Robert Habecks Kotau nach rechts
Nicht seine Äußerungen in den Videos waren falsch, sondern seine Distanzierung davon
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck wurde in den letzten Monaten als Siegertyp vermarktet, der seine Partei zum Erfolg führen wird. Nun steht Habeck im Mittelpunkt eines Streits, bei dem noch offen ist, ob es für ihn ein Erfolg wird.
Neigt sich die Erfolgskurve, könnte Habeck dafür verantwortlich gemacht werden. Nun wird jetzt manchmal heute schon so getan, als würde sich Habeck aus der Politik zurückziehen. Dabei hat er sich nur von Twitter und Facebook verabschiedet. Zudem verknüpft Habeck grünentypisch seinen Rückzug mit Zerknirschung und Selbstkritik.
Gestern Nachmittag hatte der Landesverband Thüringen ein kurzes Video hochgeladen, das vor Wochen auf dem Bundesparteitag im November aufgenommen wurde. Im Kern rufe ich in diesem Video dazu auf, die Thüringer Grünen im Wahlkampf zu unterstützen. Solche Videos, die über Twitter verbreitet werden und so in der digitalen Welt wirken sollen, hatte ich zuvor auch für die Brandenburger und Sächsischen Grünen gesprochen, jedes Mal mit drei bis sechs Anläufen, damit sie genug Material zur Auswahl hatten. Gesendet wurde jetzt ein Video, das so klang, als würde ich Thüringern absprechen, weltoffen und demokratisch zu sein. Was ich natürlich null tue. Ich war so oft in dem Land und habe so viele Reisen und Veranstaltungen gemacht, dass ich nicht den Hauch eines Zweifels daran lassen möchte, welch erfolgreichen Weg es eingeschlagen hat.
Robert Habeck
Habeck hat im Video nichts Falsches gesagt
Tatsächlich hat Habeck in dem Video nichts Falsches gesagt, allerdings sind seine Aussagen sicher nicht förderlich für eine Partei, die Volkspartei sein will. Wenn Habeck im Video unterstellt, dass Thüringen in Teilen der Gesellschaft nicht weltoffen ist, würden dem viele, die in außerparlamentarischen linken Zusammenhängen aktiv sind, zustimmen.
Es gibt dort, wie in vielen anderen Regionen, außerhalb der großen Städte, Orte, an denen Migranten und gesellschaftliche Minderheiten nicht willkommen sind. Wenn dann sofort darauf verwiesen wird, dass die Grünen Teil der Regierungskoalition in Thüringen sind, wird bewusst, Staat und Gesellschaft in eins gesetzt, was ein autoritäres Staatsverständnis impliziert. Aber natürlich kann sich ein grüner Wahlkämpfer nicht so verteidigen, weil ihm das als Volksbeschimpfung ausgelegt würde und das bedeutet Sympathieverlust.
Das hat schon die SED begriffen, die ja bereits seit den 1950er Jahre ihre eigene antifaschistische Vergangenheit auf die deutsche Bevölkerung übergestülpt hat. So wurden die Deutschen gegen alle historischen Fakten amtlich entnazifiziert. Denn wenn man Staat machen will, kann man nicht die Staatsbürger kritisieren. Das galt für die SED damals und für die Grünen heute und für alle anderen Parteien, die regieren wollen, auch. Mit Kritikern von Volk, Staat und Nation ist eben kein Staat zu machen. Bis Ende der 1980er Jahre soll es die auch noch bei den Grünen gegeben haben. Die hätten sich dann nicht wie Habeck für ihre Aussagen entschuldigt.
Kotau vor den Rechten
Darin hat er bereits Übung, Habeck hat sich auch schon bei der Bayernwahl dafür entschuldigt, dass er getwittert hatte: "Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern" - wenn die CSU-Alleinregierung beendet werde.
Für die Aktivisten, die im Vorfeld der Bayernwahlen vor allem gegen die neuen Polizeigesetze und die CSU-Flüchtlingspolitik engagiert hatte, war das sicher keine Beleidigung. Für sie ist eher die Entschuldigung von Habeck ein Affront. Doch eine Partei, deren höchstes Ziel es war, mit der CSU in Koalitionsverhandlungen treten zu können, kann man Staat, aber keine Staatskritik machen.
Daher war Habecks Kotau nur folgerichtig. Jetzt können die Grünen "einen gesamtdeutschen Wahlkampf" führen und "Themen ansprechen, die die Menschen bewegen", wie die Sprechblasen jetzt lauten. Der Realo Habeck und seine Partei haben damit einen Bückling vor den Rechten gemacht. Spalterische Kritik wird es in Zukunft nur gegen Staaten geben, die nicht auf der Linie Deutschlands liegen, beispielsweise Russland.
PR-Gag-Abschied von Twitter
Damit die außerparlamentarischen Aktivisten, deren Stimmen die Grünen durchaus wollen, nicht verstimmt sind von deren realer Politik, wird der Abschied von Twitter als PR-Gag inszeniert. Da war Habeck wohl der erste, Nachahmer dürfte es geben.
Prompt wird rauf und runter diskutiert, ob sich ein Politiker heute überhaupt so etwas leisten kann. Das erinnert an Debatten in den 1980er Jahren, in denen es darum ging, ob ein Politiker sich konsequent der Bildzeitung verweigern und keine Anfragen des Blattes beantwortet sollte. Auch damals gab es Stimmen, die in der Bildzeitung eine Brücke zu den Massen sahen. Jetzt wird Twitter und Co. diese Funktion zugeschrieben.
Es ist sinnvoll, sich Bild und Twitter zu verweigern. Aber auch dann kann man reaktionäre Politik unterstützen. Daher wäre es sinnvoller, eine Kritik an Twitter und Co. nicht als konservative Kulturpolitik zu inszenieren, sondern nach den gesellschaftlichen Bedingungen zu fragen, die aus Mitteln der Befreiung der Menschen Destruktivkräfte macht.