Gegenoffensive der Dschihadisten
Die "neue Front im Antiterrorkrieg" in der Sahelzone: Die französische Intervention am Kriegsschauplatz Mali ist in eine neue Phase eingetreten
Wird Deutschland bald an vorderster Front dabei sein? Eine Beteiligung an Kampfhandlungen wird zwar pro forma vom Votum des Bundestags ausgeschlossen, wobei eine Verwicklung in Kämpfe in einem Kriegsgebiet natürlich nie unmöglich ist. Das deutsche Parlament erteilte am 28. Februar - nur die Linkspartei stimmte dagegen - grünes Licht dafür, dass die Bundeswehr für die Dauer eines Jahres Frankreich im westafrikanischen Mali unterstützen kann. Bis zu 330 Männer und Frauen können dafür mobilisiert werden.
Bis zu 150 Angehörige der Bundeswehr sollen demnach am Transport vor allem französischer Truppen teilnehmen, ferner sollen bis zu 40 Ausbilder und 40 Sanitätssoldaten der malischen Armee zur Seite stehen. Nach dem französischen Kontingent von momentan 4.000 Militärs wäre das deutsche nach derzeitigem Stand das zweitstärkste aus der Europäischen Union.
Unterdessen ist die französische Intervention am Kriegsschauplatz Mali in eine neue Phase eingetreten. In den ersten drei Wochen der Intervention hatten kaum Kämpfe stattgefunden, da die Dschihadisten sich weitgehend widerstandslos aus den Städten Malis zurückzogen, wohl um sich auf Guerillaaktionen "hinter der Front" vorzubereiten. Ab der Gegenoffensive der Dschihadisten in Gao am zweiten Februarwochenende begann sich dies jedoch radikal zu ändern.
Im Nordosten des Landes spielen sich seit Anfang März extrem heftige Kämpfe ab: Am Samstag, den 02. März, wurde der dritte französische Soldat seit Beginn der Intervention in der zweiten Januarwoche getötet, am darauffolgenden Mittwoch bereits der vierte. Auf Seiten der islamistischen Kämpfer sind laut Angaben des französischen Verteidigungsministerium "mehrere hundert Tote" zu verzeichnen.
Mit zweifelhafter Wahrscheinlichkeit starben auch zwei der Chefs der Dschihadisten im Kampf: einer der Anführer von Al-Qaida im Land des islamischen Maghreb (AQMI), Abdelhamid Abu Zeid, sowie Mokhtar Belmokhtar. Letzterer führte eine Abspaltung von AQMI an und zeichnete für die Geiselnahme auf einem Erdgasfeld im algerischen In Amenas - vom 16. bis 19. Januar dieses Jahres, mit blutigem Ausgang (Mindestens 80 Menschen wurden getötet) - verantwortlich. Erstmals hatte er vor zehn Jahren, 2003, durch die Entführung von 52 Touristen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich von sich reden gemacht. Bislang weigerte sich Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian jedoch, den Tod der beiden islamistischen Anführer zu bestätigen.
Dass sie Jagd auf die Anführer der Terroristen machen würden, hatten Anfang März die Truppen aus dem Tschad angekündigt, die mit 2.000 Mann im Nordosten Malis kämpfen und - nach der französischen Armee - das stärkste militärische Kontingent überhaupt auf dem Kriegsschauplatz stellen. Nach wie vor herrscht zu Anfang dieser Woche Unsicherheit darüber, ob die beiden Anführer wirklich tot sind. Was Mokhtar Belmokhtar betrifft, wird dies verstärkt in Zweifel gezogen. Nunmehr versuchen französische Militärs, einem Wahrheitsbeweis näher zu kommen, indem sie DNA-Proben an den Leichen getöteter Islamisten entnehmen. Bislang konnte jedoch keine Gewissheit hergestellt werden.
Dschihadisten made in France
Eine andere Frage, die nunmehr aufgeworfen ist, ist jene der Dschihadisten mit französischer Staatsbürgerschaft. Am vergangenen Freitag wurde ein aus der französischen Alpenregion Haute-Savoie stammender Dschihadist, ein Franzose mit Migrationshintergrund, den Medien vorgestellt. Im selben Moment wurde ein anderer Kämpfer "made in France", der bereits im November 2012 vor Ort durch die malischen Behörden aufgegriffen worden war, nach Frankreich überstellt.
