Risiken der Mali-Mission ausgeblendet
Trotz anfänglicher Kritik verabschiedeten 87 Prozent der Bundestagsabgeordneten die Beteiligung am Krieg in Mali. Eine Debatte wäre wichtig gewesen
Bis zu 330 Soldaten der Bundeswehr werden sich an den laufenden Militärmissionen westlicher Staaten und ihrer afrikanischen Verbündeten in Mali beteiligen. Über die politischen Lager hinweg hat der Einsatz Zuspruch erhalten. Mit 87 Prozent lag die Zustimmungsrate für die Entsendung deutscher Soldaten in das westafrikanische Land so hoch wie selten zuvor. Bei der Verlängerung des Mandats für den Afghanistaneinsatz Ende Januar hatten sich gerade einmal 74,4 Prozent der Bundestagsabgeordneten ausgesprochen. Dabei könnten westliche Truppen in Mali nach Expertenmeinung schnell in eine ähnliche Lage geraten wie in Afghanistan (Gegenoffensive der Dschihadisten). Und die bestehenden sozialen Probleme des westafrikanischen Landes werden durch die Militarisierung sicher nicht gelöst.
Für die massive Unterstützung durch den Bundestag – nur die Linke votierte gegen den Einsatz – gibt es nach aktuellem Ermessen drei Gründe. Erstens ließen sich die Abgeordneten von Union, SPD, Grünen und FDP von einer starken medialen Kampagne beeinflussen, mit der eine Unterstützung der französischen Truppen eingefordert wurde. Zweitens herrschte und herrscht in den Abgeordnetenbüros die Ansicht vor, dass die Mission in Mali ungefährlich ist, weil sich die deutschen Soldaten hinter der Front bewegen. Und drittens ist das deutliche Votum das Resultat einer sicherheitspolitischen Lobby, die eng mit der Rüstungsindustrie verzahnt ist.
Beispielhaft dafür ist die Intervention des ehemaligen Diplomaten und Organisators der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. Im Februar noch hatte er die Debatte um ein militärisches Engagement Deutschlands angeheizt. Es gehe "um unsere gemeinsame Sicherheit", sagte der ehemalige Diplomat im Gespräch mit dem Spiegel. Frankreich erwarte von Deutschland und anderen EU-Partnern "aktive Solidarität und militärische Unterstützung", so Ischinger, der die zurückhaltende Position der Bundesregierung deutlich kritisierte. Es sei "weniger erfreulich, dass ein Regierungssprecher einen Kampfeinsatz der Bundeswehr kategorisch ausschließt". Wenige Wochen später wurde die deutsche Unterstützung beschlossen.
Folge der westlichen Libyen-Politik
Kaum eine Rolle spielte in der kurzen Debatte die Genese des Konfliktes, der maßgeblich eine Konsequenz der westlichen Intervention in Libyen ist. Nach Gaddafis Sturz im Oktober 2011 hatten Tuareg-Kämpfer der separatistischen Nationalen Bewegung für die Befreiung des Azawad (MNLA) die prall gefüllten Waffendepots Libyens geräumt. Noch im Frühjahr vergangenen Jahres setzten sie zu einer Offensive gegen die malische Zentralmacht in Bamako an. Nun versucht die EU gemeinsam mit den von ihr ausgebildeten und finanzierten Verbündeten der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS den weiteren Zerfall Malis zu verhindern. Das heißt: Die Folgen der Intervention (in Libyen) sollen mit der Intervention (in Mali) bekämpft werden. Dabei mehren sich schon jetzt die Anzeichen für einen bellizistischen Dominoeffekt, einer Ausweitung der Krise auf weitere Staaten der Region also.
Die militärische Eskalation und der Zerfall der staatlichen Ordnung in der Sahelzone sowie in ihren nördlichen Anrainerstaaten sind ein Lehrstück für die Folgen einer interessengeleiteten Interventionspolitik, wie sie von der Europäischen Union zunehmend betrieben wird. Neu ist im Fall Malis allein, dass die westlichen Interventionsmächte die Folgen ihrer eigenen Politik kaum mehr einzudämmen vermögen. Im Norden des Landes wurde die MNLA nach Beginn des bewaffneten Aufstandes für einen eigenen Staat namens Azawad rasend schnell von islamistischen Milizionären übernommen, die der Organisation Al-Qaida des Islamischen Maghreb nahestehen. Die auch von der EU aus unterstützte Separationsbewegung der Tuareg mutierte damit binnen kürzester Zeit zu einer Front zur Errichtung eines islamistischen Gottesstaates. Der Vormarsch dieser rückständigen Kräfte zog in Bamako am 22. März 2012 einen Putsch und eine Destabilisierung der vergleichsweise demokratischen Führung nach sich. Nun also folgt der Einmarsch von EU und ECOWAS.
