Retuschierung im 35mm Format
Ridley Scotts Kriegsfilm "Black Hawk Down" soll die "Tapferkeit, Engagement und Selbstlosigkeit" des Soldaten und die patriotische Gesinnung Hollywoods zeigen
John Travolta und Arnold Schwarzenegger hatten Pech. Ihre neuen Filme genügten nach dem 11. September nicht den schnell proklamierten neuen Maßstäben politischer Korrektheit im Kino; damals wollte keiner Terroristen, in die Luft fliegende Gebäude und all das sehen, was einen Hollywood-Actionfilm - wie "Passwort: Swordfish" und "Collateral Damage" - zu einem Blockbuster macht. Nie wieder sinnlose Gewalt im Kino, tönte es in den USA und in Europa, nie wieder Action der Action wegen! Gemäß solcher neuen Bilderethik wurden Filme, die irgendwie einen Bezug zu den September-Anschlägen hätten haben können, auf den Kino-Startplänen weit nach hinten geschoben. Doch das war einmal, lang, lang scheint's her, auch wenn seitdem nicht mehr als ein paar Wochen vergangen sind.
Die Zeiten, mit ihr die neue Ethik des Filmemachens und die sich angeblich ebenso neu konstituierende Moral der Macher haben sich in atemraubender Rasanz wieder einem Wandel unterzogen. Hin zum puren Gegenteil. Nun wird auf den Startplänen der Verleiher nicht nach hinten geschoben, sondern vorgezogen.
Ridley Scotts Kriegs-Spektakel Black Hawk Down - ursprünglicher Kinostart Sommer 2002 - ist zusammen mit einer Vielzahl von Kriegsfilmen in den USA jetzt schon im Kino angelaufen. Auch wenn Afghanistan demnächst befriedet sein sollte - "nuper pacati sunt" -, im Visier des "war against terrorism" stehen womöglich bald der Irak und/oder Somali: Und so bedarf es eines gut Teils geistiger Mobilmachung sowie einer vortrefflichen public relation auf den Leinwänden. Ridley Scott und Jerry Bruckheimer und John Moore und die anderen Regisseure der neuen "war movies" haben dafür jedenfalls ihre patriotische Pflicht schon abgeleistet.
Ridley Scott beispielsweise: Am 3. Oktober 1993 versuchten amerikanische Spezialtruppen zwei Gehilfen des somalischen Warlords Mohamed Farrah Aidid gefangen zu nehmen. Was als militärische Routineaktion im bürgerkriegszerrütteten Mogadischu begann, kostete 18 amerikanischen Soldaten und - die Zahlen differieren - fast 1000 Afrikanern das Leben. Präsident Bill Clinton bezeichnete die Militäraktion als eine der "dunkelsten Stunden seiner Amtszeit".
Nach der 90 Millionen Dollar teuren Retuschierung von Ridley Scott und seinem Produzenten Jerry Bruckheimer wird dieses historische Ereignis im kinogeleiteten Alltags-Gedächtnis fortan ganz anders aussehen: In "Black Hawk Down" lernen wir in gut zweieinhalb Stunden Kinozeit, dass der 93er-Einsatz der Special Forces die leuchtendste Stunde des amerikanischen Kämpfers war! Und selten hat ein Presseheft (US-amerikanische Version) die wahre Intention eines Films so klar auf den Punkt gebracht, wenn wir da lesen von der "wahren Natur des Heldentums", die die Soldaten in Mogadischu erfuhren, sowie von "Tapferkeit, Engagement und Selbstlosigkeit" des Soldaten, die der Film uns wie die "Inschrift auf einem Grab" zeige.
Mit "Black Hawk Down" - "Black Hawk" heißen die Militär-Hubschrauber, von denen die somalischen Milizen zwei in Mogadischu abschossen - gebührt Ridley Scott ("Blade Runner", "Alien", "1492", "Die Akte Jane", "Gladiator", "Hannibal")immerhin der Verdienst, den Film mit dem längsten Geballere aus automatischen Waffen gedreht zu haben, das die Filmgeschichte bisher zu bieten hat, länger noch als jeder "Rambo"-Film. Eine nicht enden wollende Schießerei, rhythmisiert durch untergelegte Pop- und Rocksongs von Elvis bis Jimi Hendrix, und das Ganze so laut und brachial-suggestiv, dass die Langeweile über die auf der Stelle tretende Geschichte ohne Gnade betäubt wird: In "Black Hawk Down" vermischt sich eine Soße von Pathos, Pariotismus und Heroismus zu einem Brei, den wohl nur jemand aushalten kann, der gern selber US-Marine wäre. Und es mag kaum verwundern, dass Jerry Bruckheimer, der schon für das Machwerk "Pearl Harbor" verantwortlich zeichnet, auch hier die Produktion übernahm.
Nun ist es kein Zufall, das "Black Hawk Down", Behind Enemy Lines, Spy Game, We Were Soldiers oder die anderen Kriegsfilme jetzt in so zeitlicher Verdichtung gestartet werden. Schon die Oscar-Vergabe an Ridley Scotts "Gladiator" vor zwei Jahren deutete eine geistige Militarisierung an: Die Selbstverständlichkeit, mit der ein Film ausgezeichnet - oder besser "hochdekoriert" - wurde und dessen Hauptfigur eine menschliche Kriegsmaschine, ein gepanzerter Mann, war, hätte stutzig machen können. Genauso wie die Selbstverständlichkeit, mit der Hauptdarsteller Russel Crowe eine Militärorden bei der Oscar-Feier trug.
