"Reichsbürger"-Razzien und Fraktionskämpfe im Bürgertum

Auch Erinnerungen an den Kapitol-Sturm wurden durch die Razzien geweckt. Sein schrillstes Gesicht: der QAnon-"Schamane" Jake Angeli. Foto: TheUnseen011101 / CC0 1.0

Vom Treppensturm zum "Putsch": Rechte Bündnisse aus Bürgern und deklassierten Weißen nach US-Vorbild sollten stärker in den Blick genommen werden. Warum der Ruf nach dem starken Staat trotzdem falsch wäre.

Der Staat geht mit den Paragraphen 129a jetzt auch gegen Rechte vor. Das ist das eigentlich Neue an der großangelegten Razzia vom vergangenen Mittwoch. Festnahmen vor "eingebetteten" Medien, die vorab informiert waren, sind in der Tat nicht neu.

Manche Pressevertreter erinnerten sich an den Fall des ehemaligen Postchefs Zumwinkel, der 2008 wegen angeblicher Steuervergehen ebenfalls vor Pressevertretern verhaftet wurde. Damals ging es um einen Machtkampf innerhalb des Post-Managements. Zumwinkels Haftbefehl wurde schnell außer Vollzug gesetzt, aber seinen Posten war er los. Er trat wenige Tage später zurück.

Seine Gegner im Postapparat haben sich durchgesetzt. Auch die jüngste Razzia kann als Teil eines Konflikts von unterschiedlichen Fraktionen des Bürgertums interpretiert werden, der wie in vielen andereren Ländern auch in Deutschland zunehmend mit Hilfe der repressiven Staatsorgane ausgetragen wird.

Konflikte innerhalb des Bürgerblocks

Dahinter stecken reale Konflikte innerhalb des Bürgerblocks, die in den USA schon vor mehr 15 Jahren mit der Herausbildung der Teaparty-Bewegung zu beobachten waren. Es war eine Radikalisierung innerhalb der weißen bürgerlichen Schichten, die sich gegen die Modernisierung des Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten stemmen.

Sie träumen von einem Zurück zum sorglosen fossilen Kapitalismus der 1950er-Jahre, in denen es keine öffentlichen Diskussionen um Geschlechteridentitäten gab und sich für Umweltprobleme eine nur eine sehr kleine Minderheit interessierte – und Weiße die unbeschränkte Hegemonie hatten. Alle Erscheinungen des modernen Kapitalismus sind ihnen ein Horror.

Da sie die kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten nicht wahrhaben wollen, können sie sich die Veränderungen des modernen Kapitalismus, die noch durch die Digitalisierung beschleunigt wurden, nur als Ergebnis einer Verschwörung erklären.

Es entstand ein loses Bündnis von rechten Groß- und Kleinbürgern, aber auch Weißen aus der Unterklasse, die für ihre schlechte Situation nicht den Kapitalismus verantwortlich machen. Stattdessen kultivieren sie Ressentiments gegen Schwule, Schwarze und andere Nichtweiße, die in letzten Zeit sichtbarer und teils auch erfolgreich um Posten konkurrieren.

Mit dem Wahlsieg von Donald Trump schien 2016 in den USA die rechte Bürgerrevolte am Ziel. Es ist kein Zufall, dass in seiner Amtszeit der QAnon-Mythos auftauchte. Dieser ist aber auch ein Ergebnis der Enttäuschung, dass ein Trump im Weißen Haus nicht so durchregieren konnte, wie es sich die rechtsbürgerlichen Konterrevolutionäre erträumt hatten.

Der QAnon-Mythos vertröstet die Zweifelnden. Sie sollen sich gedulden – der Tag der Abrechnung werde noch kommen. Mit Trumps Abwahl wurde endgültig klar, dass dies nur ein großer Bluff war. Das erklärt auch den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Jetzt setzte ein Teil der Rechten, sowohl Menschen aus dem etablierten Bürgertum als auch aus der Unterklasse, alles auf eine Karte – und sie scheiterten.

In kleinen Zirkeln blieb der QAnon-Mythos noch einige Zeit lebendig. Da wurde die Wahnidee verbreitet, Trump werde in kurzer Zeit triumphal ins Weiße Haus zurückkehren. Stattdessen bereitet Trump eine neue Wahlkampagne vor, wobei seine Chancen eher gering sind. Das liegt auch daran, dass die kleinen, aber aktiven rechten Gruppen ernüchtert sind.

Symbolik aus den USA

Es ist kein Zufall, dass auch bei den mutmaßlichen Putschisten in Deutschland viele Elemente der aktivistischen bürgerlichen Rechten aus den USA auftauchen, wie die Bundesanwaltschaft verdeutlicht:

Die Mitglieder der Gruppierung folgen einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen bestehend aus Narrativen der sog. Reichsbürger- sowie QAnon-Ideologie. Sie sind der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sog. "Deep State" regiert wird.

Befreiung verspricht nach Einschätzung der Mitglieder der Vereinigung das unmittelbar bevorstehende Einschreiten der "Allianz", eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika.

Die Vereinigung ist der festen Überzeugung, dass sich Angehörige der "Allianz" bereits in Deutschland aufhalten und deren Angriff auf den "Deep State" zeitnah bevorstehe.


Aus der Pressemitteilung der Generalbundesanwalt

Erinnerung an Reichstags-Treppensturm

Solcherlei Symbolik und Diktion war auch bei verschiedenen Protesten zu sehen und zu hören. Allerdings sollte spätestens nach der Lektüre der Pressemitteilung deutlich werden, wie irrational dieser angebliche Putschplan war, der ja begrifflich an Militärs erinnert, die Regierungsgebäude und Rundfunkstationen besetzen.

Tatsächlich erinnern Berichte über den geplanten "Reichsbürger"-Putsch sehr an die Aufregung, die im August 2020 eine Gruppe aus dem gleichen Milieu auslöste, die mehr oder weniger für ein Fotoshooting die Reichstagstreppe stürmte. Noch immer wird von einem Reichstagssturm geredet, obwohl sich die Demonstranten von einer Handvoll Polizisten davon aufhalten ließen.

Noch irrationaler wird das Ganze, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der angebliche Auslöser des Reichstags-Treppensturms die Rede einer Frau war, die die Menge aufforderte, sich Richtung Reichstag zu bewegen, um den damaligen US-Präsidenten Trump zu begrüßen, der plötzlich in Berlin aufgetaucht sei. Später behauptete sowohl diese Frau als auch ein Vertreter der Minigruppierung Gelbwesten Berlin, sie seien von V-Leuten dazu angestachelt worden.

Genau diese Episode wird auch jetzt von verschiedenen Medien erwähnt. Dass sollte ein Grund mehr sein, die Hintergründe der Razzien etwas nüchterner zu betrachten. Vor allem gilt es zu beobachten, was von diesen Vorwürfen am Ende übrigbleibt. Schließlich ist es nicht das erste Mal, dass die Waffe des Paragraphen 129a eingesetzt wird, allerdings wurde sie das bisher überwiegend gegen linke und migrantische Strukturen – und auch dort oft mit eingebetteter Presse.

Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass der angebliche Antiterror-Paragraph vor allem ein Ermittlungsparagraph ist, der dazu dient, die jeweilige Szene auszuforschen und in Unruhe zu versetzen. Es kommt nur selten zu Prozesse und noch seltener zu Verurteilungen. Es wird sich zeigen, wie es bei den großangelegten 129a-Ermittlungen im rechten Bürgerblock sein wird.