Der französische Verteidigungsminister sprach daraufhin von einer "Seilschaft", die Dschihadisten aus Frankreich in die Sahelzone bringe. Er wurde jedoch umgehend durch Staatspräsident François Hollande korrigiert, der richtigstellte, es gebe nur "eine kleine Zahl von verlorenen Landsleuten", die sich nach Mali verirrt hätten. Ihre Zahl scheint tatsächlich geringfügig zu sein. Derzeit wird zwar eine zweistellige Zahl von französischen Dschihadisten im "Einsatz" auf ausländischen Kriegsschauplätzen vermutet, die meisten von ihnen zog es jedoch in jüngerer Zeit eher nach Syrien.
Krieg ohne Bilder und zuverlässige Informationen
Französische Medien beklagen zunehmend einen Krieg ohne Bilder und ohne zuverlässige Informationen oder "das verstörende Schweigen der französischen Behörden". Medien sind vor Ort nach wie vor starken Beschränkungen unterworfen und können nicht im Ansatz unabhängig berichten.
Einiges ist also im Augenblick ungewiss. Dies gilt auch für den Abzugszeitpunkt der französischen Truppen, der mal mit April dieses Jahres, mal eher mit kommendem Juli angegeben wird. Im April soll theoretisch eine UN-Truppe als Ablösung eintreffen, was jedoch noch reichlich unsicher ist, auch wenn 6.000 Soldaten verschiedener afrikanischer Armeen mittlerweile dafür bereit stehen. Und vor dem 31. Juli sollen allgemeine Wahlen in Mali stattfinden, was jedoch schwer - jedenfalls im gesamten Land - durchzuführen ist, falls die Kriegssituation bis dahin nicht beendet ist.
In dieser undurchsichtigen Gesamtsituation versuchen einige Akteure, durch ihre Informationspolitik eigene Sonderinteressen zu verfolgen. Dies gilt auch für das tschadische Regime, das durch seine "vorschnelle" Ankündigung des Todes der beiden jihadistischen Anführer den "Zorn" der französischen Staatsspitze erregt haben soll.
Tschadisches Regime: der Bock als Gärtner?
Die sehr starke Rolle, die gerade das tschadische Regime derzeit in der Sahelzone spielt, zählt dabei zu den besonders heiklen und kritischen Punkten der Intervention. Offiziell wird diese in Frankreich - und auch in Mali - ja dadurch begründet, dass die Dschihadisten in den von ihnen kontrollierten Zonen die dort wohnenden Menschen unterdrücken, was im Übrigen auch zutrifft.
In punkto Respekt der Menschenrechte ist das tschadische Regime unter Präsident Idriss Déby Itno jedoch eine der allerletzten Adressen auf dem afrikanischen Kontinent. Dessen Regime wurde wiederholt durch Menschenrechtsorganisationen kritisiert, etwa wegen Übergriffen seiner Armee auf die Zivilbevölkerung in den Grenzgebieten. Oder wegen der massenhaften Rekrutierung von Kindersoldaten - welche insofern auch vom Regime selbst nicht mehr als Geheimnis behandelt wird, als die Behörden im Jahr 2007 ein Abkommen mit der UNICEF über die Eingliederung früherer Kindersoldaten ins Zivilleben schlossen.
Ein anderes, sehr "humanistisches" Regime in Afrika ist jenes von Congro-Brazzaville unter Präsident Denis Sassou Ngesseou: Er kam 1997 nach einem Putsch und einem extrem blutigen Bürgerkrieg, mit Massakern an die Zivilbevölkerung, an die Macht. Seine Armee, die wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen im Gespräch ist, transportierte seit Januar 2013 die tschadischen Truppen an die Front in Nordmali.
Es ist damit zu rechnen, dass diese traditionellen Verbündeten Frankreichs in seiner postkolonialen Einflusszone sich - im Gegenzug für ihre "Hilfe" in Mali - günstige politische Bedingungen aushandelten. Etwa, um künftig mit Vorwürfen betreffend Menschenrechtsverletzungen in Ruhe gelassen zu werden...
