Ritalin & Co.: Niederländische Regierung will gegen Gehirndoping vorgehen
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Zweckentfremdung von Medikamenten sei unter Studierenden besorgniserregend. Gefährliche Entwicklung oder doch nur der nächste Hype? Wofür werden die Aufputschmittel wirklich verwendet?
"Welcher Student liebt kein Ritalin? Stimulanziengebrauch erschreckend hoch!" Und: "Studierende müssen damit aufhören, Ritalin als Studierpille zu verwenden.".
Mit diesen Überschriften berichtete unsere (unabhängige) Groninger Universitätszeitung im März beziehungsweise November 2021 übers Gehirndoping. Nicht weniger als 16 Prozent der Erstsemester nähmen Methylphenidat, den Wirkstoff im ADHS-Medikament Ritalin. Was ist dran an der Behauptung?
Die Regierung schreitet ein
Im November wendete sich dann sogar der Staatssekretär des niederländischen Gesundheitsministeriums, Paul Blokhuis, mit einem Brandbrief an das Parlament: Der zweckentfremdete Medikamentenkonsum sei ein dauerhaftes und wachsendes Problem. Spätestens zum März 2022 sollen neue Forschungsergebnisse vorliegen. Das klingt nach großer Dringlichkeit.
Der Spitzenpolitiker erklärt: "Solche Medikamente werden, vor allem in stressigen Perioden, zur Leistungssteigerung oder Erhöhung der Konzentration verwendet. Das ist eine unerwünschte Situation." Oha. "Ich", fährt er fort, "habe daher damit angefangen, eine Reihe von Maßnahmen in Gang zu setzen, um die Verwendung solcher Mittel einzuschränken." Oh nein!
Der Brief zitiert dann – ebenso wie die Artikel aus der Universitätszeitung – eine neue Studie meines Kollegen Anselm Fuermaier. (Wir arbeiten in getrennten Abteilungen und haben noch nie zusammen geforscht.) Anselm untersucht seit vielen Jahren die Aufmerksamkeits-/Hyperaktivitätsstörung ADHS und hat sich intensiv mit der Frage beschäftigt, ob man die Symptome dieser psychischen Störung vortäuschen kann.
Die Antworten von 1.071 Studierenden unserer Uni, genauer gesagt unserer Fakultät, sollen hergeben, dass die jungen Leute heute Ritalin & Co. "lieben". Ob die Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums diese angebliche Schlussfolgerung selbst gezogen oder aus unserer Uni-Zeitung abgeschrieben haben, kann ich nicht sagen. Aber ich kann mir die Daten anschauen.
Verzerrte Darstellung
Und tatsächlich haben 170 der 1.071 Studierenden geantwortet, mindestens einmal im Leben Stimulanzien wie Ritalin ohne Rezept genommen zu haben. Daher kommen die genannten 16 Prozent, wenn man aufrundet.
Schaut man aber genauer hin, dann fällt einem Folgendes auf: Nur ein Prozent der Befragten gab an, das regelmäßig zu tun. 58 Prozent tun das laut eigenen Angaben ab und zu. Das bezieht sich, wohlgemerkt, auf die 170, nicht auf die 1.071 Befragten.
Mit anderen Worten: Von den 1.071 (nicht-repräsentativ) antwortenden Studierenden sind ganze zwei Personen (also nur 0,2 Prozent!) regelmäßige Konsumenten von stimulierenden Medikamenten, ohne Rezept. Die Schlagzeilen, die manche Journalisten oder Staatsbeamte daraus machen, habe ich oben zitiert.
Ich forsche nun schon seit 2005 zum Phänomen Gehirndoping. 2006 entschied ich mich dagegen, darüber eine Doktorarbeit zu schreiben, weil ich nach einer ersten Sichtung der pharmakologischen Studien von einem unbegründeten Hype ausging. Nun sind wir schon unvorstellbare 16 Jahre weiter. Wie die Medien das Phänomen zitieren, habe ich seitdem immer wieder diskutiert.
Zu den dargelegten Interpretationsproblemen kommt ein Weiteres hinzu: Aus welchen Gründen nehmen die Menschen denn solche Mittel? Auch das hat Anselm Fuermaier erhoben: Rund 60 Prozent taten es "zum Spaß", etwas weniger in einem "akademischen Kontext".
Damit ist die Schlussfolgerung in der Uni-Zeitung und des Staatssekretärs also schon doppelt falsch. (Wortwörtlich schreibt Letzterer: "So hat Forschung der Universität Groningen ergeben, dass 16 Prozent der 1.071 befragten Studenten ohne Rezept das Medikament Ritalin zum Studieren verwendet.")
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