weltraumstation im Orbit.

Animation eines chinesischen Traums, der Wirklichkeit wurde

Ohnehin ist der Gedanke, dass durch die bizarre, von Kratern durchzogene wüstenartige Landschaft und den feinen mehligen Sandstaub des Mondes, den bislang nur Amerikaner in natura zu sehen bekommen haben, in nicht allzu ferner Zukunft Menschen eines anderen Kontinentes und Kulturkreises promenieren könnten, so abwegig nicht. Sollten nämlich die ehrgeizigen, aber keineswegs näher konkretisierten Pläne Pekings hinsichtlich einer bemannten Mond-Mission wirklich Gestalt annehmen, dann werden bereits in der nächsten Dekade die ersten Taikonauten den Erdtrabanten einen Besuch abstatten, so wie es bereits während der Expo in Hannover im nationalen Pavillon Chinas präsentiert wurde. Zu sehen war ein kleines Modell einer Mondlandfähre mitsamt Astronauten und einer chinesischen Flagge, die im fiktiven Mondsand steckte.

Wille zum Erfolg

Bei alledem hat China noch ein anderes Abenteuer im Hinterkopf: den Flug zum Mars mit einer wissenschaftlich ausgebildeten chinesischen Crew. Doch ob derlei sehr ehrgeizige Ziele überhaupt eines fernen Tages einmal fruchten, ob die Volksrepublik in der nächsten Dekade einen Taikonauten zum Mond schicken oder die erste Mars-Exkursion mit irdischen Marsmenschen initiieren wird, ist sicherlich noch Zukunftsmusik.

"Magic Moon" – Immer eine Reise wert

Auch wenn Eingeweihte diese utopischen Ziele mit einem Augurenlächeln quittieren: Chinas abstrakte Pläne sind dennoch durchaus ernst zu nehmen. Schließlich hat das Reich der Mitte nicht nur ein enormes wirtschaftliches und technisches Potential, sondern auch den unbedingten politischen, wenngleich prestigeorientierten und propagandageprägten Willen zum Erfolg. Und wo ein Wille ist, ist bekanntlich auch ein Weg.