Neue Politik der vorgelagerten Kriege
Die EU und damit auch Deutschland setzen in Mali auf eine neue Strategie: Während die Beteiligung eigener Truppen möglichst gering bleibt, werden lokale Akteure zur Intervention befähigt (Söldner in Mali). Direkte oder indirekte Militärhilfe geht dabei mit Ausbildungsmissionen einher wie sie die Bundeswehr im Kontext der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) nun in Mali durchführt. Getestet wird das Modell seit 2010 im Fall des Bürgerkriegs in Somalia. Im Zuge der Ausbildungsmission EUTM Somalia bilden Bundeswehrangehörige im benachbarten Uganda Soldaten der Übergangsregierung aus. Bis Ende Februar 2014 kann Deutschland in eben einer solchen "European Union Training Mission" nun bis zu 180 Militärs nach Mali entsenden. Zur Unterstützung im Lufttransport für die afrikanische Kampfmission AFISMA können noch einmal bis zu 150 Bundeswehrsoldaten mobilisiert werden.
Zu der indirekten Kriegsführung in Mali gehört, dass entwicklungspolitische Strategien in diese dieser neuen Art von Sicherheitspolitik eingebunden werden. Die unabhängige Informationsstelle Militarisierung mit Sitz in Tübingen weist darauf hin, dass ein offenbar erheblicher Teil der EU-Mittel für den ECOWAS-AFISMA-Einsatz mit Geldern des Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) bestritten wird. Deutschland trage zu diesem Programm gut ein Fünftel bei, heißt es in der Analyse, die auch auf die Folgekonflikte hinweist. So habe die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die Position der Bundesregierung verurteilt, militärische Außenpolitik und humanitäre Hilfe zu verbinden. "Wir wenden uns entschieden gegen diesen politischen Missbrauch der humanitären Hilfe", sagte dazu der Geschäftsführer der Ärzte ohne Grenzen, Frank Dörner. Das Ansinnen gefährde de Arbeit der Organisation "und damit Menschenleben".
Mangelnde Debatte über soziale Gründe der Krise
Angesichts der unklaren Perspektiven des deutschen Engagements und trotz der knappen Zeit für eine hinreichende Debatte wurden durchaus auch innerhalb von Bundeswehr- und Regierungskreisen kritische Stimmen laut. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, geht von einer Eskalation des Konfliktes aus. Im NDR-Gespräch sagte er:
Es ist zweifelhaft, ob die malische Armee überhaupt in der Lage ist, den Norden zurückzuerobern. Und es ist möglich, dass sie sich dann umdrehen, wenn wir dort bereits involviert sind, und wir dann aufgefordert werden, uns aktiv in die Kampfhandlungen einzuschalten.
Auch die Sicherheitsexpertin der FDP-Fraktion im Bundestag, Elke Hoff, forderte "definierte Ziele und (eine) Exit-Strategie" vor der Truppenentsendung nach Mali. Und die regierungsnahe Stiftung Wissenschaft und Politik meint, die derzeitige Politik gegenüber Mali offenbare "die Gefahren einer weiteren Militarisierung des internationalen Kampfes gegen den Terrorismus und das Fehlen einer weitsichtigen Afrika-Politik".
Gemein haben diese Diskussionsbeiträge das Ausblenden der sozialen Krisenursachen. "Der Westen ist der Hauptverantwortliche für diese fürchterliche Situation", hatte unmittelbar nach der Intervention französischer Truppen in Mali im Interview mit Telepolis Jean Ziegler, Afrika-Kenner und ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, gesagt (Mali, das Militär und der Hunger). Mali sei heute eines der ärmsten Länder der Welt, aber es habe auch unglaubliche Bodenschätze, darunter Uran und Gold, so Ziegler. "Seit der Kolonisierung ist Mali in der absurden Situation, dass es als großes, mächtiges Bauernland Hunger erleidet", sagte er. Obwohl es eine lange landwirtschaftliche Tradition gebe, habe Mali im vergangenen Jahr 71 Prozent seiner Nahrungsmittel importieren müssen. Die Regierung habe wegen der Auslandsverschuldung keine Investitionen in die Subsistenzlandwirtschaft tätigen können, kritisierte Ziegler.
Der nun begonnene Krieg gegen den Terror in Mali grenzt diese sozialen Probleme nicht nur aus. Er versucht auch die humanitären Akteure zu vereinnahmen, die Erfolge auf diesem Gebiet erreichen könnte. Sicherheitsexperten gehen daher von einer düsteren Prognose aus. Sollte die Politik nicht rasch geändert werden, würde Mali zu einem neuen Afghanistan, fürchtet der Vorsitzende des Stockholmer Institutes für Friedensforschung (SIPRI). Die gleichen Fehler würden in Afrika wiederholt.