Ein weiterer, sehr heikler Punkt ist die historische Verbindungslinie zu einer früheren französischen Intervention mit, gelinde ausgedrückt, negativem Ausgang. Die Opération Serval (so lautet der militärische Codename für die Intervention in Mali) wird nämlich durch Brigadegeneral Grégoire de Saint-Quentin geleitet. De Saint-Quentin war von 1992 bis 1994 als Militärberater in Rwanda, wo das damalige - durch Frankreich intensive - unterstützte Regime intensive Vorbereitungen für den Völkermord an den Tutsi von April bis Juni 1994 traf. Französische Militärs und politische Entscheidungsträger sind in diesen jüngsten Genozid der Geschichte tief verwickelt.
Dschihadistisches Problembewusstsein?
Massive Menschenrechtsverletzungen müssen sich aber natürlich auch die dschihadistischen Gruppen vorwerfen lassen. Einer der Anführer von AQMI soll dies sogar als Problem erkannt haben. Sofern ein handschriftlich verfasstes Dokument echt ist, das durch die Pariser Tageszeitung Libération und den französischen Radiosender RFI Ende Februar d.J. im Kampfgebiet entdeckt wurde und dem AQMI-Chef Abdelmalek Droukdel zugeschrieben wird, so moniert dieser:
Die Scharia sieht für Ehebruch die Peitsche vor. Aber wir müssen die Bevölkerung erst erziehen und sensibilisieren, bevor wir mit der Verhängung solcher Strafen beginnen können. (...) Ihr habt einen schweren Fehler begangen, die Bevölkerung droht sich gegen uns zu wenden.
Längerfristig dürfte die Strategie der Dschihadisten - die zweifellos durch die Schnelligkeit des französischen Vormarschs überrascht wurden - darauf hinauslaufen, die ausländischen Truppen durch eine Guerillastrategie ähnlich jener der Taliban in Afghanistan sich "festbeißen" zu lassen. Und sich selbst dabei der Bevölkerung, statt als verhasste Unterdrücker, als "Widerständler gegen eine ausländische Invasion" zu präsentieren. Es ist jedoch gut möglich, dass dies nicht aufgeht. Denn es bestehen wichtigen Differenz zur Lage in Afghanistan.
Einer dieser Unterschiede sit darin zu sehen, dass die meist aus der Bevölkerungsgruppe der Paschtunen stammenden Taliban aus einer der größeren Komponenten der afghanischen Gesellschaft stammen. Zudem waren sie zumindest in der allerersten Phase ihres Auftauchens, von 1994 bis 1996, von einem Teil der afghanischen Gesellschaft als kleineres Übel wahrgenommen worden. Und zwar im Vergleich zu den Warlords der damaligen Mudschadehin - und späteren Nordallianz -, die zuvor die sowjetische Präsenz (1979 bis 1989) bekämpft hatten, und danach das Land in Kämpfen untereinander in Schutt und Asche legten. Dabei kam es zu zahlreichen Vergewaltigungen.
Die Taliban, die selbige als Verstöße gegen die Scharia ablehnten, schwangen sich zu Verteidigern der kompromisslosen Durchsetzung allgemeingültiger Regeln im Namen der Scharia, statt der unter den Warlords herrschenden Willkürherrschaft, auf. Auch ihre Herrschaft mit der Peitsche wurde später von vielen Menschen in Afghanistan als Schrecken erlebt. Doch die Herrschaft der Dschihadisten in Teilen Malis stieß von Anfang an auf viel stärkere Widerstände.
Ihrer Eroberung in Nordmali gingen auch nicht zwanzig Jahre Krieg und allgemeine Verrohung voraus, wie es in Afghanistan seit 1979 der Fall war. Ferner spielt die ethnische Differenz eine wichtige Rolle: In den Augen der Bevölkerung Südmalis werden die Dschihadisten oft als ein Problem von "Hellhäutigen", also Arabern oder Tamaschek - malischen Tuareg - wahrgenommen. Auch wenn die Realität komplexer ist: Die Gruppe "Ansar ed-Dine" etwa besteht aus dunkelhäutigen Maliern.
