Rissige Atomkraftwerke
Die Energie- und Klimawochenschau: Von Materialermüdung, Megadürren und einem alternativen Energiegipfel
Die Probleme mit den Rissen in zwei belgischen Atomkraftwerken seien schlimmer als bisher angenommen berichtet die belgische Nachrichtenplattform Het Laatste Nieuws. Die Atomaufsichtsbehörde FANC gehe von deutlich mehr Rissen als bisher gedacht aus und halte eine Untersuchung in allen weltweit operierenden AKW für notwendig.
Konkret geht es um die Reaktoren Doel 3 und Tihange 2, die derzeit stillstehen, was erhebliche Probleme für die belgische Stromversorgung mit sich bringt. An deren Druckbehältern, dem Kernstück der Anlagen in dem die nukleare Kettenreaktion Wasser erhitzt, waren schon 2012 feine Haarrisse entdeckt worden. Nun hat eine neue, genauere Untersuchung ergeben, dass es sich in Doel 3 nicht um 8.000, wie bisher angenommen, sondern um 13.000 Risse handelt. In Tihange 2 wurden nun statt 2.000 3.000 Risse gezählt.
Während Betreiber Elactrabel bezweifelt, dass die Risse weiter wachsen könnten, sollten die Reaktoren wie bisher im Juli wieder in Betrieb gehen, würden sich einige Fachleute eher wundern, wenn dies nicht eintreffen würde. Het Laatste Nieuws zitiert den Kernkraftspezialisten Digby Macdonald von der Universität Berkeley, Kalifornien, USA. Demnach stelle vor allem der bei großer Hitze bei gleichzeitig großem Druck im Wasser freigesetzte Wasserstoff eine Gefahr dar. Der hohe Gasdruck könne die Risse vergrößern und zum Brechen des Druckbehälters führen.
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace schließt sich den Forderungen nach weltweiter Untersuchung an. "Wie so oft bei Atomkraftwerken wurde die Tragweite des Problems offensichtlich verkannt", meint Heinz Smital, Kernphysiker und Atomexperte von Greenpeace. "Es ist dringend notwendig, die Risse im Metall ernster zu nehmen als bisher und weltweit umfangreiche Untersuchungen durchzuführen."
FANC-Chef Bens hat derweil seine Kollegen in den anderen europäischen Ländern informiert, heißt es in dem oben zitierten Pressebericht. Demnach sind nun auch die hiesigen Behörden auf dem offiziellen Weg über die Risiken der Altanlagen in Kenntnis gesetzt. Wenn es sich tatsächlich nicht um einen Materialfehler, sondern zum Beispiel um altersbedingte Materialermüdung handelt, wie vor allem der Betreiber lange angenommen hat, gäbe es tatsächlich hierzulande jede Menge Anlass zur Sorge.
Der Reaktordruckbehälter ist eine Art geschlossener Kessel, in dem die Brennstäbe vollständig von Wasser umgeben sind. Dieses wird durch die nukleare Kettenreaktion erhitzt, wobei es ständig aus dem Druckbehälter abgeführt und gekühlt wird. Die Wärmeenergie wird dabei zum Teil auf einen sekundären Wasserkreislauf übertragen, der wiederum Turbinen antreibt und somit elektrischen Strom erzeugt. Im Primärkreislauf wird derweil das Wasser weiter herunter gekühlt und schließlich wieder in den Druckbehälter gepumpt.
Der Primärkreislauf dient damit vor allem auch der Kühlung der Brennstäbe. Diese fiele aus, sobald der Druckbehälter bricht und das Wasser unkontrolliert austritt. Genau das ist vor knapp vier Jahren im japanischen Fukushima passiert. Versagt die Kühlung der Brennelemente im Betrieb, dann kann die Zerfallswärme der radioaktiven Spaltprodukte selbst dann noch ausreichen, eine Kernschmelze herbei zu führen, wenn die Kettenreaktion noch unterbrochen werden kann.
Electrabel hatte nach dem ersten Bekanntwerden der Haarrisse vehement darauf bestanden, dass es sich nicht um betriebsbedingte Schäden handele, sondern diese seit der Herstellung in 70ern als Materialfehler vorhanden seien. Zwischenzeitlichen Studien der Herstellerunterlagen durch die Atomaufsicht fanden jedoch nichts, was diese Hypothese unterstützen würde. Eine naheliegende Vermutung ist also, dass die Haarrisse durch den hohen Druck und vielleicht auch durch Materialermüdung durch die ionisierende radioaktive Strahlung verursacht wurden. Sollte das tatsächlich der Fall sein, wäre die logische Folgerung, dass das Risiko eines folgenschweren Unfalls mit zunehmendem Alter wächst - und zwar nicht linear sondern schneller. Die hierzulande noch laufenden AKW haben ein Durchschnittsalter von rund 29 Jahren.