Natürlich ist dies nur ein Indiz, eine Beobachtung, die zunächst in keinem kausalen Zusammenhang mit der Produktion der Kriegsfilmen steht, die Hollywood als Nachklapper zu "Saving Private Ryan" von Steven Spielberg (1998) in den letzten Jahren drehte. Aber vielleicht mag das als Hinweise darauf gelten, dass Zufälle auch im Filmgeschäft nicht existieren, und dass sich manchmal Tendenzen schon dann andeuten, wenn sie noch gar nicht begriffen werden können.
Dann 11. September und Afghanistan. Von jetzt ab wird etwas sichtbarer. Und die Kriegsfilme waren nun bereit zu ihrem Einsatz. Mitte November nämlich trafen sich in Hollywood Abgesandte des US-Präsidenten und Studio-Chefs sowie Verantwortliche der Fernseh-Networks, um das gute Bild Amerikas und amerikanischer Ideale in Kino und Fernsehen zu besprechen. Und auch wenn sich die Vertreter der Filmindustrie nach den Gesprächen gegen den Vorwurf wehrten und darauf bestanden, sich keinem inhaltlichen Diktat der Bush-Administration zu unterwerfen: Ein Film wie "Black Hawk Down"- vor den Anschlägen gedreht und nur sehr wenig umgeschnitten - zeigt, dass das gar nicht nötig ist, um ein verlogenes Heldenstück zu produzieren.
Zwischen dem Bedürfnis nach geistiger Mobilmachung, patriotischem Firlefanz und guter Kriegs-PR sowie dem Profitinteresse der Filmindustrie besteht kein Widerspruch und bestand auch nie einer. Feierstunden des Heroismus - ab Frühjahr und Sommer auch hier, nebenan im Multiplex.
Und das deutsche Kino?
Vielleicht auch noch was auf Halde für ein bisschen geistige Mobilmachung? Zu bieten hätten wir: Soweit die Füße tragen. Clemens Forrells Marsch durch die Taiga! Was für ein Stoff für einen Film.
Auf der Flucht, ein deutscher Mann, drei Jahre lang, soweit die Füße ihn eben trugen; 14.200 Kilometer durch die Eiswüsten von Sibirien. Ein Deutscher, entflohen einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager, verfolgt von einem rach- wie trinksüchtigen russischen Offizier. Aber am Ende - beim filmreifen Showdown am Grenzfluss zwischen der UdSSR und Iran - wird Clemens Forrel den Sieg davon tragen und in die Heimat kommen. Zu Weihnachten. Und mit - natürlich - Tränen in den Augen die Frau in der Kirche wiedertreffen. Was für eine Story mit was für einem Helden.
"Ein echter Held," sagt Hardy Martins, der Regisseur von "Soweit die Füße tragen", dem Remake des Straßenfegers von Fritz Umgelter aus den 60er Jahren. "Held nicht im Sinne von einer künstlich gemachten Puppe, wie wir sie aus Amerika kennen. Sondern genauso echt wie diese Geschichte wie dieser Stoff." Es gibt allerdings ein Problem bei dieser Heldengeschichte: Der "Held", mit dem wir leiden, ist ein rechtskräftig verurteilter Kriegsverbrecher; als Soldat Teil der deutschen Kriegsmaschinerie, die beim Überfall auf die Sowjetunion Millionen Menschen umgebracht hat. In diesem Film "Soweit die Füße tragen" taucht dies nur in zwei vagen Andeutungen auf, die aber vom Atem des großen Abenteuerfilms mit den riesigen Landschaftstotalen in die Nebensächlichkeit abgedrängt werden.
So verschwindet die historische Erinnerung über den deutschen Angriffskrieg in einer unterhaltsamen Abenteuer- und Heldengeschichte. Und wo die "Wehrmachtsausstellung" zeigt, wie kompliziert und komplex historische Erinnerung ist, wird sie in "Soweit die Füße tragen" ausgelöscht! Kein Erinnern an die Opfer, sondern die Umdefinierung des Täters zum Opfer. Wo Ridley Scott und die anderen "war movie"-Regisseure patriotische Hilfestellung für die Kriegspolitik George W. Bushs leisten, trägt "Soweit die Füße tragen" zur geistigen und moralisch gereinigten Wiederauferstehung des deutschen Landsers bei. Das Soldatische - und hier berühren sich "Gladiator" und "Soweit die Füße tragen" - wird in die Alltags- und Popkultur reintegriert.
Wenn Marlon Brando in Coppolas "Apocalypse Now Redux" seinen langen Monolog über das Grauen hält, das Grauen des Krieges, für das es keine Bilder und Worte gibt - weder im Kriegs- noch im Antikriegsfilm -, dann macht das deutlich, dass Francis Ford Coppola immerhin Bilder für dieses Grauen sucht, sie nicht finden kann, aber weiß, dass er als Filmemacher in dem Paradoxon leben muss, sie weiter suchen zu müssen. Doch "Apocalypse Now Redux" - ein wahnsinniger Film über den Kriegswahnsinn - stammt aus den 70ern und war auch damals eine künstlerische Ausnahme (Apocalypse Deluxe).
Bei den sich heute inflationär auf den Leinwänden ausbreitenden Wehrertüchtigungsfilmen - ob aus Babelsberg oder Hollywood - gibt es für die verzweifelte Suche nach wahren Bildern keinen Platz mehr.