Apocalypse Deluxe
Coppolas Director's Cut in Cannes bestätigt die Ambivalenz des Films zwischen linkem Protest, Sex and Rock'n'Roll und rechtem Pathos
In Cannes 2001 stellt Francis Ford Coppola den erweiterten Director's Cut seines US-Vietnamkriegs-Film-Epos "Apocalypse Now" vor. Ein erneuter Beweis für den Umbruch eines analogen Mediums in die Epoche der kompletten Digitalisierung, aber auch der gleichberechtigten Versionen eines Mammutprojektes.
Nach dem aufwendigen, 15monatigen Dschungeldreh auf den Philippinen - von Diktator Marcos mit Hubschraubern unterstützt, überschattet von Taifunstürmen, Herzattacken, Millionenschulden und Ehekrise - dauerte es 2 Jahre, bis Francis Ford Coppola 1979 nur mit Müh und Not in Cannes eine Ehrung für sein fertiggestelltes Opus Magnum erhielt: "Apocalypse Now" - für jene großartige, heroisch-anrüchige Abrechnung mit dem imperialistischen US-Amerika, das im Vietnamkrieg die kolonialistische Erbschaft Englands und Frankreichs in einem Fernsehkrieg bis zur krisenhaften Selbstzerfleischung ausagierte.
Jetzt stellt Coppola die digital verfeinerte und um 53 Minuten erweiterte Version "Apocalypse Now Redux" wiederum auf dem bedeutendsten Filmfestival der Welt, an der Croisette in Südfrankreich vor. Schon vor über 20 Jahren drängte sich der literarische und technologische Aufwand auf, der aus "Apocalypse Now" ein Dschungelbuch der amerikanischen Seele machte, ein mehrspuriges Psychodrama, das Hörspiel, Partitur (Musik: Carmine Coppola) und Naturfilm in einem war, eine dekadente Abenteuerreise ins Hölleninferno grausam-erhabener Bilder des Schreckens und des Irrsinns, ein Schlachtfest von unsinniger Sinnlichkeit.
Die Digitalisierung dieses multimedialen Spektakels, in dem Ton, Licht, Farbe (Kamera: Vittorio Storaro) und Regie im delikaten Ungleichgewicht zwischen Verwirrung und Einsicht hin- und hertaumeln, rettet diesen Kultfilm vor dem Verfall, der doch den Verfall, den politischen und moralischen Niedergang selbst nur allzu deutlich zum Thema macht.
Coppolas linkes und rechtes Dschungelufer
Dabei ist der linke Protest der Studentenbewegung in den 60er und 70er Jahren gegen die Sinnlosigkeit und politische Korruptheit des von den USA übernommenen und erfolglos weiter eskalierten Krieges nur der eine Flügel jenes Bewusstseinsstroms, auf dem Coppolas Agent Captain Willard (Martin Sheen) mit dem Patrouillenboot seinem Geheimauftrag in die Untiefen der Wildnis folgt. Auf dem rechten Ufer der geistigen Landkarte ist die Novelle "Heart of darkness" von Joseph Conrad angesiedelt, einer männerbündlerischen Phantasie von der Allmacht des abtrünnigen weißen Mannes in fernen exotischen Kolonien, in denen er zum rassischen Abgott, zum Standbild einer barbarischen Gegenkultur heranwachsen kann, das der mitteleuropäischen Zivilisation in ihrem Expansionsdrang den faschistischen Zerrspiegel vorhält.
In dieses Bild fügt sich auch Coppolas Bewunderung für des Führers Lieblingsfilmerin, Leni Riefenstahl, sein Applaus für ihre obsessive Kameraarbeit an den Reichsparteitagsfilmen, ihrem Hauptwerk "Olympia", ihrer Leidenschaft für das Südsee-Tauchen und ihr ethnologisches Interesse an der Schönheit sogenannter primitiver Völker. Die Vielfalt der Kameraperspektiven, der "Kult der Körper", die Monumentalisierung der Bewegungen, die Dialektik von historischer Reportage und mythischer Stilisierung, die Assoziationskraft freier Montagen, die die Kunstturmspringer der Schwerkraft entreißen und in "Projektile" verwandeln (Hilmar Hoffmann), - all dies taucht in der Filmsprache Coppolas wieder auf, wenn die Phantom-Jets Palmenwälder mit Napalm versengen, wenn die Hubschrauber-Kavallerie von Colonel Kilgore (Robert Duvall) zum Wagnerschen Walküren-Ritt ihren überfeigen Angriff auf das nordvietnamesische Küstendorf fliegt, um "für einen Kasten Bier" Mensch und Gerät, Kind und Kegel in die Luft zu sprengen, oder wenn Agent Willard aus dem Mekong als schlammgebadeter, neugeborener Wilder, als Riefenstahlsche Nuba, wiederauftaucht, bereit zur Abrechnung mit dem Abgott des Urwalds.
