Religion und Reichtum in den USA

Neuer Studie zufolge sind konservative Protestanten arm dran, während Juden wissen, wie man reich wird

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Der erste Satz der Pressemitteilung lässt einen etwas stutzen: "Eine neue Studie zeigt, dass religiöse Zugehörigkeit großen Einfluss darauf hat, wie reich Amerikaner sind, wobei Juden am meisten Reichtum ansammeln und konservative Protestanten am wenigsten", heißt es da.

Es wird eine soziologische Studie der Ohio State University vorgestellt, die aufgrund von Daten von 4 950 Teilnehmern zu dem Ergebnis kommt, dass Religionszugehörigkeit einen starken Effekt auf die finanziellen Verhältnisse habe. Die Teilnehmer jüdischen Glaubens sind laut Studie dreimal so wohlhabend wie der Gesamtdurchschnitt, konservative Protestanten - darunter Baptisten, Zeugen Jehovas, Adventisten und christliche Wissenschaftler - besitzen nur halb soviel Geld wie der Durchschnitt. Katholiken sowie liberale Protestanten liegen ungefähr im Durchschnitt.

Laut Lisa Keisters Studie bleibt nur ein Prozent der Juden ein Leben lang arm, während es bei den konservativen Protestanten 15 Prozent und bei Katholiken und liberalen Protestanten etwa 20 Prozent sind.

Über den Zusammenhang von Religion und Reichtum sei bisher wenig geforscht worden, so die Leiterin der Studie, dabei sei Religion ein wirklich wichtiger Faktor, wenn man sich fürs Reichwerden interessiere.

Die Soziologin weist dabei weit von sich, Klischees wie das des "gierigen, manipulativen Juden" zu bedienen. Ein Klischee, das mit den aus ihm erwachsenen Neidgefühlen und Vorurteilen entscheidend bei der Hysterie der Judenhetze war - und es in einigen Kreisen, die von einer Weltverschwörung der Juden delirieren, auch immer noch ist.

Ich habe herausgefunden, dass Familien einen starken Einfluss darauf haben, wie Menschen lernen, mit Geld umzugehen, und Religion ist oft ein wichtiger Teil des Familienlebens. Was Kinder in jüdischen Familien lernen, ist sehr verschieden von dem, was Kinder von konservativen Protestanten lernen...Was wir in jüdischen Familien sehen, könnte uns als Vorbild dafür dienen, wie wir unsere Kinder dazu erziehen, reich zu werden.

Ja, mit dem Reichwerden dürfte Lisa Keister selbst so ihre Probleme haben. Warum? Nun, die Wissenschaftlerin hat schlechte Karten: sie selbst hat drei Brüder und ihr Mann ist sogar mit fünf Geschwistern aufgewachsen. In einer ihrer Studien hat sie herausgefunden, dass Geschwister uns ärmer machen. Die meisten Chancen, reich zu werden, hätten Einzelkinder. Auch hier wieder das Hauptargument: Konzentrierte Förderung durch Familie. Eine dritte Studie von der Reichenfachfrau sieht auf den ersten Blick aus wie ein zynischer Witz: Die Kluft zwischen Afro-Amerikanern und weißen Amerikanern in punkto Reichtum sei so groß, weil Schwarze nicht genug an der Börse spekulieren würden. Anders formuliert: Keister will hier herausgefunden haben, dass Afro-Amerikaner bei ihren Aktienkäufen deutlich weniger Risikobereitschaft zeigen würden als weiße Amerkaner.

So viel Reichtumsforschung mag seltsam und auch irgendwie eindimensional anmuten, doch man darf nicht vergessen, dass neben Patriotismus und Religion das Einkaufen in den USA eine Kardinalstugend darstellt. Nach dem 11. September etwa wurden die Amerikaner aufgefordert, ihre Vaterlandsliebe durch fleißiges Shoppen zu beweisen. Der Wunsch, reich zu werden, wird in den USA meist ehrlicher und unverbrämter geäußert als z.B. in Deutschland, wo er in eher verdruckst-deformierter Weise daherkommt, aber natürlich nicht minder groß ist.

What about the rich Jews? The IRS is full of Jews, Bob....Go after em like a son-of-a-bitch!

Richard Nixon

So neu, wie sie behauptet, sind Keisters Erkenntnisse übrigens nicht, denn dass Juden aus dem Durchschnitt herausragen, sei es durch wirtschaftliche, sei es durch kulturelle oder wissenschaftliche Verdienste, ist ein Umstand, der sich nicht leugnen lässt. Ein Umstand aber, den Juden manchmal gar nicht so gerne hervorheben - eben weil sie das Gift des Neides fürchten, welches ihnen schon so viel Unheil gebracht hat. Auch die erfolgreiche asiatische Minderheit (eigentlich auch ein Thema für Keisters Studien) wird in den USA übrigens zunehmend mit dem Neid der anderen und einer daraus resultierenden unheilvollen Gruppendynamik konfrontiert.

In seinem Buch The Jewish Phenomenon: Seven Keys to the Enduring Wealth of a People erwähnt Steven Silbiger eine Umfrage, der zufolge 25 Prozent der Amerikaner der Meinung sind, dass Juden in der amerikanischen Wirtschaft zu viel Macht haben. 75 Prozent der Juden jedoch glauben, dass man sie für zu mächtig hält. Silbigers vor drei Jahren erschienenes Buch, eine Art Fortsetzung der Bestseller "The Millionaire Next Door" und "The Gift of the Jews", versucht auf eine Weise, von der sich Lisa Keister eine Scheibe abschneiden könnte, eine Stille zu füllen, welche die Los Angeles Times einmal folgendermaßen umschrieben hat:

Es ist eine leichte Versuchung, einfach einen Waschzettel auszugeben, der die Namen bestimmter Juden und ihre Errungenschaften auflistet, eine Hall of Fame von Nobelpreisträgern, Musikern, Künstlern, eine Parade von Unternehmern, Filmmogulen, Lehrern, Journalisten und Entertainern, die alle die amerikanische Scene beeinflusst haben. Doch wenn man nach einer tieferen Antwort sucht, nach einer Theorie, welche die Leistungen so verschiedener Menschen wie Jerry Seinfeld und Albert Einstein erklärt, dann ist da eine Stille in der Literatur über das Judentum