"Reichsbürger"-Razzien und Fraktionskämpfe im Bürgertum

Seite 2: "Weg mit dem 129a" – eine alte linke Forderung

Linke sollten daran denken, dass eine alte und begründete Forderung von ihnen die Abschaffung dieses Paragraphen ist, weil er Überwachungs- und Bespitzelungsmaßnahmen des Staats legitimiert. Sollte die gesellschaftliche Linke diese Forderung aufgeben, nur weil jetzt mit diesen Paragraphen auch gegen Rechte vorgegangen wird?

Man hat den Eindruck, dass die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes, die lange auch von Linksliberalen erhoben worden war, schon aufgegeben wurde, seit der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen nicht mehr im Amt ist.

Der Wechsel des Amtes von Maaßen, der zunehmend offen rechtsaußen agiert zu Thomas Haldenwang zeigt erneut, dass es unterschiedliche Fraktionen im bürgerlichen Staatsapparat gibt. Letzterer wird aber dadurch nicht plötzlich ein Verbündeter der gesellschaftlichen Linken. Wenn diese nun auch noch den Paragraphen 129a, den sie lange aus guten Gründen bekämpft hat, legitimiert, weil er ja jetzt angeblich gegen die Richtigen angewandt wird, hat sie nicht nur ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Die Kritik am Staat und seinen ideologischen und repressiven Apparaten gehörte zur vornehmsten Aufgabe einer gesellschaftlichen Linken. Der emeritierte Politikwissenschaftler Joachim Hirsch hat schon während der Corona-Pandemie kritisiert, dass die Linke ihr schärfstes Instrumentarium, die Staatskritik vergessen habe. Das hat sich im Zuge des Ukraine-Konflikts noch verschärft, da nun auch noch ein Teil der Linken mit einer Fraktion des ukrainischen Nationalismus Russland besiegen will.

Vor diesen Hintergrund ist es nur konsequent, wenn auch plötzlich Instrumente des staatlichen Repressionsapparates nicht mehr kritisiert werden.

Soziale Kämpfe statt autoritärer Staat

Dabei wäre es doch gerade die Aufgabe einer gesellschaftlichen Linken, herauszuarbeiten, dass es sich bei den vermeintlichen Putschisten um einen besonders reaktionären Teil des Bürgertums handelt, der einen besonders autoritären Kapitalismus der Vergangenheit mit allen Mitteln verteidigen will. Dabei sollte zugleich nicht vergessen werden, dass diese Fraktion des Bürgertums bei allen auch repressiv ausgetragenen Konflikten gemeinsam mit den Vertretern des modernen Kapitalismus die Eigentumsordnung vertritt.

Wenn es gegen Lockerung des Hartz-IV-Regimes geht, wie kürzlich bei der Debatte um das Bürgergeld oder im Kampf gegen den Mietendeckel in Berlin – bei jeder noch so kleinen Reform, die die Lebensbedingungen von armen Menschen verbessern soll, verteidigt die AfD die Eigentumsordnung besonders vehement.

Der Publizist Stefan Dietl hat völlig recht, wenn er in der Jungle World kritisiert, dass die AfD-Aufmärsche der letzten Wochen als Sozialproteste bezeichnet werden. Nein, es sind nationalistische Proteste, die gerade eine Organisation von sozialen Protesten jenseits von Geschlechts- und Nationalitätszuschreibungen verhindern sollen.

An diesen Standort-Deutschland-Verteidigungsprotesten beteiligt sich auch ein Teil der Unterklassen, der die verstärkte Sichtbarkeit gesellschaftlicher Minderheiten bekämpfen will – und nicht etwa die kapitalistische Ausbeutung.

Während adelige Immobilienunternehmer oder eine Richterin mit AfD-Parteibuch in dieser Melange durchaus klassenbewusst sind, können sich prekär lebende Nationalisten dort von ihrem Engagement keine Verbesserung versprechen, sondern nur, allein dadurch nicht auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Hierarchie zu stehen, dass es anderen noch schlechter geht.

Eine gesellschaftliche Linke müsste dagegen gemeinsame Interessen von Ausgebeuteten und unterdrückten Menschen in den Mittelpunkt rücken, wie es bei den Bündnissen "Umverteilen jetzt", "Wer hat, der gibt" oder "Genug ist genug" ansatzweise gelungen ist.

Ist die gesellschaftliche Linke damit erfolgreich, wird sie ebensolche Probleme mit den repressiven Staatsapparaten bekommen, wie sie jetzt schon Umweltaktivisten haben, die zivilen Ungehorsam leisten. Während die Massenmedien voll mit Berichten über die Staatsaktion gegen die radikalisierten rechten Bürger sind, geht unter, dass gegen Aktivsten der "Letzten Generation" erneut Präventivhaft verhängt wurde. Ein Grund mehr, nicht plötzlich den starken Staat zu bejubeln, wenn er angeblich gegen die "Richtigen" vorgeht.