Michael Herrs Rock'n'Roll mitten aus dem Krieg
Dennoch gab es einen, der das linke und das rechte Ufer in dem gemeinsam mit Coppola verfassten Drehbuch zusammenbringen musste und auch konnte: Michael Herr, der große literarische Korrespondent des Vietnamkrieges, der in "Dispatches" mit der nötigen stilistischen Respektlosigkeit des virtuosen Freaks und Junkies nicht über, sondern mitten aus den Vietnam-Krieg, ausgesetzt auf dem Boden, schrieb, einem Krieg, in dem offizielle Verlautbarungen schnell entwertet waren, in dem die Autorität von Politik und Militär im Heimatland und an der fernen Front zunehmend ausgehöhlt wurde.
Ein Krieg, der wie ein billiger Exportartikel in den fernen Osten eingeflogen und dort unter Drogen, mit Sex und fortwährendem Rock'n'Roll geführt wurde. Durch Herrs Polystilistik und seine an Burroughs angelehnten Cuts, durch die wilde Sprache der Marines, die die hohlen Phrasen der Macht und der unkritischen Presse "in die Scheiße" ziehen, wurde die politische Sinnlosigkeit der Vietnam-Operation, die konkrete Verfahrenheit der Lage und die waghalsige Verzweifelung zwischen Luft und Boden zur authentischen Literatur.
Selten ist das projektive Szenario des modernen Krieges so gut getroffen wie in Herrs Buch. Die vermeintliche Ästhetik des Kriegs, das Pathos des Schicksals und die Drohung der Gewalt werden von einer befreienden Komik des Wahnsinns zerrissen. Seine Soldaten, Bildreporter und Korrespondenten begegnen der Aussichtslosigkeit und dem Tod mit entwaffnendem Zynismus und sarkastisch aufbäumender Ironie. Sie sind sich der tragischen Lächerlichkeit ihrer Mission ohne Schutz und Rückhalt nur allzu bewusst. Ohne Herrs treffsichere Sprach- und Figurenzeichnung wäre "Apocalypse Now" in mancher Hinsicht ein pathetisches Machwerk. Literarischer Rock'n'Roll als Gegengift gegen faschistisches Kriegspathos?
Ja und nein. Oder: Jim Morrison und Richard Wagner, Ernüchterung und Leidenschaft sind bei Coppola am Werk. Denn eine wirklich bedeutsame Mission braucht auch ein echtes Ziel. Colonel Kurtz (Marlon Brando), der abtrünnige US-Elitesoldat, der wie eine Vogelspinne im kambodschanischen Dschungel hockt, hat die "offiziellen dilettantischen Methoden" der amerikanischen Streitkräfte hinter sich gelassen. Er hat die Saturiertheit der Wohlstandsnation abgelegt. Und er hat von den verzweifelten Terrorschlägen des nur technologisch unterlegenen Vietcong gelernt. Die selbstmörderische Entschlossenheit der Tunnelkämpfer ist bei ihm zur nihilistischen Selbstvergottung in seinem staatenlosen Schreckensreich gesteigert.
Jenseits von Wahrheit und Lüge
Captain Willard ist nicht der erste Agent, der den Auftrag erhält, den kahlköpfigen Dschungelpoeten Kurz aufzuspüren und zu vernichten. Im Verlauf der Reise wird Willard klar, dass es bei seinem Unternehmen nur vordergründig um die Beseitigung eines Kriminellen geht, vor allem aber um die Auseinandersetzung mit der vielschichtigen Persönlichkeit in einer zerrissenen Epoche. Seine Mission wird, so oder so, dazu dienen, der Öffentlichkeit die Abstrusitäten und Grausamkeiten der amerikanischen Kriegsführung vorzuenthalten. Die lautlose Liquidation von Kurtz würde einen Medien-Skandal weniger bedeuten, einen hochmotivierten und hochdekorierten Täter weniger, aber auch einen Zeugen und Kritiker weniger für das gesamte zivil-militärische Desaster des jungen Weltpolizisten USA.
