Reinwaschung des Westens?

Seite 2: Zehntausende von Zivilisten starben in Frühphase des "Krieges gegen den Terror"

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Im Zentrum der Kritik an UNAMA steht unter anderem auch die Tatsache, dass die Zählung erst seit 2009 erfolgt. Der Krieg in Afghanistan herrscht allerdings schon seit Ende 2001. Vor allem in den ersten Jahren tobte dieser Krieg seitens der westlichen Akteure am heftigsten - und tötete dementsprechend. Die damaligen Bombardements, die Zehntausenden von Zivilisten das Leben kosteten, sind mit jenen der letzten Jahre kaum zu vergleichen. Es war immerhin die Frühphase des sogenannten Krieges gegen den Terror.

Abgesehen vom späten Beginn der Zählung ist allerdings auch die Methodik von UNAMA fragwürdig. Laut der Organisation sind mindestens drei verschiedene Quellen für die Bestätigung eines einzelnen Falles nötig. In den kriegerischsten Regionen Afghanistans sind allerdings kaum Journalisten und Menschenrechtler vor Ort. Auch die Berichterstattung lässt in vielen Punkten zu wünschen übrig.

So ist unter anderem kaum bekannt, wer von US-amerikanischen Drohnen-Angriffen getötet wird. Regelmäßig ist von "mutmaßlichen Extremisten" die Rede - und dabei bleibt es auch. Selbiges betrifft die geheimen Spezialeinsätze der US-Armee, die Nacht für Nacht im Schatten der Öffentlichkeit stattfinden und denen in der Vergangenheit schon Zivilisten zum Opfer fielen. Meist wurden solche Fälle nur mühsam von investigativen Journalisten aufgedeckt - von der UN fehlte währenddessen jegliche Spur. Dies ist nur einer von vielen Gründen, warum die Dunkelziffer bezüglich ziviler Todesopfer in Afghanistan deutlich höher sein dürfte.

Der Bericht hebt auch die Tatsache hervor, dass eine starke Abwesenheit der internationalen Truppen in Afghanistan besonders bezeichnend für das Jahr 2015 gewesen ist. Auch in den Berichten der vergangenen Jahre wurden den westlichen Streitkräften deutlich weniger zivile Opfer angelastet als dem Rest der Akteure - sprich, den Taliban oder der afghanischen Armee. Die Botschaft könnte man demnach wie folgt interpretieren: Seht her, die Afghanen bringen sich gegenseitig um. Wir machen doch fast gar nichts.

Dies mag womöglich etwas überspitzt und provokant klingen, wird allerdings von vielen afghanischen Kritikern genau auf diese Art und Weise wahrgenommen und macht vor allem auch die Sichtweise von Personen wie Hamid Karzai deutlich.

Tatsächlich sollte nicht vergessen werden, warum in Afghanistan bis zum heutigen Tage immer noch ein derartiges Blutvergießen herrscht - und wie es seinen Anfang nahm. Wie im 19. oder 20. Jahrhundert ist das Land am Hindukusch seit den 1970ern im Fokus externer Interessen, die allesamt aufeinander prallen und die gegenwärtige Situation hervorgebracht haben. Jene afghanischen Akteure, die laut UNAMA gegenwärtig für das meiste Blutvergießen verantwortlich sind, sind nicht von heute auf morgen plötzlich in Erscheinung getreten. Abgesehen davon, und das ist ein besonders wichtiger Punkt, gibt es keine Waffen "Made in Afghanistan". Den Rest dieses Gedankens sollte jeder fortführen können.