Erhöhte Gefahr von Dürren
Derweil leidet US-Bundesstaat Kalifornien seit knapp vier Jahren unter einer Dürre. Auch in den Nachbarstaaten ist die Lage angespannt. Wissenschaftler sprechen bereits von einer Megadürre. Einige ärmere Kommunen sind inzwischen auf Wasserlieferungen von auswärts angewiesen, und auch dieser Winter hat bisher in den Bergen zu wenig Schnee gebracht, was für Frühjahr und Sommer nichts Gutes verheißt. Wie in vielen Regionen der Erde sind auch in Kalifornien die Schneekuppen der Berge das Wasserreservoir für die wärmere Jahreszeit. Hält die Dürre noch lange an, wird Kaliforniens Landwirtschaft, die für die Versorgung der USA eine wichtige Rolle spielt, erheblichen Schaden nehmen.
Historisch gesehen sind Dürren im Südwesten, Westen, Mittleren Westen der USA nichts Neues. Verschiedene präkolumbianische Kulturen fielen ihnen in den Jahrhunderten vor dem Beginn der europäischen Eroberung zum Opfer. Große Städte mussten seinerzeit aufgegeben werden.
Eine neue Studie US-amerikanischer Wissenschaftler hat nun gezeigt, dass mit einer zunehmenden globalen Erwärmung die Wahrscheinlichkeit und Schwere extremer Dürreperioden in den besagten Regionen in den nächsten Jahrzehnten zunehmen wird. Die drei Autoren haben die Rekonstruktion der Dürren des vergangenen Jahrtausends mit Projektion aus 17 verschiedenen aktuellen Klimamodellen verglichen, die mit unterschiedlichen Parametrisierungen der Bodenfeuchte arbeiten. Trotz der großen Bandbreite der Modelle ergab sich in nahezu allen Fällen, dass schon in moderaten und erst recht in hohen Emissionsszenarien die Bedingungen im Westen und Südwesten der USA deutlich trockener als selbst in den Zeiten der besonders schweren Dürren zwischen 1100 und 1300 sein werden.
In den USA spricht man bei solchen Ereignissen von Megadürren. Dabei geht es nicht nur um ein paar Jahre mit zu wenig Niederschlag, sondern um Jahrzehnte, in denen im zumindest im Sommer heißen Klima vielleicht nur 20 Prozent oder weniger des sonst üblichen Niederschlags fällt. Hinzu kommt bei steigenden Temperaturen eine stärkere Verdunstung, was das Problem zusätzlich verstärkt. Die Folgen sind ein dramatisches Absinken des Grundwasserspiegels, vertrocknen der Vegetation und verheerende Busch- und Waldbrände.
Wie weiter mit der Energiewende?
Hierzulande fragt man sich derweil, wie es mit der Energiewende weiter geht. Vergangene Woche hatte die Klima-Allianz zum 5. Alternativen Energiegipfel nach Berlin geladen, um genau darüber zu beratschlagen. Geladen waren unter anderem Vertreter der Gewerkschaften und Umweltverbände sowie von Menschenrechtsorganisationen und Verbänden aus der Entwicklungszusammenarbeit wie Brot für die Welt. Wichtiges Thema war offensichtlich, wie die Bürgerbeteiligung trotz der erschwerten Bedingungen unter dem neuen Erneuerbare-Energiengesetz weiter gewährleistet werden kann. Auf der Plattform Klimaretter findet sich ein interessanter Konferenzbericht. Demnach fordert der DGB eine Abgabe auf Vermögen von über einer Million Euro in Höhe von drei Prozent. Die Hälfte der auf diesem Wege generierten Einnahmen soll nach den Vorstellungen der Gewerkschafter in die Energiewende fließen. Das könnten rund 130 Milliarden Euro sein.
Wer meint, dass das viel, vielleicht gar zu viel Geld sei, sollte sich daran erinnern, dass in den nächsten sieben Jahren nicht nur die verbleibenden neun Atomkraftwerke ersetzt werden müssen, sondern bis zum Ende des nächsten Jahrzehnts auch der größere Teil des fossilen Kraftwerkparks aus Altersgründen vom Netz gehen muss. Ersatz wird also auf jeden Fall her müssen und mit den drei oder vier Cent, die der Strom derzeit an der Börse einbringt, sind weder neue Windkraft- oder Solaranlagen zu finanzieren, noch neue Kohle- oder Gaskraftwerke, wie sie von der bayerischen Landesregierung seit neuestem favorisiert werden.
Dirk Heilmann, Chefökonom des Handelsblatt Research Institute, hat zur Finanzierung einen anderen Vorschlag: Er schlägt vor, die Mineralölsteuer europaweit um zehn Prozent anzuheben. Dadurch seien jährlich 25 Milliarden Euro zu mobilisieren. Das ließe sich noch etwas verfeinern, wie Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin vorschlug, indem diese Steuer in Zeiten eines niedrigen Ölpreises höher ausfallen und bei dessen Verteuerung dafür abgesenkt werden könnte.
Aber nicht alles an der Energiewende ist eine Frage des Kapitals, das für Investitionen mobilisiert werden kann. Manches am neuen EEG läuft eher darauf hinaus, Kapital fernzuhalten, zumindest, sofern es sich nicht schön geballt in der Hand großer Konzerne und Fonds befindet. Die Bundesregierung wurde mit der letzten EEG-Novelle ermächtigt, wichtige Weichenstellungen auf dem Verordnungsweges vorzunehmen. Der Streit um die Energiewende, ihr künftiges Tempo und ihre Ausrichtung ist also noch lange nicht ausgestanden.