Und selbst die arabischen Dschihadisten in Nordmali, wo sie immerhin seit 2003 präsent sind, haben durch Einheiraten auf lokaler Ebene Bündnisse mit Teilen der örtlichen Gesellschaft geschlossen. Aufgrund der "ethnisierten" Wahrnehmung kam es jedoch seit dem Beginn der Offensive gegen die Dschihadisten im Januar wiederholt zu Übergriffen und Racheakten auf Tuareg oder arabischstämmige Malier, denen ihr Hab und Gut weggenommen wurde.
Wiedereinsetzung der alten politischen Kräfte
In Südmali setzen unterdessen sowohl Frankreich als auch die USA - welche die Intervention unterstützen, aber vordergründig ein direktes Eingreifen vermeiden möchten - auf eine Wiedereinsetzung der alten politischen Kräfte, die sich zuvor politisch diskreditiert hatten. Ihre mafiösen Interessen in Nordmali, wo die internationale "Kokain-Route" (von Südamerika über die westafrikanischen Küstenstaaten wie Guinea und Guinea-Bissau, durch die Sahelzone in den Mittelmeerraum) verläuft, trugen dazu bei, dass die malische Regierung nicht im Norden militärisch eingreifen wollte, und die Jihadisten sich in aller Ruhe installieren konnten.
Dies hat die alte politische Klasse in Südmali massiv diskreditiert. Ein Putsch junger Offiziere am 22. März 2012 war deswegen in relevanten Teilen der Bevölkerung relativ populär, er beschleunigte die politische Krise jedoch noch.
Allerdings sollen diese Kräfte der alten Oligarchie nun in naher Zukunft durch formell einwandfreie Wahlen neu legitimiert werden, worauf besonders die US-Administration insistierte - sie machte es explizit zur Bedingung für logistische Hilfe für Frankreich in Mali. Dort wurde nun ein allgemeiner Wahltermin für sowohl Präsidentschafts- als auch Parlamentswahlen am 07. Juli 2013 angesetzt. Die Bevölkerung wartet jedoch ab und hegt eine starke Skepsis gegenüber der alten Oligarchie. Aber auch die Opposition ist eher schlecht aufgestellt.
Die ex-maoistische Partei SADI führt die linksnationalistischen Oppositionskräfte an, die für eine Vertreibung der Dschihadisten aus Nordmali, aber gegen eine internationale Intervention eintreten und den Putsch vom März 2012 eher unterstützten - was sie jedoch selbst in Misskredit brachte. Ihr Parteichef Oumar Mariko wurde Mitte Februar 2013 für circa zwei Tage festgenommen, und danach freigelassen.
Er hat sich jedoch in Teilen der Gesellschaft politisch desavouiert oder jedenfalls in die Kritik gebracht. Einige Monate vor dem libyschen Bürgerkrieg und der NATO-Intervention (von Februar/März 2011 bis August 2011) etwa hatte er in einer Rede in Tripolis den Umgang Mu’ammar Al-Qadhafis (Gaddafis) mit schwarzafrikanischen Migranten sehr scharf kritisiert, was viele Malier zur Ausreise aus Libyen motivierte. Seine Partei SADI kritisierte etwa 2009 scharf die libysche Abschiebepolitik gegenüber subsaharischen Afrikaner.
Aber im Krieg 2011 schlug er sich, scheinbar unkritisch, auf die Seite Al-Gaddafis. Diese und andere Kurswechsel haben ihm politisch geschadet. Auch seine Unterstützung für den, von den unteren - und weniger in die strukturelle Korruption eingebundenen - Rängen der Armee ausgehenden, Putsch junger Offiziere vom 22. März 2012 blieb in der malischen Gesellschaft umstritten.
Die Opposition dürfte derzeit deutlich zu schwach sein, um die Oligarchie politisch zu gefährden. Wahrscheinlicher ist, dass der Einfluss des "Hohen Islamrats" HCI - der die Gewalt der Jihadisten ablehnt, aber eine Islamisierung der Innenpolitik mit anderen Mitteln anstrebt - künftig wachsen wird.