In Vietnam löst sich das Bild einer klaren Front auf. Die Ästhetik des Kriegs und die Faszination der Gewalt als Verfall und Fäulnis im Dschungel. Auch in Coppolas Film wird der Krieg zu einer abrupten Collage aus Einsätzen und Kulturversatzstücken, die aus der Heimat exportiert wurden und die so absurd wirken, wie der Schaufelraddampfer am Berghang in Herzogs "Fitzcarraldo". Surfen unter Artilleriebeschuss, Wasserski und Sonnenbräunen auf dem Urwaldfluss, Playboy-Häschen-Gogo-Dance auf der abgeschnittenen Dschungelstation, bekiffte Gitarren-Kaskaden von Randy Hansen im Geiste von "Screaming Eagle", Jimmy Hendrix an der infernalisch erleuchteten Do-Long-Brücke - und zwischendurch immer wieder reflexhafte Ausbrüche der Verzweiflung am Menschenmaterial. Wenn die "Offenbarung", die Apokalypse des Kriegs, schon auf dem Weg zum Ziel derart banal-bösartig ausfällt, warum sollte man dann noch dem hochgestimmten Priesterton oder den rationalen Erklärungsversuchen des Colonel Kurtz im Herz der Finsternis Glauben schenken?
Das Neue bestätigt das Alte
Auch die drei neu hinzugekommenen Szenenkomplexe bestätigen die bisherige Ambivalenz des Films zwischen linkem Protest, Sex and Rock'n'Roll und rechtem Pathos: Captain Willards Zwischenstation bei einer Kriegerwitwe auf einer ehemals französischen Plantage nehmen die politischen Erläuterungen aus dem Dossier der Vorgesetzten zu Beginn des Films wieder auf und versorgen den Zuschauer mit einem Exkurs über die Vorgeschichte des US-Vietnamkriegs, Frankreichs Indochina-Politik. Der Opium-Beischlaf Willards mit der Witwe wird zur symbolträchtigen Infektion mit dem Imperialismus des alten Europa.
In der bisherigen Fassung konnten die von der Truppenbetreuung eingeflogenen Playmates nach ihrer entgleisten Urwaldshow den lüsternen GIs gerade noch rechtzeitig durch den Hubschrauberstart entkommen. In einer neu eingefügten Szene geht ihnen der Treibstoff aus. So müssen sich die Schönheiten erst einmal gefallen lassen, dass einem manchmal, nicht nur im Urwald, erst gegen puren wirklichen Sex weitergeholfen wird.
Ob das Politik-Seminar, das Colonel Kurtz seinem Liquidator Willard anhand von Artikeln aus der "Time" hält, wirklich für die Antikriegs-Ideologie des Films einstehen kann, bevor Kurtz wieder von der Schönheit des Horror und Terrors schaurig an zu schwärmen beginnt, mag die geneigte Zuschauerschaft im Kino für sich selbst überprüfen. Aber es ist gut, wenn Willard nun noch mehr widersprüchliche Gesichter seiner Zielperson kennen lernt: den patriotischen Elitesoldaten, den Karrieristen, den liebenden Vater, den Systemkritiker, den Abtrünnigen, den Krieger und Mörder, den Wahnsinnigen, den Lebensmüden, den Schlächter, das Schlachtopfer.
Es sieht danach aus, als ob wir jetzt zwei gelungene Fassungen eines Filmprojekts haben, das noch weitere Sinnebenen und Varianten in sich birgt. Zwei Versionen, die beide autorisiert worden sind und doch noch längst nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen.
Schon der Rohschnitt umfasste fünf Stunden, dazu gab es zum Teil alternative Szenen. Bis heute ist das angeblich definitive Ende ("It's the end, my friend") keineswegs so eindeutig und komplett. Coppola fiel die Abrundung des Endes so schwer, dass es ebenso plausibel wäre, wenn Agent Willard dem per Funk herbeizitierten Feuersturm, in dem Kurtzens Welt versinkt, nicht entkommen wäre. Eine alte Dschungelweisheit fragt: Was tut das schon zur Sache, auf welchem Ufer man stirbt?