Represent, represent!

Die elfte Documenta, das alle fünf Jahre stattfindende Mekka der Kunstinteressierten, ist noch größer als ihre Vorgänger, aber überraschenderweise weniger theorielastig als die letzte

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Man hatte soviel Theorie erwartet, soviel Worte und Diskussionen - und nun das: Eine Ausstellung mit größtenteils eindeutig als Kunst definierten Objekten und Installationen sowie einem fast als textarm zu bezeichnenden Katalog. Die Documenta11 war im Vorfeld bereits als eine Fortsetzung der letzten, von Catherine David mit großem theoretischen Aufwand vorbereiteten 10. Documenta gesehen worden. Erweitert um die bereits im Jahr zuvor stattfindenden Plattformen 1-4, anlässlich derer postkolonial- und radikaldemokratisch geschulte Intellektuelle um neue Definitionen von Mensch und Welt rangen, war man bei dieser als 5. Plattform eingereihten Präsentation in Kassel von einer noch weitergehenden Verschränkung von Kunst und Text ausgegangen.

Statt dessen finden die Auseinandersetzungen nun in den Arbeiten der über 100 KünstlerInnen statt. Kaum in der Malerei, von der wenig zu sehen ist, aber innerhalb einer ansonsten variantenreichen Bandbreite von "Bildern", realisiert in Objekten, Fotografien, Filmen und Videoinstallationen mit zum Teil hohem Perfektionsgrad und ebenso hohen Produktionskosten. Diese Documenta reflektiert den auch im Restleben gestiegenen Stellenwert von Technologie und deren Entwicklung, ohne vordergründig eine Medienausstellung zu werden.

Trotz ihrer Kunsttreue wird Enwezors und seiner MitkuratorInnen Arbeit noch eine gute Menge Kritiker finden, denn bei aller Bildlastigkeit hält die Documenta11 ihr Versprechen, eine politische Ausstellung zu werden. Und das sieht man nicht überall gerne. Die Plattformen zuvor hatten es bereits angekündigt: 2001 wurden in Wien, Berlin, Bombay und Lagos die "Demokratie als unvollendeter Prozess" diskutiert, "Experimente mit der Wahrheit" thematisiert, das Konzept der "Créolité/Kreolisierung" untersucht und die Entwicklung afrikanischer Städte beleuchtet. Als Beiträge werden diese Plattformen im Laufe des Sommers als eigene Bücher veröffentlicht werden. Die Globalisierung und damit zusammenhängende Veränderungen der Bevölkerungen und ihrer Lebenssituationen weltweit prägen auch die Schau in Kassel.

Johannes Rau fasste es bei der Eröffnung in Worte: Vieles sei ihm fremd hier. So platt das klingt, aber schon damit hat die Documenta11 ein Ziel erreicht; denn es wird ihm, dem Präsidenten, wie auch uns anderen noch Vieles fremd erscheinen im Fortgang der, nennen wir es mal, "Öffnung der Welt". Sollte dieser Prozess sich so intelligent und gewaltarm vollziehen, wie hier die KünstlerInnen ihre Reflektionen präsentieren, wird es ihm und uns nur recht sein.

Der Reflektionsbedarf ist gewaltig und die Documenta dementsprechend ausufernd: Zu den klassischen Spielstätten Fridericianum, Documenta-Halle, Kulturbahnhof und Orangerie kommt in diesem Jahr mit der ehemaligen Binding--Brauerei eine riesige Halle hinzu, in der ein Großteil der Teilnehmer innerhalb einer unübersichtlichen Kojenarchitektur eine Bleibe für ihre Werke finden. Dazu sieht man fünf Arbeiten im Außenraum - wenig im Vergleich zu früheren Documenta-Ausgaben. Enwezors Bestreben, nach dem auf drei Kontinente ausgedehnten Vorbereitungsteil eine Konzentration herbei zu führen, ist auch hier erkennbar - der Kunstraum ist in den Augen des auch bei früheren Ausstellungen selten formal experimentierenden Kurators aus Nigeria und New York die Heimat für die Kunst.

Seine Aufgabe sah Enwezor eher in der Erweiterung des Standards dieser bekanntesten und beachtetsten aller Ausstellungen. Bislang wurden die Arbeiten in der sich fünfjährlich wiederholenden Documenta, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in Europa und den USA hergestellt - was diese Regel verletzte, hatte selten die Chance, dem Stempel "Exotik" zu entgehen. Enwezor möchte diesmal nichts weniger als die "postkoloniale Konstellation" dargestellt sehen, er definiert auf der Pressekonferenz seine eine Leidenschaft: Die Suche nach einer "Überwindung der tiefen Gräben nach dem Imperialismus". Enwezors KünstlerInnen produzieren zwar immer noch zu einem Gutteil in den klassischen Kunstmetropolen, weil sie dort dem existenzsichernden Markt näher sind. Doch ihre Herkunft ist so divers wie noch nie.

Enwezors KuratorInnenteam, welches mit Carlos Basualdo, Ute Meta Bauer, Susanne Ghez, Sarat Maharj, Mark Nash und Octavio Zaya ebenfalls die globale Herangehensweise spiegelt, entschied sich wohl auch deswegen für eine tendenziell konventionelle Ausstellungsform: Um angesichts der Breite der Ausdrucksformen dem drohenden Exotismusvorwurf zu entgehen. Was hier steht, sind nicht lokal kolorierte Gebrauchsgegenstände, sondern Kunstwerke; was hier zu sehen ist, sind Äußerungen, die zu einer weltweiten ästhetischen Diskussion beitragen, die sich nicht um den Kanon des Kunstmarktes der Industrieländer kümmert. Insofern löst die Documenta11 endlich die eine Behauptung ein, die sie alle fünf Jahre gerne aufgestellt hat: Sie ist in einem globalen Sinne repräsentativ.